Drachensonne. Thomas Strehl
mit geschlossenen Augen.
Dann tat Jonaas ein paar Schritte vorwärts und betrat die heilige Halle.
Die Höhle war nicht natürlichen Ursprungs. Sie maß ungefähr zweihundert Pferdelängen im Durchmesser und war genau kreisrund. Die Wände, die so hoch empor ragten, dass sie sich in der Dunkelheit verloren, waren so glatt geschliffen wie Glas.
Sie reflektierten die Flamme, die genau im Zentrum des Raumes brannte, immer und immer wieder und sorgten so dafür, dass man das Gefühl hatte, mitten im Feuer zu stehen.
Jonaas blinzelte. Nach der Dunkelheit der anderen Höhlen war diese Lichtkaskade eine so große Reizüberflutung für seine Augen, dass er einige Minuten brauchte, um sich daran zu gewöhnen.
Schließlich gelang es ihm, die Reflexionen auszublenden und sich nur auf das eigentliche Drachenfeuer zu konzentrieren.
Der Ursprung des Lichtes war eine gut drei Pferdelängen hohe Flammensäule, die einige Ellen über dem Boden aus dem Nichts heraus entstand.
Sie brannte ruhig, flackerte nur unmerklich und erleuchtete die Höhle in allen Farben des Regenbogens.
Das Feuer hing einfach mitten im Raum, ohne Ursprung, ohne Versorgung.
Niemand musste Holz nachlegen, Reisig, Stroh oder etwas anderes, um die Flamme am Leben zu erhalten.
Es war, als hole sich das Feuer seine Energie aus der Luft, doch auch das war schwer vorstellbar, denn die Luft in der Höhle hatte sich nicht aufgeheizt, sondern war kühl und klar, als stünde man mitten in einem Wald.
Kein Rauch quälte die Augen, keine Hitze die Haut.
Manchmal glaubte Jonaas, das Feuer selbst wäre kalt, denn auch wenn man näher herantrat, spürte man keinen Temperaturunterschied.
Oft überlegte er, was wohl passieren würde, wenn die Flammen mit seinem Körper in Berührung kamen, doch der Kontakt zum Feuer war unter Strafe verboten.
Der Blonde wandte sich nach links und ging an der Wand entlang in den hinteren Teil der Höhle. Dort, auf einer kleinen Bodenerhöhung, hatten die Wächter der Flamme ihr Lager errichtet.
Einige Decken lagen dort, und es gab Gefäße, in denen sich Lebensmittel und Wasser befanden.
Kalil hatte sich einen der Krüge genommen, nahm einen Schluck und winkte seinen Freund zu sich.
»Wird Zeit, dass du kommst«, sagte er gut gelaunt. »Schließlich gebührt dir die Ehre der letzten Wache.«
Tyk, der etwas abseits saß, starrte aufs Feuer und nickte Jonaas nur kurz zu, doch als der Ankömmling es sich auf seiner Decke bequem gemacht hatte, drehte er sich um.
»Spürt ihr eigentlich die Kraft, die Macht, die von dem Feuer ausgeht?«, fragte er.
Kalil runzelte die Stirn. Tyk war der Ruhigste von ihnen, und meistens musste man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen, wenn man sich mit ihm unterhalten wollte. Dass er von sich aus ein Gespräch suchte, war denkbar ungewohnt.
Der kräftige Junge mit den strubbligen schwarzen Haaren sah seine Mitwachen an. »Oder bilde ich mir alles nur ein, weil ich die Geschichten und Legenden kenne?«
Jonaas zuckte die Schultern. Eigentlich sprach Tyk nur das aus, was er selbst schon oft beim Anblick des Feuers gedacht hatte. Und auch von Kalil hatte er aus verschiedenen Andeutungen gehört, dass er sich über die Wahrheit der Geschichten nicht im Klaren war.
Sicher, die Flammen mitten in der Höhle waren ungewöhnlich und seltsam, aber hieß das automatisch, dass ihre Entstehungsgeschichte den Tatsachen entsprach?
Er hatte oft in den dreihundert Tagen darüber nachgedacht, doch jetzt, als Tyk es offen aussprach, erschrak er innerlich.
»Ich spüre etwas«, sagte Jonaas diplomatisch. »Immer wenn ich die Höhle betrete, geht etwas in mir vor, aber ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, ob es eine Kraft ist, die von der Flamme ausgeht, oder ob es aus meinem Inneren kommt, als Reaktion auf die Geschichten und Legenden.«
Kalil lächelte breit. »Also ehrlich«, sagte er. »Man kann doch gar nicht anders, als vor Ehrfurcht zu erstarren, wenn man all dies sieht. Schließlich bewahrt das Drachenfeuer den Frieden Karma´neahs und seine Wärme auch unser aller Leben.«
Er wollte mit seiner lockeren Art die Bedenken der Freunde und seine eigene Unsicherheit zerstreuen, doch bei Tyk biss er auf Granit.
