KALTE GIER. Rachel Amphlett

KALTE GIER - Rachel Amphlett


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neue Jahr zu beginnen, dachte Dan. Er las den Bericht ein zweites Mal. Sein Herz schlug heftig, als er darin nach Antworten suchte, die er nicht finden würde. Er schob den Artikel zur Seite und griff nach seinem Handy. Nachdem er seine Mailbox aufgerufen hatte, hörte er sich Peters Botschaft noch einmal an.

      Es war seltsam, Peters Stimme nach so vielen Jahren wieder zu hören. Sie waren damals auf der Universität im selben Team gerudert, hatten sich dann aber aus den Augen verloren, Dan sich entschied, zur Armee zu gehen. Kratzend fuhr sich Dan über die Stoppel an seinem Kinn und stierte vor sich hin. Er hatte Peter als großgewachsenen Mann in Erinnerung, der genau wusste, wie man zu kämpfen hatte, wenn es erforderlich war. Es erschien ihm einfach nicht richtig, dass er so leicht angegriffen und überwältigt werden konnte.

      Dan konnte sich jedoch nicht daran erinnern, dass Peter jemals zuvor so verängstigt geklungen hatte. Und als er die Nachricht ein weiteres Mal abhörte, fragte er sich, was dieser durch seine jüngste Forschung wohl aufgedeckt haben könnte, um solch eine Reaktion hervorzurufen.

      Er stand auf und bereitete den Kaffee zu, dann nippte er schluckweise daran, während er in der Küche auf und ab ging. Er konnte die letzte Bitte seines Freundes nicht ignorieren. Er musste einfach sicherstellen, dass es Peters Ex-Frau, Sarah, gut ging … allerdings musste er sie dazu erst einmal finden. Von einem gemeinsamen Bekannten hatte er gehört, dass sich Peter und Sarah vor einer Weile getrennt hatten. Er stellte seinen Kaffeebecher ab und holte sich ein Notizbuch und einen Stift. Daraufhin griff er erneut nach seinem Handy. Er erinnerte sich vage daran, dass Peter ihm erzählt hatte, seine Ex-Frau würde jetzt als Reporterin für eine der nationalen Zeitungen arbeiten. Dan gähnte, als er durch die im Online-Telefonverzeichnis aufgeführten Nummern scrollte. Vielleicht würde ja ihr Redakteur ihm verraten, wo er sie finden konnte.

      Nachdem er das Zeitungsbüro erreicht hatte, wurde er an den Redakteur Gus Saunders vermittelt. Nach einem kurzen Verhör, auf das die örtliche Polizeitruppe stolz gewesen wäre, gab er Dan widerwillig Sarahs aktuelle Adresse und Telefonnummer heraus.

      Dan wählte die genannte Nummer und blätterte die Zeitung durch, während er auf eine Antwort wartete. Es gab jedoch keine. Letztlich beendete er den Anruf und sah sich in der Küche um. Dann seufzte er. Vielleicht sollte er der Ex-Mrs. Edgewater einen Besuch abstatten. Zumindest würde es ihm etwas anderes zu tun geben, als die Wände anzustarren, während er darauf wartete, dass ihn der nächste Bergbau-Job fand.

      Eine halbe Stunde später war Dan auf der Hauptstraße Richtung Sutton Courtenay unterwegs. Nachdem er an der Kreuzung abgebogen war, fuhr er die Ringstraße entlang, bis er einen Kreisverkehr erreichte, an dem er nach links abbog. Nach Aussage ihres Redakteurs stand Sarahs Haus in einer kleinen Straße etwa eine Meile in den Ort hinein.

      Er entdeckte die Nummer siebenunddreißig ziemlich schnell. Ein hübsches Drei-Schlafzimmer-Cottage, das etwas von der Straße zurückgesetzt stand. Es lag am Ende einer Häuserreihe und hatte einen hübschen, kleinen Garten, der von einem niedrigen weißen Zaun geschützt wurde. Ein öffentlicher Fußweg führte rechts am Grundstück vorbei und wieder zurück zur Hauptstraße.

      Dan steuerte sein Auto in eine Parkbucht, schaltete den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, aber Peter hatte ihn darum gebeten und unter den gegebenen Umständen war es das Mindeste, was er tun konnte.

      »Also los«, murmelte Dan zu sich selbst, als er den Weg entlangging und die Türglocke läutete.

      Während er darauf wartete, dass die Tür geöffnet wurde, versuchte Dan verlegen, seine wilden Haare glatt zu streichen und seine Jacke zurechtzurücken. Er schaute auf seine Stiefel hinunter und bemerkte, wie abgewetzt sie waren. Dann versuchte er sich daran zu erinnern, wann er sie das letzte Mal poliert hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, als das Polieren von Stiefeln seine zweite Natur gewesen war. Er schniefte, zwang die Erinnerung aus seinen Gedanken und blickte zur Haustür hinauf. Die kalte Luft klammerte sich an seinen Ohren und Fingern fest, eine beißende, scharfe Brise peitschte durch seine Haare. Er wollte der Tür befehlen, sich zu öffnen …, und zwar bald, bevor er erfroren war.

