Der Mensch – zu schlau zum Überleben. Dr. Matthias Meier
Oxycontin (Retard Produkt von Oxycodon) kommt auf den Markt und wird aggressiv vermarktet (Purdue Pharma).
2007: Purdue Pharma bekennt sich schuldig, das Produkt als sicherer beworben zu haben, als es in Wahrheit war. 634,5 Millionen Dollar Strafzahlungen wurden erstattet.
2010: FDA (Federal Drug Administration segnet eine neue Formel von Oxycontin ab, die es sicherer und weniger suchtgefährdend machen soll.
2015: DEA (Drug Enforcement Agency) verhaftet 280 Menschen, inklusive 22 Ärzte und Apotheker, nach einer 15-Monate langen Untersuchung aufgrund einer erhöhten Rate an Opiat-Verschreibungen.
2016: CDC (Center of Disease Control) veröffentlicht eine Leitlinie zur Verschreibung von Opiaten an Schmerzpatienten.
2017: Präsident Donald Trump unterschreibt eine Verordnung für die Entstehung einer Kommission, die sich dem Problem der Opiate widmet. Der New Jersey Gouverneur Chris Christie wird Vorsitzender, der Schwiegersohn des Präsidenten, Jared Kushner, sein Berater.
April 2018: Der US Surgeon General empfiehlt Amerikanern, Naloxon (wirkt antagonistisch zu Opiaten) bei sich zu tragen.
Mai 2018: Im „Journal of the American Medical Association“ wird eine Studie publiziert, die zeigt, dass synthetische Opiate wie „Fentanyl“ 46 % der Opioid-assoziierten Todesfälle 2016 verursacht hatten – eine Verdreifachung seit 2010.
Dezember 2018: Das CDC berichtet, dass Fentanyl die häufigsten Todesfälle von Opiatüberdosierungen darstellt. Von 2013–2016 stieg die Rate an Überdosierungen durch synthetische Opiate um 113 % pro Jahr.
Januar 2019: Die „National Safety Council“ berichtet, es sei nun das erste Mal, dass es wahrscheinlicher ist, von einer Opiat Überdosierung zu sterben als durch einen Autounfall.
März 2019: Mehr als 600 Städte und indianische Stämme aus 28 Staaten verklagten 8 Familienmitglieder der Sackler Family, die leitenden Figuren von Purdue Pharma, weil sie Verkaufszahlen durch manipulatives Marketing erhöht haben sollen.
Mai 2019: 5 Führungskräfte der Firma „Insys Therapeutics“ (Produktion einer Fentanyl-Version) werden für schuldig erklärt, Ärzte bestochen zu haben, Menschen Opiate verschrieben zu haben, die sie nicht brauchten.
Mai 2019: „Teva Pharmaceuticals“ ist bereit, 85 Millionen Dollar Strafe in Oklahoma zu zahlen.
26. August 2019: „Johnson & Johnson“ muss 572 Millionen Dollar Strafe zahlen für ihre Rolle in der Opiatkrise in Oklahoma.
27. August 2019: NBC News berichtet, dass Purdue Pharma anbietet, zwischen 10 und 12 Milliarden Dollar für ihre Rolle in der Entstehung der Krise zu zahlen.
16. September 2019: Die Familie Sackler wird beschuldigt, Überweisungen in Höhe von mindestens 1 Milliarde Dollar in die Schweiz veranlasst zu haben, um privates Vermögen zu sichern. Bereits 2007 seien 4 Milliarden Dollar Privatvermögen von der Firma abgezogen und ins Ausland überwiesen worden. Der Vergleich von 12 Milliarden Dollar wurde von den klagenden Staaten abgelehnt. Die Firma Purdue beantragt ein Insolvenzverfahren.
22. Oktober 2019: In Ohio wenden in letzter Minute richtungsweisenden Prozess durch 215 Millionen Dollar Vergleich ab.
Kapitel 3
Mineralien, die heimlichen Helden
Das Wissen um unsere Physiologie hat sich in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches vermehrt. Die Grundlagen wurden vor allem im 19. Jahrhundert gesetzt, als die technologischen Fortschritte auch die Medizinwelt veränderten. Chemie, Biochemie und Physiologie wurden zunehmend wissenschaftlich methodisch untersucht und erforscht. Die Idee wurde geboren, dass einige Erkrankungen vielleicht nur einen Mangel an irgendeinem vitalen Nährstoff darstellten und der Ersatz des richtigen Elements wieder zur Gesundheit führen würde. Das ist ein gänzlich anderer Ansatz als die Theorie, dass Erkrankungen durch ein „Zuviel“ an äußeren Einflüssen entstehen, beispielsweise Bakterien oder Gifte.