»Das ist es doch«, sagte der Junge. »Das Feuer bannt mit seiner Wärme die eisigen Truppen in den Sturmfelsen.« Er deutete aufs Feuer. »Welche Wärme?«, fragte er höhnisch.
Jonaas und Kalil blickten automatisch in die Flammen, und sie wussten, das Tyk recht hatte.
Das Feuer war nicht heiß, nicht einmal lauwarm, also wie konnte es ihrer ganzen Welt Wärme schenken, wenn es nicht einmal in der Lage war, diese Höhle zu beheizen?
»Vielleicht ist alles nur ein Symbol«, begann Kalil, doch Tyk fiel ihm ins Wort. »Oder vielleicht ist auch alles nur Quatsch, reine Zeitverschwendung, völliger Unsinn.« Er wurde immer lauter, und Jonaas blickte sich unbehaglich um. Irgendwie hatte er Angst, dass das Feuer ihnen Tyks Anfall übelnahm.
»Langsam, langsam, Tyk«, sagte Kalil. »Hier, trink erst mal ‘nen Schluck, und dann beruhige dich.«
Der Angesprochene zögerte kurz, dann nahm er den dargebotenen Krug und setzte ihn an die Lippen.
»Ich weiß gar nicht, warum du dich jetzt noch so aufregst. Schließlich kann uns ab morgen dieses Feuerchen gestohlen bleiben«, beschwichtigte Kalil. »Morgen ist all dies hier vorbei.«
Tyk setzte den Krug so hart ab, dass er in zwei Teile zersprang. Wasser lief über die Felsen und benässte die Decke, auf der er saß.
»Aber das ist es ja gerade«, sagte er frustriert. »Morgen kehren wir ins Dorf zurück und feiern ein riesiges Fest. Aber übermorgen muss jeder seinen Platz in der Gemeinschaft einnehmen.« Er sah Jonaas an. »Du wirst die Heilkünste deiner Mutter erlernen.« Dann blickte er zu Kalil. »Und du wirst mit deinem Vater eure Felder bestellen und deine Hütte mit Duniah teilen. Und ich...«
Er sprang auf und trat die Scherben des Kruges durch die Höhle. »Ich hab einfach keine Lust, den Rest meines Lebens an einem Schmiedefeuer zu verbringen.«
Kalil und Jonaas sahen sich an, dann stand der Blonde auf und legte Tyk die Hand auf die Schulter. Natürlich wussten sie, dass ihr Freund das Schmiedekunstwerk seines Vaters nicht mit Begeisterung betrachtete, doch dass der Stachel so tief saß, hatten sie nicht geahnt.
»Wenn dich das so belastet, dann sprich mit deinem Vater und erkläre ihm, dass du etwas anderes machen möchtest.«
»Pah.« Tyk schüttelte die Hand seines Freundes ab. »Als ob das so einfach wäre. Meinst du, ich hätte etwas Derartiges nicht schon versucht?«
»Und?«
»Völlig zwecklos.« Er nahm ein Stück Dörrobst aus einem der Behälter und kaute darauf herum. Sein Blick ging ins Leere. »Mein Vater beruft sich auf die Traditionen«, sagte er leise. »Und die stehen in unserem Dorf doch beinahe über allem. Der Sohn eines Bauern wird Bauer, der eines Jägers Jäger, und jemand, der aus einer Hirtenfamilie kommt, wird Hirte, also bleibt für mich nur ...« Er brach ab.
»Aber was ist so schlimm daran?« Kalil wickelte sich in eine Decke. »Die Traditionen sorgen für Ordnung im Dorf. Jede Familie übernimmt eine Aufgabe, füllt sie gut aus und sorgt damit für das Gemeinwohl.«
»Pah, Gemeinwohl«, brach es aus Tyk hervor. »Und wo bleibt der Einzelne? Was ist mit mir? Bin ich dazu verurteilt, ein unglückliches Leben zu leben, nur damit es anderen gut geht?«
Er blickte aufs Feuer, und seine Augen blinzelten herausfordernd.
»Manchmal glaube ich, der Goon hatte recht«, sagte er trotzig und ließ sich zu Boden sinken.
Kalil und Jonaas zogen hörbar die Luft ein.
Der Goon. Es