Drachensonne. Thomas Strehl

Drachensonne - Thomas Strehl


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Unterschied.

      Und jetzt machte er mit Tyk und Kalil sogar die heilige Prüfung.

      Kalil streckte Jonaas eine Hand hin, zog ihn aus dem Bett und beendete die Grübeleien seines Freundes.

      »Tyk wartet auf Ablösung«, sagte er. »Deine Wache beginnt.« Er zwinkerte dem Blonden zu. »Deine letzte Wache.«

      Jonaas nickte. »Jawohl«, murmelte er. »Bald ist es vollbracht.«

      Er ging auf die einzigen Möbel der Höhle zu, die außer dem Bett dort standen, und nahm seine Kleidungsstücke an sich, die er über den grob gearbeiteten Stuhl geworfen hatte.

      Auf dem Tisch, der daneben stand, wartete kühles Wasser in einem Tongefäß, und Jonaas nahm einen kräftigen Schluck.

      Er wischte sich mit dem Unterarm den Mund ab, stellte das Gefäß zurück und zog sich sein Hemd über den Kopf.

      »Willst du nicht schlafen gehen?«, fragte er Kalil. »Schließlich habe ich Wache und nicht du.«

      Sein Freund schüttelte energisch den Kopf. »Tyk wird auch nicht schlafen gehen«, sagte er. »Die letzten Stunden werden wir zusammen verbringen.«

      »Dann geh schon einmal vor«, sagte Jonaas. »Ich komme nach, sobald ich hier fertig bin.«

      Kalil entfernte sich, und Jonaas stieg in seine Hose. Dann schlüpfte er in Stiefel aus Hirschfell und schnallte sich den Gürtel um die Taille. Schließlich steckte er das Jagdmesser ein und blies die Kerze aus.

      Dunkelheit umfing ihn, und er blieb so lange stehen, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.

      Langsam drehte er sich noch einmal um und schaute sich den Platz an, an dem er die meiste Zeit der endlosen Tage verbracht hatte.

      Von diesen Höhlen gab es einige, schließlich änderte sich die Zahl derer, welche die Prüfung ablegten, von Mal zu Mal.

      Er lächelte.

      Wenn er die Höhle morgen verließ, dann würde er ein Mann sein, ein Jäger, ein Krieger, ein vollwertiges Mitglied der Dorfgemeinschaft.

      Kein Kind mehr, sondern jemand, dessen Stimme zählte, dessen Meinung gehört wurde.

      Wieder grinste er.

      Ein Jäger und Krieger, dachte er. So hatte es der Priester genannt, und doch wusste Jonaas, dass er Jäger und Familienvater sein würde (wenn ihn eine Frau trotz seines seltsamen Äußeren lieben konnte), aber niemals ein Krieger.

      Die Zeiten der Kriege lagen Hunderte von Jahren zurück, und selbst die Ältesten kannten nur Legenden und Geschichten über diese wilde Zeit.

      Und doch war eine dieser Geschichten lebendiger als alle anderen, war auf seltsame Art und Weise mit ihrem Dorf verknüpft, und Jonaas rief sich die Worte der Alten ins Gedächtnis, während er seine Schlafhöhle verließ und den Weg zur Halle des Lichts antrat.

      Sein Volk nannte sich Sangapao, was soviel bedeutete wie »Bewahrer der Flamme«, und alle in ihrem Dorf waren sich über die Bedeutung der Worte im Klaren.

      Die Legende, die selbst die Kleinsten mit der Muttermilch eingeflößt bekamen, erzählte vom letzten großen Krieg.

      Es hieß, dass Paradur, der mächtigste und gefährlichste Magier des schwarzen Bundes, und seine grausamen Verbündeten die Welt beinahe unterjocht hatten.

      Viele Städte, viele Völker waren bezwungen und unterworfen, und nur wenige Orte boten noch Widerstand.

      Doch auch sie konnten dem eisigen Sturm, wie Paradurs Armee genannt wurde, nicht mehr lange standhalten, und der Kampf wäre aussichtslos gewesen, wenn nicht ein Wunder geschehen wäre.

      Plötzlich erschien Galaan, der letzte der Waraan, eines geheimnisvollen Kriegerordens, und er brachte ein Geschöpf mit, wie man es in Karma´neah seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte und nie wieder sehen würde.

      Galaan nannte die riesige fliegende Echse einen Drachen, und niemand wusste damals, woher das mächtige Geschöpf kam.

