Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


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Offenbar gefiel es dem Goon, dass Leute, die ihn einst mit Schimpf und Schande davonjagten, nun auf seine Hilfe angewiesen waren.

      Swon stöhnte zum wiederholten Male, und Talkien drängte seinen Schimmel zu schnellerem Schritt.

      »Wie weit ist es noch?«, fragte er den Führenden, als sie beinahe gleichauf waren.

      »Nicht mehr weit«, antwortete der Goon und führte sie um einen weiteren Felsen.

      Talkien musste sich eingestehen, dass es selbst für ihn, einen erfahrenen Jäger, schwierig war, sich in dieser Steineinöde zu orientieren.

      Die riesigen Steinbrocken, die überall im Weg lagen, waren mit Sicherheit alle anders geformt, und doch sahen sie fast gleich aus.

      Wieder umrundeten sie einen davon und blieben schließlich vor einem weiteren, dem bisher größten von allen, stehen.

      Der Goon bückte sich, griff in eine Nische des Felsens, und augenblicklich geriet der Felsboden vor ihnen in Bewegung.

      Ein Teil davon klappte weg und gab einen Weg in eine unterirdische Höhle frei.

      Der Schimmel Talkiens scheute auf Grund der seltsamen Begebenheit, doch der Jäger hatte sein Reittier schnell wieder im Griff.

      »Folgt mir«, sagte der Goon und wies in das Dunkel vor ihnen.

      Der Jäger runzelte die Stirn und bewegte sich nicht. Mykiel spürte die Unsicherheit des Mannes. »Es geht nicht sehr steil bergab«, erklärte er. »Und der Gang und die Höhle sind groß und hoch genug für die Pferde.«

      Dann verschwand er, und Talkien blieb wieder nichts anderes übrig, als die Tiere anzutreiben und dem Jungen zu folgen. Er hasste es, so passiv zu sein, abhängig von anderen, und nicht seine eigenen Entscheidungen treffen zu können, doch es gab keine andere Möglichkeit.

      Selbst wenn all dies eine Falle war, so musste er das Risiko eingehen, weil Swon ohne Hilfe den nächsten Tag nicht erleben würde.

      Vorsichtig setzte der Schimmel einen Huf vor den anderen, langsam, tastend, doch Talkien erkannte bald, dass der Goon recht hatte. Es war wirklich kein Problem für die Tiere, dem steinigen Weg in die Höhle zu folgen.

      Mykiel stand an der rechten Seite des breiten Steinpfades und winkte den Jäger und die Tiere vorbei. Dann griff er wieder in eine Felsnische, und die steinerne Klappe verschloss die Höhle erneut.

      Das Licht der Sonnen verschwand, doch der Gang wurde von Fackeln erleuchtet, und der Goon drängte sich im flackernden Licht an den Tieren vorbei, um die Führung zu übernehmen.

      Wieder blieb Talkien nichts anderes übrig, als dem Jungen wortlos zu folgen.

      Der Weg führte immer weiter in die Tiefe, wurde breiter, sodass der Schimmel und der Rotbraune nebeneinander laufen konnten.

      Der Jäger überlegte seit Antritt ihrer Reise, wer oder was sie hier erwarten würde, wohin sie der Goon führte und ob Swon wirklich noch zu helfen war.

      Ein Seitenblick zeigte ihm, dass sein Begleiter reglos über dem Pferderücken hing. Selbst das letzte Stöhnen schien eine Ewigkeit her zu sein.

      Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig, dachte der Jäger. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn der Junge starb. Schließlich hatte man ihn in seine Obhut gegeben, und auch, wenn Swon freiwillig die Reise mit ihm angetreten war, so fühlte sich Talkien doch für alles, was passiert war, verantwortlich.

      Der Jäger trieb den Schimmel an, und das Pferd, das sich mittlerweile an den steinigen Untergrund gewöhnt hatte und trittsicherer wurde, beschleunigte seinen Schritt.

      Wieder machte der Pfad einen Linksknick, und Talkien fragte sich schon, ob diese Reise ins Innere der Erde nie ein Ende haben würde, als sich vor ihnen eine große Höhle auftat.

      Eine Höhle, die jemand bewohnte, wie man zweifelsfrei auf den ersten Blick erkennen konnte.

      Ein Feuer brannte in der Mitte des Raumes, und obwohl er einen Durchmesser von beinahe dreißig Pferdelängen hatte, war kaum mehr Platz vorhanden, so vollgestopft mit tausenderlei Sachen war er.

