Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


Скачать книгу
spät bemerkte, dass der Jäger seinen Schimmel angehalten hatte.

      Talkien sah sich ein wenig um, betrachtete neugierig die kleine Lichtung, auf der sie sich befanden, und beäugte auch den schmalen Bach, der den Platz in zwei Hälften teilte.

      »Wir werden ein wenig rasten«, sagte er mit seiner rauen Stimme. »Etwas essen und unsere Wasservorräte auffüllen.«

      Er erwartete keine Zustimmung von Seiten des Jungen, sondern stieg ab, nahm seine Satteltaschen und ließ die Zügel des Pferdes los, damit es grasen konnte.

      Leider nahm er dem Schimmel nicht den Sattel ab, was Swon darauf schließen ließ, dass die Rast nur von kurzer Dauer war.

      Der Junge stieg ebenfalls ab, nahm seinen Wasserschlauch und folgte dem Jäger zum Bach.

      Talkien kniete bereits vor dem Wasserlauf, streckte zwei Finger in das kühle Nass, roch und schmeckte, um schließlich zu nicken.

      »Gutes Wasser«, sagte er nur, pfiff kurz, und sein Reittier kam zu ihm, um seinen Durst zu stillen. Auch der kleine Rotbraune tauchte sein Maul ins Wasser.

      Die Männer füllten ihre Wasservorräte auf, dann ließen sie sich ins Gras fallen.

      »Wir sind gut unterwegs«, sagte Talkien. »Haben ein schönes Stück geschafft.« Für die Verhältnisse des Jägers war das ein beachtlicher Wortschwall.

      Swon wollte die ungewohnte Redseligkeit Talkiens nutzen. »Meinst du, wir haben gegenüber dem Schwarzen schon aufgeholt?«

      Sie hatten die Spur verfolgt, jedenfalls hatte der Jäger es getan.

      Swon hatte den Boden, die Büsche und Bäume abgesucht, doch ihm war nichts Ungewöhnliches aufgefallen.

      Trotzdem wusste er, dass sie auf dem richtigen Weg waren, denn der Jäger hatte ab und zu angehalten, etwas untersucht und dann ihre Richtung korrigiert.

      Talkien betrachtete den wolkenlosen Himmel, und der Junge dachte schon, dass der Mann in sein Schweigen zurückgefallen war, als der Jäger doch noch antwortete. »Die Entfernung zum Schwarzen ändert sich nicht«, murmelte er. »Die Spur, der wir folgen, ist immer gleich alt. Wir haben nicht aufgeholt, aber wir haben auch keinen Boden verloren.«

      Also war der finstere Lord noch mehr als anderthalb Tagesreisen von ihnen entfernt, und Swon musste sich eingestehen, dass er diese Erkenntnis sehr beruhigend fand.

      Der Rat hatte beschlossen, dass Talkien dem Unheimlichen folgen sollte, weil nur er des Spurenlesens mächtig war, und Swon als sein Gehilfe war irgendwie in diesen Schlamassel mit hineingerutscht. Schließlich waren sie ein Team.

      Aber sie waren auch in erster Linie nur Jäger und keine Krieger.

      Keiner vom Rat hatten ihnen richtig mitteilen können, was man eigentlich von ihnen verlangte.

      Sicher, es wäre toll, wenn sie die Flamme zurück ins Dorf bringen könnten, doch keiner hatte ihnen gesagt, wie sie es anstellen sollten.

      Denn freiwillig würde der Schwarze das Feuer bestimmt nicht hergeben, und einem Kampf gegen ihn und seine Bestien waren sie nicht gewachsen. Schließlich hatte Swon das tote Panthertier gesehen und er hatte nicht vor, gegen ein lebendes Exemplar anzutreten.

      Nicht auszudenken, wenn sie nur hinter dem Finsteren her reisten und feststellen mussten, dass er den Magier der schwarzen Gilde aus seinem Felsengefängnis befreit hatte.

      Was dann?

      Swon schauderte. Ich bin dafür nicht gemacht, dachte er. Ich bin kein Held, kein Weltenretter.

      Er klammerte sich an einen Strohhalm. Vielleicht brauchten sie gar nicht zu kämpfen.

      Vielleicht würden sie Verbündete finden. Der Rat jedenfalls hoffte darauf.