      Aber gelenkt und geritten vom mächtigen Krieger, rissen die Flammen des Drachen Schneisen in die Belagerungen der eisigen Horde, und den Völkern Karma´neahs brachten sie Hoffnung und neuen Mut.

      Gemeinsam schaffte man es, das Heer des schwarzen Magiers zurückzudrängen, bis hinauf in die unwirtlichen Gegenden der Sturmfelsen.

      Und dort, am Berge Maligan, kam es zur letzten, entscheidenden Schlacht.

      Galaan und der Drache schafften es schließlich, Paradur in eine Höhle zu treiben, und das große Tier schmolz mit seinem Feuer den Fels und schloss den schwarzen Magier und mit ihm das Böse im Berg ein.

      Die eisige Horde, nun führerlos und nicht mehr unterstützt von schwarzer Magie, flüchtete, und die, die nicht aufgerieben wurden, verschwanden im Höhlenlabyrinth der Sturmfelsen und wurden nie wieder gesehen.

      Dann verschwand der Drache so schnell, wie er erschienen war, und zurück blieb einzig Galaan.

      Doch er hielt ein Geschenk in seinen Händen, eine Fackel, entzündet vom Feuer des Drachen, und die Legende berichtet, dass, solange sich das Feuer in den Händen der Gerechten befindet, Karma´neah und seinen Völkern kein Leid mehr geschehen könne.

      Denn die Wärme der Flammen wird von der eisigen Horde gefürchtet und hält sie für immer gebannt, und das Gefängnis Paradurs lässt sich nur mit diesem Drachenfeuer öffnen.

      Galaan, wissend, wie großartig das Geschenk des Drachen war, suchte einen sicheren Ort für die Flammen und fand ihn im Talangebirge.

      Und das tapfere Volk der Talan, die ihn freundlich aufnahmen, wurden zu Sangapao und schworen, die Flamme zu bewahren und damit den Frieden von ganz Karma´neah.

      Galaan war nun schon seit Hunderten von Jahren verschwunden, doch die Legende des Drachenfeuers lebte fort, und das Bewahren der Flamme war bis heute ein fester Bestandteil im Leben des kleinen Bergvolkes.

      Krieger, die anfangs die Flamme bewacht hatten, gab es nicht mehr, und nach und nach bekam das Bewachen der Flamme symbolischen Charakter.

      Es wurde ein Ritual daraus, in dem die Jungen des Dorfes bewiesen, dass sie Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen konnten, und wenn sie die Prüfung der dreihundert Tage abgelegt hatten, wurden sie bei einem großen Fest in den Stand der Männer aufgenommen.

      All dies schoss Jonaas durch den Kopf, als er den Weg durch das Höhlenlabyrinth in die Halle des Lichts antrat.

      Nur selten erhellte eine Fackel seinen Weg, doch er hätte selbst in völliger Dunkelheit den Weg gefunden, denn schließlich hatte er dreihundert Tage Zeit gehabt, sich zu orientieren.

      Der Weg führte ihn vorbei an anderen Schlafhöhlen, vorbei an Vorratskammern, die Dörrobst, Dörrfleisch und Dörr-was-weiß-ich enthielten, und Jonaas' Magen knurrte. Neben dem Himmelslicht vermisste der Junge am meisten seine Mutter und ihre gute Küche.

      Er freute sich auf das morgige Fest, das man ihnen zu Ehren ausrichten würde, und auf die Berge frischen Essens, die man ihnen dann auftischte.

      Jonaas beschleunigte seine Schritte, als der Weg durch die Felsen breiter wurde.

      Fackeln gab es hier nicht mehr, und doch wurde der Weg immer heller, waren die Steine um Jonaas herum immer deutlicher zu sehen, eingetaucht in grünes Licht, das aus dem Berg selbst zu kommen schien.

      Der Junge wusste, dass er nur noch eine Weggabelung vor sich hatte, einmal musste er sich noch nach links wenden, dann würden die Felsen den Blick auf die Halle des Lichts freigeben.

      Jonaas hielt kurz an und atmete einmal tief durch.

      Wie immer, wenn er die große Halle betrat, verharrte er einen Moment, um sich auf das vorzubereiten, was er gleich sah.

      Und wie immer würde es ihm nicht gelingen.

      Nichts konnte einen auf dieses Naturschauspiel vorbereiten, und niemand, der es nicht selbst


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