      Regale mit dicken staubigen Büchern, Tiegel, Tassen, Töpfe, Säcke, Kisten, Flaschen, Tierfelle und Häute, alles stand und lag wahllos in der Gegend herum.

      Dazwischen immer wieder Tische und Stühle, und Talkien versuchte, im Licht des Feuers zu erkennen, wer diese Dinge hier angehäuft hatte, doch so sehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte niemanden erkennen.

      »Die Pferde könnt ihr hier festmachen«, sagte der Goon und deutete auf eine Ecke, in der ein wenig Platz war. Etwas Stroh, wo immer es in dieser unwirtlichen Gegend auch herkommen mochte, lag hier, und einige Decken deuteten auf ein Nachtlager hin.

      Talkien lenkte sein Tier an die Felswand, sprang ab, raffte die Zügel und hob Swon vorsichtig vom Rücken des Rotbraunen.

      Das Gesicht des Jungen war schweißbedeckt, sein Haar nass und verklebt, die Haut weiß, fast elfenbeinfarben und seltsam kalt, als wäre schon alles Leben aus ihr gewichen.

      »Swon«, flüsterte der Jäger, doch der Junge hing schlaff in seinen Armen und zeigte keine Reaktion.

      »Er kann dich nicht mehr hören«, sagte der Goon, der unbemerkt an seine Seite getreten war. »Zu viel Zeit ist vergangen. Das Gift ist schon zu tief in ihm.«

      Talkien verzweifelte. »Dann müssen wir endlich etwas tun«, herrschte er den Jungen an.

      »Deshalb sind wir hier.« Der Goon drehte sich im Kreis, als suche er etwas.

      »Fizz!«, rief er dann. »Hör auf mit dem Versteckspiel. Ich brauche deine Hilfe.«

      Nichts geschah. »Fizz«, versuchte es der Junge noch einmal. »Komm schon, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Er deutete auf Swon. »Bodayn, Fizz. Bodayn.«

      Wieder vergingen einige Sekunden. Talkiens Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er wollte, dass endlich etwas passierte, wollte nicht länger tatenlos herumstehen und zusehen, wie sein Begleiter starb.

      Es fehlte nicht mehr viel, und er würde dem Goon an die Kehle springen. Er hatte sie hierher geschleppt. Also war es auch seine Schuld, wenn Swon hier starb.

      Schon ballte der Jäger die Fäuste, um sich den Jungen vorzunehmen, als plötzlich ein Rascheln in einer Ecke der Höhle erklang.

      »Bodayn«, hörte man eine hohe Fistelstimme. »Bodayn. Schlimme Viecher. Wirklich schlimme Dinger. Keine netten Zeitgenossen.« Und dann trat ein kleines, runzeliges Männlein hinter einer großen Truhe hervor.

      Er ging Talkien nur bis zur Brust, war aber ungefähr doppelt so breit. Ein rotes Hemd verbarg nur mit Mühe einen kugelrunden Bauch, eine grüne, viel zu kurze Hose endete unter dem Knie, die Füße steckten in langen, spitzen, nach oben gebogenen Lederschuhen. Eine runde, ebenfalls grüne Mütze saß auf einem haarlosen Schädel, kleine, blaue Schweinsäuglein und eine dicke Nase hatten Mühe, durch den strubbligen weißen Vollbart hindurch zu gelangen.

      An einem breiten Gürtel hingen einige Säckchen, und in den großen Händen des Mannes befanden sich weitere.

      »Hab euch kommen gehört«, fistelte das Männchen. »Schon alles zusammengepackt.« Er watschelte zu einem großen Tisch hinüber, auf dem Felle und einige Päckchen standen, und räumte ihn mit einer fahrigen Handbewegung leer.

      »Leg deinen Freund hierher«, sagte der Kleine, doch der überraschte Talkien rührte sich erst, als ihm der Goon zunickte.

      »Mach schon«, drängte der Junge.

      Der Jäger trug die schlaffe Gestalt Swons zum Tisch und bettete ihn vorsichtig darauf.

      Sofort begann das Männlein damit, den Leblosen abzutasten.

      »Keine Sekunde zu früh«, murmelte er. Dann förderte er ein langes Messer zutage, und ehe Talkien reagieren konnte, schnitt er dem Jungen mit unglaublicher Geschicklichkeit und Schnelligkeit das Hemd vom Leib.

      Dann tauchte er seine Hände


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