Der Mensch – zu schlau zum Überleben. Dr. Matthias Meier
konnten nun erklärt werden. Vitamin D Mangel herrschte gerade in den Städten während der Industrialisierung, als Menschen, insbesondere die Armen und Kinder, in Kohlekraftwerken und unter der Erde arbeiten mussten. Vitamin A wurde zunächst als Faktor identifiziert, der die Erkrankung auslöste, jedoch wurde 1922 entdeckt, dass das ursprünglich als Vitamin A bezeichnete Molekül aus einem zweiten Co-Faktor besteht: Vitamin D.
10 Movers and Shakers: A Chronology of Words that shaped Our Age, John Ayfo, p. 54
1922 identifizierten 2 Wissenschaftler von der University of California Vitamin E als Fertilitätsfaktor bei Ratten und benutzten grünes Gemüse und Weizenkeime als Quelle (Evans et al., 1922).
Skorbut war eine Epidemie bei den Matrosen, die monatelang ohne frisches Obst oder Gemüse auf hoher See waren. 1919 wurde allgemein akzeptiert, dass ein isolierter Faktor aus Zitrusfrüchten Skorbut heilen konnte. 1932 wurde dieser Faktor als Vitamin C hergestellt und 1933 zu Ascorbinsäure („Anti-Skorbut-Säure“) umbenannt.
1971 empfahl Linus Pauling (doppelter Nobelpreisträger) die Supplementierung von Vitamin C in hohen Dosen, sowohl um Erkältungen als auch Krebs- und Herzerkrankungen vorzubeugen und zu behandeln. Viele Vorteile von Vitamin C wurden seiner Rolle als Cofaktor in der Herstellung von Bindegewebe (Kollagen) zugeschrieben, welches in Knochen-, Haut- und Gefäßstoffwechsel vorkommt. Die Dosis wurde auf 10–12 Gramm pro Tag festgelegt. Um Arteriosklerose (Arterienverkalkung) rückgängig zu machen, empfahl er 3–5 Gramm Vitamin C pro Tag und 2 Gramm L-Lysin pro Tag. Aber er ging noch weiter und empfahl Vitamin C auch zur Krebstherapie. Pauling hielt die für Erwachsene als ausreichend angesehene Dosierung von 50 bis 100 Milligramm pro Tag für zu gering, um eine optimale Wirkung zu entfalten. Seine Ansichten und seine Vitamin C-Studien wurden allerdings von der Wissenschaft nicht ernst genommen, da die von ihm vermuteten Wirkungen in mehreren klinischen Studien nicht nachgewiesen werden konnten. Eine 2015 in der Zeitschrift „Science“ publizierte Untersuchung ließ aber auf Grund neuer molekular-biologischer Befunde vermuten, dass Vitamin C tatsächlich eine anti-tumoröse Wirkung aufweist (1–5). Vor einigen Jahren konnte an der John Hopkins Universität gezeigt werden, dass das Wachstum von Dickdarm Krebszellen (und auch andere Arten) durch Mutationen in zwei Genen getrieben wird, was die Bildung von ungewöhnlich vielen Membrantransportproteinen für Glucose, also Zucker, förderte. Glucose und Glutamin sind die hauptsächlichen Nährstoffe für Krebszellen, daher werden in ihnen auch mehr Transportproteine genau dafür gebraucht. Vitamin C führt in den Zellen zu einer Hemmung des Glucosestoffwechsels, die Krebszellen erleiden sozusagen Hunger, da ihnen die Energiequelle versagt bleibt. Die Gabe von Vitamin C zur Tumortherapie hat eine kontroverse Geschichte. Während in einigen klinischen Studien ein Nutzen nachgewiesen werden konnte, konnte dieser in anderen Studien nicht bestätigt werden11. Diese Diskrepanz kann zumindest teilweise auf die Art der Vitamin C-Zuführung zurückgeführt werden. Bei der oralen Vitamin C-Therapie können im Gegensatz zur parenteralen (in die Venen oder Muskeln gespritzt) Therapie keine für die Krebszellen tödlichen Konzentrationen erreicht werden. Die intravenöse Therapie kann mit Dosierungen von 7,5–45 Gramm pro Infusionen eine deutlich höhere Konzentration im Blut erreichen.
11 Cancer and Vitamin C: a discussion of the nature, causes, prevention, and treatment of cancer with special reference to the value of vitamin C (1979), Cameron, Ewan Pauling, Linus Carl, The National Agricultural Library
Es gibt weitere Studien, die nahelegen, dass Vitamin C eine positive Rolle bei Krebserkrankten spielen könnte, bisher wurden die Daten bei Tieren ausgewertet und nicht in die Standards der klinischen Behandlung von Menschen aufgenommen12 13.
12 Vitamin C and cancer prevention: the epidemiologic evidence, G. Block, The American Journal of Clinical Nutrition, Volume 53, Issue 1, January 1991, Pages 270S-282S
13 Vitamin C selectively kills KRAS and BRAF mutant colorectal cancer cells by targeting GAPSH, J. Yun et al, Science 11 Dec 2015, Vol. 350, Issue 6266, pp. 1391–1396
Pauling selbst soll jahrelang 18 Gramm Vitamin C zu sich genommen haben und wurde 93 Jahre alt, er starb allerdings an Krebs.
