Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


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Swon nicht genau erkennen, und die gute Laune des Jägers konnte er erst recht nicht teilen.

      Die Aussicht, dem Unheimlichen näher zu kommen, beunruhigte ihn, und das Verlassen der Bäume vermittelte ihm ein Gefühl von Schutzlosigkeit.

      Trotzdem blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Pferd anzutreiben und dem Jäger in die steinige Ebene zu folgen.

      Und obwohl er die Umgebung ganz genau im Auge behielt, bemerkte er nicht, dass sie schon seit geraumer Zeit verfolgt wurden...

Kapitel 11

      Jonaas erwachte gut erholt. Er hatte tief und fest geschlafen, ohne von bösen Träumen verfolgt zu werden, ohne beunruhigt zu sein vom Chaos der Welt.

      Er wusste nicht, inwieweit die Anwesenheit des weißen Hirsches dafür verantwortlich war, wusste nur, dass er sich seit der Ankunft des mächtigen Tieres deutlich besser fühlte.

      Lange nicht mehr so hoffnungslos und schwach.

      Er reckte und streckte sich, verzog ein wenig das Gesicht, als er seine verletzte Schulter zu sehr dehnte, doch auch dieser kleine Schmerz konnte seinen Tatendrang nicht mindern.

      Er fühlte sich gut, bereit, es mit jedem aufzunehmen, und sei er auch noch so schwarz.

      Jonaas sah sich auf der Lichtung um, der Hirsch stand etwas abseits und äste, als er jedoch bemerkte, dass der Junge erwacht war, trabte er auf ihn zu.

      »Es geht dir wieder gut«, stellte er mit einem Blick fest.

      »Ja, danke.« Jonaas kramte in seinen Taschen. »Und es wird mir noch besser gehen, wenn ich etwas gegessen habe.«

      Noch vor wenigen Stunden hätte er laut losgelacht, wenn ihm jemand von einem sprechenden Hirsch erzählt hätte, und selbst vor seinem Schlaf war ihm die Sache noch merkwürdig vorgekommen.

      Nun jedoch war alles anders.

      »Vieles hat sich verändert«, hatte Gwayhier gesagt, und der Junge musste ihm beipflichten.

      Er zog getrocknetes Fleisch aus seinem Rucksack, biss einen Streifen davon ab, kaute genüsslich und spülte es mit einem Schluck Wasser herunter.

      Der Hirsch beobachtete ihn dabei.

      »Auch was?«, fragte der Junge mit vollem Mund.

      »Niemals«, fuhr ihn der Weiße angewidert an. Er sah Jonaas durchdringend an. »Ist das Wild? Reh oder Hirsch, Schwein oder Hase?«

      Jonaas lief rot an. Er ließ das Fleisch augenblicklich in seinem Beutel verschwinden und förderte etwas Obst zum Vorschein.

      »Entschuldige«, stotterte er. »Ich habe nicht nachgedacht.«

      »Eine herausstechende Tugend eurer Art«, schnaufte der Hirsch. Dann reckte er die Nase in die Luft und schnupperte.

      »Wir sollten nicht mehr lange hier verweilen«, sagte er. »Das Wetter ändert sich.«

      Jonaas nahm noch einen Schluck Wasser, vergewisserte sich, dass sein Trinkbeutel noch zu Hälfte gefüllt war, und rollte dann seine Decke zusammen.

      »Ich bin fertig«, sagte er dann, und Gwayhier trat auf ihn zu.

      »Dann spring auf«, sagte das mächtige Tier.

      Jonaas zögerte. »Ich soll wirklich ...?«

      »Mach schon, bevor ich es mir anders überlege«, grollte der Weiße, und der Junge legte eine Hand auf den Rücken des Tieres und schaffte es unter Zuhilfenahme des Baumstumpfes aufzusteigen.

      Gwayhier schüttelte sich vorsichtig, um Jonaas richtig zu positionieren, sagte dann nur noch: »Halt dich in meiner Mähne fest«, und setzte sich in Bewegung.

      Es schaukelte mächtig, und anfänglich kamen sie nur langsam voran.

      Erstens, weil Gwayhier es nicht gewohnt war, einen Reiter zu tragen, zweitens, weil Jonaas noch nie auf einem Hirsch geritten war, aber vor allen Dingen drittens, weil die Bäume noch so dicht standen, dass der Hirsch aufpassen musste, nicht mit seinem Geweih hängen zu bleiben.