      Ein Licht wurde eingeschaltet – ein blasses Glühen, das durch die vier Glasscheiben schien, die im oberen Teil der Holztür eingebettet waren. Dans Gesicht glühte in der Reflexion. Das graue Nachmittagslicht verblasste schnell; ein weiterer Schneesturm war im Anmarsch. Dan trat aus dem Schutz der Veranda zurück und blickte nach oben, versuchte die Sturmwolken allein mit seinem Willen zu vertreiben. Er wollte hier nicht feststecken. Wollte einfach nur seine Pflicht erfüllen, herausfinden, hinter welcher Sache Peter her gewesen war und dann schnell wieder abhauen.

      Die Silhouette einer Gestalt tauchte hinter der Tür auf. Zögerte.

      »Wer ist da?« Eine gedämpfte Frage, die voller Anspannung war. Falls er falsch antwortete, würde sich die Tür nie öffnen.

      Dan dachte über den ersten Eindruck nach, den man nur einmal hinterlassen konnte. Und versuchte automatisch erneut, seine Haare zu glätten. Er atmete tief durch. »Mein Name ist Dan. Ich bin ein Freund von Peter.« Er hielt kurz inne. »Ein richtiger Freund.« Er spähte durch das pockennarbige Glas, das stark verzerrte.

      Eine große, schlanke Frau mit blassbraunem Haar spähte zurück. Sie zauderte.

      Dann hörte Dan das Geräusch einer Sicherheitskette, die gegen die Holzoberfläche der Tür klapperte. Die Frau zögerte erneut, doch schließlich wurde der Bolzen zurückgezogen und die Tür geöffnet.

      Dan betrachtete die Frau. Sie war blass und in einen Pullover gewickelt, der dreimal zu groß für ihren Körper war und den sie einfach über ein Paar schmal geschnittene Jeans geworfen hatte. Sie trug dicke Socken. Dan blinzelte, als ihn die Wärme aus dem Haus umhüllte.

      »Was wollen Sie?«, flüsterte die Frau.

      »Ich will helfen«, antwortete er.

      Die Frau nickte. »Er hat mir geschrieben und gesagt, dass Sie vielleicht kommen würden.« Sie streckte ihre Hand aus. »Ich bin Sarah«, sagte sie.

      Dan ergriff sie mit einem schwachen Lächeln. »Das hatte ich gehofft«, antwortete er. »Kann ich reinkommen? Es ist arschkalt hier draußen.«

      Kapitel 6

      

      Dan saß Sarah auf dem Sofa gegenüber. Als er seine Kaffeetasse auf dem Tisch abstellte, bemerkte er eine dünne Staubschicht, die wohl trauerbedingter Nachlässigkeit geschuldet war. Ein Holzfeuer brannte in einem Kamin, erfüllte den kleinen Wohnbereich mit Wärme und warf Schatten an die Wände.

      Er blickte auf, bemerkte, wie Sarah ihn beobachtete, und lächelte nervös. Sie sah erschöpft aus. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und ihr Gesicht vollkommen ungeschminkt. Groß und ohnehin schlank, schien sie in kürzester Zeit viel Gewicht verloren zu haben.

      Während er sich auf den Ellbogen nach vorn beugte, holte Dan tief Luft und fing an:

      »Sarah, ich weiß, dass wir uns noch nie getroffen haben, und du daher keinen Grund hast, mir zu vertrauen, doch ich war ein enger Freund von Peter. Ich habe keine Ahnung, was dir die Polizei erzählt hat, aber ich glaube die Geschichte nicht, die sie den Zeitungen aufgetischt haben. Da gibt es für mich einfach zu viele Ungereimtheiten und ich muss herausfinden, was wirklich passiert ist.«

      Er unterbrach sich und sah auf. Sarah schien ihn eine Ewigkeit lang schweigend anzustarren. Als sie schließlich sprach, klangen ihre Worte leise und Dan musste sich in ihre Richtung lehnen, um sie zu verstehen.

      »Ich bin so froh, dass noch jemand genauso denkt wie ich – sie meinen, ich wäre paranoid, aber ich weiß einfach, dass irgendetwas nicht stimmt …«, sie schweifte ab und blickte aus den Verandafenstern, bevor sie sich wieder zu ihm wandte.

      »Peter kannte die Abkürzung hinter dem College in- und auswendig. Er ging dort oft nach den Vorträgen spazieren, um abzuschalten. Das kann einfach nicht sein …«, sprach sie wütend. »Sie sagen, es war ein Straßenräuber – ein nicht provozierter Angriff.«


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