KALTE GIER. Rachel Amphlett

KALTE GIER - Rachel Amphlett


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unter den Umständen etwas komisch klingen, aber arbeitete Peter in letzter Zeit länger oder vielleicht auch an Tagen, an denen er normalerweise zu Hause gewesen wäre?«, fragte er und nahm vorsichtig einen Schluck des heißen Getränks.

      »Nicht, dass ich wüsste, aber wir sprachen nur noch gelegentlich miteinander. Er hat sich so in seine Forschungen und Vorträge vergraben, dass es immer häufiger einfach unmöglich war.« Sie faltete die Hände unter dem Kinn zusammen und legte gedankenversunken ihre Ellbogen auf die Knie. Nach einer Weile sah sie Dan direkt an. »Warum sollte ich dir vertrauen?«

      »Weil ich Peters Freund bin. Wir sind zusammen zur Universität gegangen, haben uns dann aber für ein paar Jahre aus den Augen verloren, bis er mich letzte Woche aus Berlin angerufen hat. Er klang dabei verdammt aufgeregt. Es ging ihm um irgendeine Entdeckung. Dann, vor ein paar Tagen, rief er wieder an … diesmal aus Paris. Ich war nicht zu Hause, also hat er eine Nachricht auf meinem Handy hinterlassen. Er schien in Eile zu sein, die Botschaft war absolut wirr. Etwas über ein Paket, das er dir geschickt hat und bei dem er sicherstellen wollte, dass es wohlbehalten angekommen ist. Er klang ängstlich. Er hat sogar gesagt, dass er Angst hat, sein Leben könne in Gefahr sein.«

      Dan fuhr zusammen, als im Kamin ein Holzscheit in der Hitze knallte. Er schluckte und wartete, bis sich sein Herzschlag wieder etwas beruhigte. Er blickte in die Flammen, dann zurück zu Sarah.

      »Er wollte, dass ich überprüfe, ob mit dir alles in Ordnung ist. Einen Tag, nachdem er auf meine Mailbox gesprochen hatte, habe ich versucht, ihn zurückzurufen, bin aber nicht durchgekommen. Ich hinterließ Nachrichten für ihn, doch er hat nicht auf meine Anrufe reagiert. Und dann las ich heute Morgen in der Zeitung, dass er getötet wurde. Ich will wissen, warum. Keine Ahnung, wo genau er dran war, aber ich denke, er hat sich damit tief in die Scheiße geritten.«

      Er brach ab und starrte auf seine Hände.

      »Und nun bist du hier«, sagte Sarah.

      »Ja.«

      Sie griff nach ihrem Kaffeebecher und führte ihn zu den Lippen, schien es sich dann aber anders zu überlegen. Sie stellte den Becher auf den Couchtisch zurück und blickte ihn an.

      »Warte hier.«

      Dan beobachtete sie, während sie den Raum verließ. Er konnte hören, wie sich ihre Schritte durch den Flur in den hinteren Teil des Hauses bewegten. Er stand auf und ging zu einem Schreibtisch, der in der Ecke stand. Der Computerbildschirm war dunkel, das Gerät ausgeschaltet. Er blickte auf, um sicherzustellen, dass sich Sarah immer noch außerhalb des Raumes befand, und sah sich dann einige Dokumente auf ihrem Schreibtisch etwas näher an. Die Unterlagen hatten alle mit ihrer Arbeit bei der Zeitung zu tun … nichts davon schien von Peter geschickt worden zu sein. Nachdem er zum Terrassenfenster hinübergeschlendert war, schaute Dan hinaus in den kleinen Garten. Er überlegte, was genau Peter in Erfahrung gebracht haben könnte, dass sein Leben in Gefahr gebracht hatte. Als Sarah wieder in den Raum zurückkam, drehte er sich zu ihr um.

      »Ich denke, das ist bei dir besser aufgehoben«, sagte sie, während sie ihm einen großen, gepolsterten Umschlag übergab.

      »Was ist da drin?«

      »Schau nach. Er ist sowieso für dich.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und nahm nun einen kräftigen Schluck von ihrem Kaffee, bevor sie Dan weiter anvisierte. »Tja, worauf wartest du? Mach ihn schon auf.«

      Dan lehnte sich auf dem Sofa nach vorn und untersuchte das Päckchen. Es war ein gepolsterter, weißer DIN A4 Umschlag, auf dessen Vorderseite mit hastiger Handschrift Sarahs Anschrift gekritzelt worden war. Er wendete den Umschlag einmal in seinen Händen und hob eine Augenbraue, während er wieder zu Sarah sah.

      »Der ist ja bereits offen«, stellte er fest und zeigte auf das Stück Tesafilm, das auf der Rückseite klebte.

