Der tote Zwilling. Bernd Udo Schwenzfeier

Der tote Zwilling - Bernd Udo Schwenzfeier


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Dienst (ZMD)«

      Manfred blieb für einen Augenblick vor dem tristen grauen Gebäudekomplex des Ministeriums für Staatssicherheit stehen. Er sah sich noch einmal prüfend um, ehe er die mittlere der drei schweren Schwingtüren am Eingangsportal mit einem Ruck aufstieß. Den beiden Posten im Eingangsbereich zeigte er unaufgefordert seinen Dienstausweis vor, obwohl er in Uniform war.

      »Was können wir für Sie tun, Herr Oberst?«, fragte einer von ihnen beflissen, nachdem er salutiert hatte.

      »Ich habe einen Termin bei Herrn Oberstleutnant Jacobi von der Abteilung ZMD.«

      »Wir wissen bereits Bescheid. Der Herr Oberstleutnant erwartet Sie. Fahren Sie mit dem Fahrstuhl bis in den 6. Stock. Gehen Sie dann nach rechts bis zum Zimmer 612.« Der Posten nahm einen bereits vorbereiteten Laufzettel, trug die Uhrzeit ein und übergab ihn ihm. »Herr Oberst, den müssen Sie mir nachher wieder unterschrieben zurückgeben.«

      Manfred nickte genervt. Ihm lief die Zeit davon, und er wollte bei diesem enorm wichtigen Gespräch mit dem Geheimdienstmann nicht zu spät kommen.

      Vor der Tür seines Gesprächspartners verhielt er einen Augenblick und atmete einmal tief aus, ehe er entschlossen an die Tür klopfte.

      »Herein«, rief eine sonore Stimme.

      Er betrat einen großen Raum, der mit den üblichen kargen und schmucklosen Büromöbeln ausgestattet war.

      Ihm fiel sofort ein großes Bild ins Auge, das an der Wand hinter dem Schreibtisch hing und den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker beim Begrüßen einer Kindergruppe der FDJ zeigte. Durch die hohen Fenster blickte man auf die schmutzig roten Dächer der umliegenden Wohnblöcke.

      Ein etwa 50-jähriger schlanker Mann in Zivil erhob sich von seinem Stuhl, trat hinter dem altmodischen Schreibtisch hervor und kam ihm mit einem leichten Lächeln entgegen. »Schön, dass Sie heute Zeit haben, Herr Oberst«, begrüßte er ihn und gab ihm die Hand. »Ich freue mich immer wieder, wenn ich einen hohen Offizier unserer Nationalen Volksarmee begrüßen kann.«

      »Ich freue mich auch, Herr Oberstleutnant«, gab Manfred zurück. »Hoffentlich haben Sie eine gute Nachricht für mich und vor allem für meine Frau.«

      »Nehmen Sie erst einmal Platz, lieber Oberst Opitz. Möchten Sie etwas trinken, Kaffee, Wasser, Tee oder vielleicht etwas anderes? Ich habe einen guten britischen Whisky im Schrank, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Ein wahrlich köstlicher Tropfen. Den müssen Sie unbedingt einmal probieren«, schwärmte Jacobi und schnalzte verzückt mit der Zunge.

      »Nein, danke, das ist mir noch zu früh«, erwiderte Manfred und setzte sich auf den ihm angebotenen Stuhl. Er mochte diesen aalglatten Stasibeamten nicht sonderlich, hatte sich doch bei den telefonischen Kontakten in den vergangenen Wochen keine allzu große Sympathie eingestellt. Außerdem war er viel zu angespannt, als dass er große Lust auf eine längere Unterhaltung mit Jacobi hatte, die vielleicht auch noch ins Private abdriftete. Hinzu kam, dass er Alkohol im Dienst strikt ablehnte. Stattdessen wartete er voller Ungeduld auf die Entscheidung der Staatssicherheit, ob seinem Gesuch entsprochen worden war. Dann wäre die quälende Ungewissheit für Johannas und seine Zukunft ein für alle Mal zu Ende, und sie würden endlich Gewissheit haben, ob sich ihr großer Herzenswunsch nach einem Kind erfüllen würde oder nicht. Er spürte, wie seine Erregung bei diesen Gedanken zunahm und sein Herz heftig zu klopfen begann.

