Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


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dann?«, fragte sie ruhig. »Du bist verletzt. Ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, tagelang im Sattel zu sitzen, um eine Spur zu verfolgen oder sogar zu kämpfen, wenn es denn so weit kommt.«

      Der Junge ließ keinen Einwand zu. »Ich bin derjenige, der die Flamme verloren hat. Also muss man mir die Chance geben, sie dem Dorf wiederzubringen.«

      Seine Mutter runzelte die Stirn. »Das hier ist schon lange kein persönlicher Rachefeldzug mehr«, fertigte sie ihren Sohn ab. »Es geht nicht um persönliche Eitelkeit und darum, wer hier wem was weggenommen hat. Wenn die alten Geschichten stimmen, und jeder hier glaubt das, dann hängt das Schicksal der ganzen Welt von unseren Entscheidungen ab.«

      Jonaas war nicht aufzuhalten. »Klasse«, sagte er unwirsch. »Und wir schicken plapperndes Geflügel und Talkien und Swon, na, herzlichen Glückwunsch.«

      Seine Mutter reagierte nicht auf seinen Ausbruch. Sie ging zum Herd und begann damit, den Inhalt des Topfes umzurühren.

      »Ich werde allein gehen«, beschloss Jonaas. »Ich packe meine Sachen und werde auf eigene Faust den schwarzen Lord unschädlich machen.«

      Seine Mutter rührte ruhig weiter. Sie drehte sich nicht einmal um, als sie den nächsten Satz sagte: »Man wird dich nicht fortlassen«, murmelte sie. »Nur Männer können mit Aufgaben außerhalb des Dorfes betraut werden.«

      Jonaas war wie vor den Kopf geschlagen. Erst jetzt begriff er die persönlichen Ausmaße dieses ganzen Dramas. Er hatte die Prüfung nicht bestanden und war damit in den Augen der Dorfbewohner weiterhin ein Kind.

      »Toll!«, rief er aufgebracht. »Aber Swon geht mit. Der ist nur ein Jahr älter als ich.«

      »Aber er ist ein Mann, und Talkien hat sich für ihn stark gemacht.«

      Etwas in der Stimme seiner Mutter ließ ihn aufhorchen. »Talkien«, sagte der Junge. »Daher weht der Wind. Der Jäger wollte mich nicht dabei haben.«

      Plötzlich war Jonaas einiges klar. Talkien hatte ihn aus einem unbekannten Grund noch nie leiden können.

      Seit Jonaas' frühester Kindheit waren sie immer wieder aneinandergeraten. Dem Jäger war der Junge mit dem fremden Aussehen ein Dorn im Auge gewesen.

      Einmal hatte er sogar verlangt, dass man Jonaas aus der Dorfgemeinschaft ausschließen sollte, und auch, dass der Blonde mit Tyk und Kalil zusammen die heilige Prüfung ablegen sollte, hatte dem Jäger nicht gepasst. Er hatte sogar versucht, einen Beschluss des Rates zu erwirken, dass Jonaas nicht zugelassen wurde.

      »Er ist anders als wir«, hatte er am Abend, bevor die drei in den Berg geschlossen wurden, gesagt. »Er kann und darf nicht behandelt werden wie ein Sangapao.«

      Doch die anderen Dorfbewohner und der Rat der Ältesten hatten die Bedenken des Jägers fortgewischt, und Jonaas war ein Hüter der Flammen geworden.

      Und nun das.

      Die Ereignisse in der Höhle schienen Talkien recht zu geben, bestätigten das Urteil des Jägers.

      Also war es nur klar für ihn, den Jungen nicht mit auf die Verfolgung zu nehmen.

      Jonaas sagte nichts mehr. Stattdessen nahm er den Löffel und rührte ein bisschen in der Suppe. Schließlich führte er das Esswerkzeug doch zum Mund.

      Die Flüssigkeit war noch warm, und erst jetzt bemerkte er, wie hungrig er war. Seit dem Kampf gegen den schwarzen Lord hatte er nichts mehr gegessen.

      Sein Magen knurrte zur Antwort auf seine Gedanken, und es dauerte nicht lange, bis Jonaas schweigend den ersten Teller geleert hatte.

      Seine Mutter sprach ebenfalls nicht, lächelte nur, als sie das Gefäß erneut füllte und vor den Jungen stellte.