      Sarah schmunzelte leicht. »Ich bin eine Journalistin, was erwartest du denn? Woher sollte ich wissen, dass du hier tatsächlich auftauchst?«

      Dan hob gleichgültig die Schulter und gab ihr insgeheim recht. Er riss den Umschlag auf und bemerkte dabei den Luftpostaufdruck und die ausländischen Briefmarken. Dann griff Dan hinein und holte den Inhalt heraus: Ein Bündel Dokumente und Peters handgeschriebene Notizen. Er blätterte durch die losen Forschungsunterlagen, drehte Fotos um, las die Abschriften auf den Rückseiten und inspizierte die Zeitungsausschnitte und hastig hingekritzelten Diagramme.

      »Wie kommt es, dass du mit dem Material noch nichts gemacht hast?«

      Sarah zuckte mit den Achseln. »Um ehrlich zu sein, ich verstehe nicht mal die Hälfte davon auch nur annähernd.« Sie deutete auf den Laptop, der in der Ecke stand. »Ich habe damit angefangen, aber da gab es einen Teil von mir, der wissen wollte, ob du hier tatsächlich auftauchst.« Sie seufzte. »Ich weiß, Peter und ich haben uns nicht ständig persönlich gesehen, aber ich erinnere mich, dass er vor ein paar Jahren gesagt hat, er würde gern wissen, ob er in einer Notlage auf dich zählen kann. Nachdem du aus dem Mittleren Osten zurückgekommen warst, hat er sich wirklich Sorgen um dich gemacht.« Sie lächelte. »Ich dachte, ich lasse dir ein paar Tage Zeit, und falls du nicht auftauchen solltest, würde ich etwas Urlaub nehmen und selbst herausfinden, was an der Sache dran ist.«

      Dan wendete das Dokument, das er in Sarahs Richtung hielt. »Nun, wenn ich es schaffen sollte, herauszubekommen, was tatsächlich los ist, werde ich jemanden brauchen, der mir dabei hilft, seine gotterbärmliche Handschrift zu entziffern.«

      Sarah lächelte. »Dann ist sie also mit dem Alter nicht besser geworden?«

      »Das soll wohl ein Scherz sein. Ich erinnere mich gerade wieder, warum es vollkommen nutzlos war, «sich in der Uni Peters Hausaufgaben auszuborgen.«

      Er sah Sarah über den Couchtisch hinweg an. »Was denkst du?«

      Sie hielt seinem Blick stand und lächelte. »Dann sollten wir herausfinden, woran Peter gearbeitet hat. Ich werde meinen Redakteur Gus anrufen und mir ein paar Tage freigeben lassen. Gleich morgen fahre ich dann zu Peters Haus und schau nach, was ich dort sonst noch finden kann.«

       Oxford, England

      Sarah attackierte die Eisschicht auf der Windschutzscheibe heftig mit ihrer Kreditkarte. Jeden Winter schwor sie sich, endlich einen anständigen Eiskratzer zu kaufen, und jeden Winter schaffte sie es, den Kauf wieder zu vergessen.

      Sie fluchte, als ihr Daumennagel einriss, dann wischte sie das Eis von der Plastikkarte ab und nahm sich die Seitenfenster vor. Während sie schabte und sich methodisch um das Auto herumarbeitete, trampelte sie mit den Füßen, um ihre Zehen wenigstens ein bisschen warm zu halten.

      Schließlich waren die Scheiben eisfrei und sie sprang auf den Fahrersitz. Nachdem sie die Tür zugeschlagen hatte, drehte sie die Heizung voll auf und genoss den warmen, kuscheligen Innenraum. Sie schaltete das Radio ein, während sie darauf wartete, dass ihre tauben Finger wieder durchblutet wurden.

      Die Nachrichten spuckten die übliche Berichterstattung aus – Anstieg der Benzinpreise; Energieunternehmen, die mit der winterlichen Nachfrage nach Gas kämpften; die durch die Kälte bedrohte Stromversorgung. Sarah schüttelte monierend den Kopf, während sie zuhörte. Die Politiker würden es wohl nie schaffen, die Dinge unter sich zu regeln.

      Sie setzte auf ihrer Auffahrt zurück und war innerhalb von fünfzehn Minuten auf der Hauptstraße nach Oxford, unterwegs zu ihrem Ziel. Während sie fuhr, summte sie zum Radio und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. Sie konnte es kaum erwarten, Peters Haus zu erreichen. Nach einer Weile verließ sie die Hauptstraße wieder und begann, sich durch die Vorstadtstraßen zu schlängeln, bis sie schließlich die Straße fand, nach der sie suchte.

      Auf einer von Bäumen gesäumten Allee parkte Sarah den Wagen auf dem Bordstein. Eine wohlhabende Gegend, große Häuser versteckten sich hinter perfekt geschnittenen Ligusterhecken oder eingezäunten Gärten. Während sie den Motor abschaltete, blickte sie auf das Haus, das ein paar Meter weiter rechts von ihr stand und seufzte. Früher einmal waren sie hier so glücklich gewesen. Es fühlte sich jedoch


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