      Bald jedoch hatten sie ihren Rhythmus gefunden, und das Tier beschleunigte seine Gangart.

      Jonaas beobachtete fasziniert die Landschaft um sie herum.

      Nur ab und zu fand er die Zeit, sich um das, was der Hirsch gesagt hatte, Gedanken zu machen.

      Das seltsame Gedicht ging ihm nicht aus dem Sinn, und auch die Andeutung Gwayhiers, lange nicht mehr in Karma'neah gewesen zu sein.

      Woher kam der große Hirsch?

      Jonaas beschloss, ihn bei der nächsten Gelegenheit danach zu fragen.

      Nun jedoch musste er seine volle Aufmerksamkeit dem Ritt zuwenden, denn der Wald wurde lichter, und Gwayhier ging von schnellem Trab in Galopp über.

      Jetzt erst wurde dem Jungen klar, wie viel Kraft in der Gestalt des Hirsches lag.

      Die Beine des Weißen schienen den Boden nicht mehr zu berühren, schnell wie der Wind schoss er dahin, und aus Bäumen und Büschen wurde rasend schnell eine staubige Ebene, durchzogen von großen Gesteinsbrocken.

      Gerade, als sich der Junge an den wilden Ritt gewöhnt hatte, als seine Angst herunterzufallen und sich den Hals zu brechen, etwas nachließ, bremste Gwayhier ab und blieb neben einem mannshohen Felsbrocken stehen.

      Jonaas, der nicht mit einem Stopp gerechnet hatte, wäre fast über den Hals des Tieres geflogen, und nur mit großer Mühe schaffte er es, nicht abzurutschen.

      Gwayhier ging auf einen weiteren Steinriesen zu, sein Kopf neigte sich zu Boden, und er betrachtete einige Spuren im Sand.

      Dann fiel sein Blick auf mehrere Löcher, die im felsigen Boden zu erkennen waren.

      Zu gleichmäßig, um natürlichen Ursprungs zu sein.

      »Bodayn«, sagte er nur. »Und sie sind deinen Freunden auf der Spur.«

      Er schüttelte sein Geweih und schnaubte. »Wir müssen uns beeilen«, schloss er, und ohne eine Reaktion des Jungen abzuwarten, trabte er los.

      »Hoffentlich kommen wir nicht schon zu spät«, flüsterte er und beunruhigte Jonaas sehr.

      Der Junge wusste nicht, wer oder was Bodayn waren, und als der Hirsch in seinen unnachahmlichen Galopp fiel, blieb ihm auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.

      Er hatte genug damit zu tun, oben zu bleiben.

Kapitel 12

      Sie kamen nur langsam voran.

      Wie Swon geahnt hatte, wurde es immer schwieriger, auf dem steinigen Boden der Spur des Unheimlichen zu folgen.

      Nur dort, wo im Schutze einer Felsformation Sand vom Wind gesammelt wurde, konnte man deutlich die Abdrücke der Raubkatze erkennen.

      Ansonsten blieb für Swon die Fährte unsichtbar, und auch der erfahrene Talkien hatte immer mehr Mühe, denn die Pranken des Panthers hinterließen nicht einmal Kratzer, wie es vielleicht bei Hufen von Pferden der Fall gewesen wäre.

      Zum wohl hundertsten Mal zügelte der Jäger seinen Schimmel, stieg ab und kniete sich hin. Seine scharfen Augen untersuchten den Boden, und weil er sich ausschließlich darauf konzentrierte, bemerkte er die näher kommenden Gestalten erst sehr spät.

      Swon sah die seltsamen Kreaturen, die links und rechts hinter einem großen Felsbrocken hervorkamen und vor ihnen Stellung bezogen, sofort.

      Der Junge wusste nicht, was er da vor sich hatte, doch er ahnte, dass ihre Begegnung nicht zufällig war.

      Dafür sah ihr Erscheinen zu organisiert aus, und die kleinen Kreaturen ließen die beiden Reiter nicht aus den Augen.

      »Talkien.« Swon flüsterte. Er hatte Angst, laut zu sprechen, wollte keinen Angriff provozieren.

      Der Jäger hörte ihn auch so.

      Langsam


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