1755 wurde ein Bericht von Gaspar Casal publiziert, der einen Fall von „Pellagra“ beschrieb, damals eine nicht bekannte Erkrankung in Spanien, die durch Hautveränderungen, Durchfall und eine dementielle Entwicklung charakterisiert war, und sich interessanterweise im Frühling deutlich häufte. Die Opfer waren meist arm und ernährten sich von Maismehl/Maisgries ohne Zugang zu Milch oder Fleisch. In Italien wurden ähnliche Berichte öffentlich gemacht, auch hier waren vor allem die Armen betroffen. Zunächst wurde zu viel Mais als Ursache vermutet, da Mais in Europa erst durch die Spanier importiert wurde, nachdem sie Süd- und Mittelamerika kolonialisiert hatten. In diesen Ländern führte der Mais jedoch nicht zu den gleichen Symptomen, obwohl die Landbevölkerung ebenfalls wenig Zugang zu Milch und Fleisch hatte. Der Unterschied wurde in der Verarbeitung des Mais gefunden. Die Mexikaner tränkten den Mais in einer Holzaschenmischung, während die Europäer den Mais zu Polenta verarbeiteten, was zu einer Kontaminierung mit Pilzen oder Toxinen führen konnte. Weitere Theorien kursierten, bis ein Joseph Goldberger in den USA den erkrankten Menschen Milch und Eier verabreichte und damit die Symptome zum Verschwinden brachte9. Dies konnte in verschiedenen Ländern in Europa und in den USA reproduziert und verifiziert werden, sodass klar wurde, dass Pellagra einen Mangel an einem vitalen Nährstoff (Nikotinsäure – Niacin – „Vitamin B3“) darstellte.
9 Joseph Goldberger and Pellagra, M. G. Schultz, The American Society of Tropical Medicine and Hygiene, Volume 26, Issue 5, Part 2, 1 Sep 1977
1849 berichtete Thomas Addison von einer Blutarmut, die „perniziöse Anämie“ genannt wurde und fatal enden konnte. Die roten Blutkörperchen waren reduziert, aber vergrößert. Später wurde Vitamin B12 als das fehlende Element identifiziert, jedoch ist die Aufnahme im Darm nur durch einen im Magen vorkommenden „Intrinsic Factor“ sowie intakte Magensäure möglich, beides Produkte von intaktem Magenzellstoffwechsel.
Beriberi war eine nicht selten auftretende Erkrankung in den reishaltigen asiatischen Kulturen im 19. Jahrhundert, die sich durch Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Zittern, Bauchschmerzen, Brennen an den Füßen bis hin zu Lähmungen und Herzinsuffizienz auszeichnen kann. Auf längeren Seereisen erkrankten bis zu 60 % der Crew und 25 % starben. Sowohl Todesfälle als auch das Auftreten der Erkrankung konnten durch das Einführen von Gerste, Milch, Rindfleisch und Tofu gänzlich verhindert werden. Erst wurde gemutmaßt, die Erhöhung der Proteinzufuhr habe den Unterschied ausgemacht. In weiteren Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen weißem und braunem Reis hergestellt. 70 % von Gefängnisinsassen erkrankten mit weißem Reis als Hauptnahrungsquelle, während nur 3 % der Insassen mit braunem Reis in der Ernährung erkrankten. 1906 fand der norwegische Bakteriologe Axel Holst heraus, dass die Symptome in Hamstern allein durch Füttern von Kohl und Zitronensaft verschwanden. Im gleichen Jahr führte Frederick Gowland Hopkins ein Experiment an Ratten durch mit 2 Gruppen, die verschieden ernährt wurden. Die eine Gruppe erhielt Casein, Fett, Stärke, Zucker und Salz (bis dahin bekannte essenzielle Nährstoffe), die andere Gruppe wurde zusätzlich mit Milch gefüttert. Nur die Gruppe mit Milch Supplementierung gedieh. Daraufhin wurde auch für diese Erkrankung ein fehlender Stoff angenommen. 1912 erforschte Casimir Funk die Stoffe, die für die verschiedenen Erkrankungen als ursächlich in Frage kam, und nannte sie „vitale Amine“. Das Wort Vitamin entstand 1920, als bekannt wurde, dass nicht alle Vitamine Amine enthalten10. Funk konnte die einzelnen Vitamine den verschiedenen Erkrankungen zuordnen, sodass nun die wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung von Erkrankungen