      Die Zanthen mussten aufgrund ihrer Schnelligkeit schon einige Dörfer und Völker erreicht haben, und es wartete sicherlich schon irgendwo Unterstützung auf sie.

      Wahrscheinlich sogar schon in der roten Stadt.

      Swon ließ seiner Fantasie freien Lauf. Er war gespannt auf Kandelar.

      Er und der Jäger waren, mit Ausnahme der Händler, die mit den Seeleuten Geschäfte machten, die Sangapao, die am weitesten reisten, doch bis zur großen roten Stadt waren sie noch nie gekommen.

      Seit Ewigkeiten hatte keiner ihres Volkes die einstige Hauptstadt Karma’neahs betreten.

      Einst, vor dem großen Krieg, war Kandelar der Sitz des einen Königs.

      Doch die rote Stadt war während der Kriege beinahe zerstört worden, und das Adelsgeschlecht war mit ihr untergegangen.

      Nun regierte jedes Volk, jeder Stamm für sich, und da alles friedlich blieb, wurde der König nicht vermisst.

      Trotzdem sollte es in Kandelar noch jemanden geben, der den Titel König für sich beanspruchte.

      Und vielleicht hatte er ein neues Heer aufgebaut, das nun gegen den Schwarzen antreten konnte.

      Mit ein bisschen Glück brauchten sie in Kandelar nur die zurückeroberte Flamme entgegenzunehmen.

      »Wie lange brauchen wir noch bis Kandelar?«, fragte Swon. Er hatte eine Scheibe Brot aus seiner Tasche hervorgeholt und kaute genüsslich darauf herum.

      Vögel zwitscherten, bunte Libellen sirrten über den Bach und die Blüten. Es war schwer, sich eine Bedrohung vorzustellen.

      Talkien hatte sich ins Essen vertieft, ohne jedoch die Umgebung aus den Augen zu lassen.

      »Zwanzig Tagesritte, vielleicht mehr«, murmelte er. »Die einzige Karte, die der Rat mir geben konnte, ist alt und nicht sehr genau.«

      Swon verzog das Gesicht. Er wusste nicht, wie er eine so lange Zeit im Sattel überleben sollte.

      »Und der Schwarze ist in diese Richtung unterwegs?«, fragte der Junge.

      »Er will zu den Sturmfelsen«, sagte der Jäger. »Und wenn man der Karte Glauben schenken kann, dann liegt Kandelar auf seinem Weg.« Er beobachtete den Rand der Lichtung.

      »Ich denke nicht, dass er in die Stadt will«, vermutete der Jäger. »Er wird sie umgehen.« Er biss noch ein Stück Obst ab. »Vielleicht ist das unsere Chance.«

      Dann packte er das restliche Obst wieder in seine Tasche und sprang auf.

      »Fühlst du dich gut genug, um weiter zu reiten?«, fragte Talkien.

      Swon wusste, dass diese Frage nur rhetorisch war. Ein Nein würde der Jäger sowieso nicht akzeptieren.

      Als Antwort erhob sich der Junge und verstaute seine Sachen auf dem Pferderücken.

      Der Rotbraune wieherte protestierend, so, als hätte auch er noch keine Lust, die Reise fortzusetzen, doch auch dem Tier blieb keine Wahl.

      Der Jäger sprang in den Sattel seines Schimmels, vergewisserte sich nur kurz, dass Swon ihm folgte, dann trieb er sein Tier wieder zur Eile an.

      Und der Junge, dem schon beim Aufsteigen wieder alle Knochen weh taten, versuchte, eine vernünftige Position im Sattel zu erreichen, denn er ahnte, dass die nächste Rast eine Weile auf sich warten lassen würde.

      Müde und kaputt ritt er der Nacht entgegen.

      Und einem ungewissen Schicksal.

Kapitel 9

      Jonaas lief durch den Wald. Er ahnte nicht, wie sehr sein Freund Swon im Sattel litt, er selbst jedoch hätte in diesem Moment alles für ein Reittier gegeben.

      Seine Lungen schmerzten vom Lauf, seine Füße brannten, und seine Beine wollten schon seit Ewigkeiten nicht mehr.

      Trotzdem gönnte er sich keine Pause.

      Er hatte schon zu viel Zeit verloren und nur eine klitzekleine Chance, die Vorauseilenden zu erreichen, wenn er sich selbst nicht schonte.

      Aber es war auch so ein recht hirnloses Unterfangen.


Скачать книгу