Die Einsicht, dass ein Mangel an einem bestimmten Nährstoff zu einer Erkrankung führen kann, ist seit nun über 100 Jahren bekannt und akzeptiert. Allerdings bilden die Vitamine nur einen Teil der insgesamt 90 essenziellen Nährstoffe für Menschen, die täglich gebraucht werden:
1 Vitamine: Vitamin A, B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B3 (Niacin), B5 (Pantothensäure), B6 (Pyridoxin), B12 (Cyanocobalamin), C, D, E, K, Biotin, Cholin, Flavonoide und Bioflavonoide, Folsäure und Inositol. Weitere essenzielle Nährstoffe sind
2 Aminosäuren: Valin, Lysin, Threonin, Leucin, Isoleucin, Tryptophan, Phenylalanin, Methionin, Histidin, Arginin, Taurin und Tyrosin (die letzten drei werden zwar nicht als essenziell bezeichnet, können aber bei einem Mangel bestimmte Erkrankungen verursachen).
3 Fettsäuren/Cholesterin: Linolsäure, Linolensäure, Arachidonsäure und Cholesterin (Cholesterin kann auch vom Körper hergestellt werden, ein Mangel resultiert einigen Wissenschaftlern zufolge in Alzheimer Demenz, Diabetes mellitus Typ II, erektile Dysfunktion, Burn-out u. a.)
Die Forschung zu Ernährung hat aber in den letzten Jahrzehnten auch weitere Fortschritte in den Erkenntnissen unseres Stoffwechsels erbracht, die dem Leser hier nicht vorenthalten werden sollen. Wenn ein Mangel an Vitaminen, Aminosäuren oder Fettsäuren eine bestimmte Erkrankung oder einen Symptomkomplex verursachen kann, wie steht es um Mineralien? Dazu einige wichtige Grundlagen:
Mineralien finden sich ausschließlich in der Erdkruste. Weder Pflanzen noch Tiere oder Menschen können sie herstellen. Wir sind also als Lebewesen auf dieser Erde darauf angewiesen, dass die Pflanzen Mineralien aus der Erde aufnehmen und uns diese zur Verstoffwechselung zur Verfügung stellen, indem wir sie essen. Das ist der Weg des Lebens und kann nicht geändert werden. Sie können nicht Calcium-Gestein essen und glauben, dass das Ihren Knochen stärkt. Genauso wenig wird anorganisches Eisen Ihren Blutwerten helfen. Dass es Mineralien gibt und sie eine Rolle in unserer Gesundheit spielen, ist ebenfalls seit etwa 100 Jahren bekannt. 1912 beobachtete ein Prof. Wasserman aus Berlin, dass Tumore in Mäusen durch eine Injektion von Selen verschwanden. Da die Tumore in Mäusen und Menschen eine hohe Ähnlichkeit haben, versprach sich Prof. Wasserman einen enormen Nutzen in der Bekämpfung von Krebserkrankungen beim Menschen durch Selen.14 2002/2003 wurde sogar ein Gerichtsprozess gegen die FDA (Federal Drug Administration in den USA) verhandelt, aufgrund der Aussage, dass Selen die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einiger Krebsarten reduziert (wurde gewonnen). In der Zeitschrift „The Lancet“ erschien 2000 eine Studie, die die Wichtigkeit von Selen unterstrich. Selen sei von essenzieller Bedeutung für die menschliche Gesundheit (6). Es reduziert antioxidativen Stress, schützt bei HIV-positiven Menschen die Progression zu AIDS, fördert die Mobilität von Spermien und scheint die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt zu vermindern. Ein Mangel wurde mit Stimmungsschwankungen in Zusammenhang gebracht, genau wie mit Herzkreislauferkrankungen.
14 Dr. Sigmund Fränkel: Die Arzneimittel-Synthese, Auf Grundlage der Beziehungen zwischen chemischem Aufbau und Wirkung; Für Ärzte, Chemiker und Pharmazeuten, Springer Verlag 2013
Grundsätzlich sind Mineralien notwendig und dienen unter anderem als Cofaktoren für die ca. 10.000 Enzyme im menschlichen Körper, die biochemische Reaktionen katalysieren, für Gewebestabilität, physiologische Prozesse wie Muskelkontraktion und vieles mehr. Die eigentliche Frage ist, ob wir die nötigen Nährstoffe mit der Ernährung aufnehmen oder nicht. Auch hierzu findet man widersprüchliche Aussagen. 1992 fand der sogenannte „Earth Summit“ der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro statt. Es wurde festgehalten, dass die Böden der USA und Kanada im Zeitraum von 1936 bis 1992 etwa 85 % ihres Mineraliengehalts verloren hatten, Asien und Südamerika etwa 76 %, Afrika 74 %, Europa 72 % und Australien 55 %. Im März