      Noch einmal leerte Jonaas den Teller in Rekordgeschwindigkeit.

      Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihm aus.

      Er wusste nicht, welche Kräuter seine Mutter in die Suppe gemischt hatte, doch sie schmeckte ausgezeichnet, und es waren wohl auch einige Blätter dabei, die seinem geschundenen Körper zu einer schnelleren Regeneration verhalfen.

      Die Frau lächelte immer noch, als Jonaas sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Mund abwischte und den Teller in die Mitte des Tisches schob.

      »Noch etwas?«, fragte Fay.

      Jonaas hielt sich den Bauch. »Dann platze ich«, sagte er.

      Er stand auf und schritt durchs Zimmer. Eine plötzliche Unruhe hatte ihn befallen, und jetzt, da seine Verletzungen nicht mehr all zu wehtaten und sein Körper frisch gestärkt war, meldete sich ein riesiger Tatendrang.

      »Ich werde Gradoon finden«, sagte er. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«

      Er drehte sich um und wollte in seine Kammer gehen, doch seine Mutter stellte sich ihm in den Weg.

      »Das kann und darf ich nicht zulassen«, sagte sie.

      »Du hast keine Wahl«, sagte Jonaas, und es tat ihm leid, dass er so mit seiner Mutter redete, doch sein Entschluss zu gehen stand fest.

      »Ich bin auch nicht entscheidend«, sagte die Frau. »Die Ältesten und Talkien haben damit gerechnet, dass du so reagierst. Und sie sehen darin eine Gefährdung ihrer Pläne. Also haben sie dich unter Arrest gestellt. Unser Haus und die Stallungen stehen unter Bewachung, und das ganze Dorf wird durch Patrouillen geschützt. Talkien sagte zum Rat, du hättest bereits genug angerichtet, und offenbar hat sich Sonka seiner Meinung angeschlossen.«

      »Aber das ist unfair.«

      Fay nickte. »Und doch musst du dich, wie jeder andere auch, der Entscheidung des Rates unterordnen.«

      »Pah.« Jonaas hieb mit der Faust auf den Tisch. »Also bin ich ein Gefangener in diesem Haus.«

      »Wenn du es so ausdrücken möchtest«, murmelte seine Mutter.

      Auch an ihr war die Entscheidung des Rates nicht spurlos vorüber gegangen. »Ich sage eher: Hier bist du in Sicherheit.«

      »Dann ist das ganze Dorf gegen mich?«

      Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Niemand ist direkt gegen dich, niemand macht dir einen offenen Vorwurf, und doch ...« Sie suchte nach den richtigen Worten. “Und doch ist dein Name mit dem Verschwinden des Feuers und der ganzen Unruhe, die sich in unserem friedlichen Dorf breitgemacht hat, eng verbunden.«

      Jonaas schwieg. Er wich seiner Mutter aus, trat durch den Vorhang in seine Kammer und ließ sich aufs Bett fallen. Die Schmerzwelle, die von seiner Schulter angefangen durch seinen ganzen Körper rollte, ignorierte er.

      Gefangen, dachte er. Das ist nicht fair.

      Schließlich hätte wahrscheinlich niemand im Dorf einer Attacke des schwarzen Lords und seiner Panther standhalten können. Nicht einmal der große Talkien.

      Der Junge starrte zur Decke.

      Ich werde nicht tatenlos hier herumsitzen, dachte er. Und mir in Ruhe angucken, wie andere für mich den Kopf hinhalten.

      Doch vorläufig konnte er nichts tun. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte seine Mutter recht.

      Er starrte zur Decke, zerbrach sich den Kopf und suchte nach einer Lösung.

Kapitel 4

      Als es dunkel wurde und endlich wieder Ruhe im Dorf der Sangapao einkehrte (eine trügerische Ruhe, wie die Alten meinten), schwang Jonaas die Füße aus dem Bett.

      Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich auszukleiden, als er sich hinlegte, und so brauchte er jetzt nur in seine Stiefel zu schlüpfen, um angezogen zu sein.

      Er nahm eine große Umhängetasche aus einer Truhe, die seine wenigen persönlichen Besitztümer beherbergte, und begann, einige Salben und Tinkturen einzupacken, die auf einer langen Reise nützlich sein konnten.

      Er hatte einen Entschluss gefasst. Er würde versuchen, das Dorf im Schutze der Dunkelheit


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