      »Schade, der hätte Ihnen bestimmt gut geschmeckt«, sagte Jacobi mit einem schmalen Lächeln. Sein Blick streifte die altmodische Wanduhr. »Na ja … ist vielleicht noch ein bisschen zu früh um diese Tageszeit.« Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, auf dem nur eine dünne Mappe lag. Er räusperte sich, schlug die Mappe auf, blätterte darin und nahm ein Blatt Papier in die Hand, überflog noch einmal den Inhalt. »Ich freue mich wirklich, lieber Herr Oberst, dass wir Ihnen eine positive Antwort auf Ihren Antrag hin geben können. Alle eingereichten Unterlagen haben wir überprüft, auch das noch nachgereichte zweite Gutachten über die dauernde Unfruchtbarkeit Ihrer Gattin. Meine Vorgesetzten haben grünes Licht gegeben. Wir werden aller Wahrscheinlichkeit nach in Bälde Ihrem Wunsche entsprechen und Ihnen ein Kind zuweisen können. Entsprechende Informationen über eine, sagen wir mal, geeignete Spenderin haben wir vor Kurzem erhalten. Es wird allerdings noch geraume Zeit dauern, bis Sie und Ihre Gattin über das Kind verfügen können.«

      Manfred starrte Jacobi überrascht an. »Das habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt«, stieß er hervor. »Was ist es denn, ein Mädchen oder ein Junge?«

      Jacobi lächelte süffisant. »Was hätten Sie denn gern, Herr Oberst?«

      »Das ist mir im Grunde völlig egal. Hauptsache, das Kind ist gesund.«

      »Na, dann will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen. Es ist ein Junge!«

      »Das ist ja wunderbar, Herr Oberstleutnant. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir immer einen Sohn gewünscht. Sie sehen mich überglücklich.« Er vergaß für einen Moment jegliche Zurückhaltung. »Das muss ich gleich meiner Frau mitteilen. Die wird richtig aus dem Häuschen sein.« Er schüttelte fassungslos den Kopf und fuhr sich immer wieder über sein Haar, aber nach diesem kurzen Gefühlsausbruch war er wieder der beherrschte Militär. »Herr Oberstleutnant, wann ist es denn mit der Geburt so weit?«, fragte er und sah Jacobi erwartungsvoll an.

      Der blätterte in dem Vorgang. »Das kann man noch nicht genau sagen, aber nächster Monat wäre unter Umständen möglich. Wie gesagt, das können wir im Augenblick nur abschätzen. Wir verlassen uns da ganz auf den behandelnden Gynäkologen dieser Frau.«

      »Herr Oberstleutnant, darf ich fragen, um wen es sich dabei handelt?«, fasste Manfred vorsichtig nach. Ihn interessierte natürlich brennend, woher und von wem das Kind stammte.

      »Nun ja, wir haben da eine junge, ledige Frau im Visier, über die uns ihr behandelnder Gynäkologe dankenswerterweise berichtet hat. Sie ist bereits Mutter mehrerer unehelicher Kinder, zeigt asoziale Tendenzen, ist arbeitslos, dem Alkohol nicht abgeneigt und verhält sich offensichtlich nicht im Sinne unserer sozialistischen Werteordnung, die uns von der Partei vorgegeben wurde. Sie ist mit Zwillingen, beides Jungen, schwanger, und es wird wahrscheinlich aufgrund ihrer persönlichen Situation und ihrer Disziplinlosigkeit in Kürze zu einer Frühgeburt kommen. Sie verstehen …?«

      Manfred nickte. »Aber das Kind wird doch keinen Schaden davontragen?«, fragte er hastig und spürte, wie ihm vor Aufregung der Mund trocken wurde.

      »Nein, nein«, beeilte sich Jacobi zu antworten. »Sie erhalten nur ein gesundes Kind. Da können Sie ganz der Kompetenz unserer Ärzte vertrauen, lieber Herr Oberst«, beschwichtigte ihn der Stasimann mit jovialem Lächeln. »Am besten, Sie und Ihre Gattin bereiten sich ab heute auf Ihre Rolle als künftige Eltern vor.«

      Manfred rieb sich zufrieden die Hände und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Das war ein guter Tag, und seine geliebte Johanna würde endlich wieder aus ihrem seelischen Tief herausfinden, in das sie nach der vor einigen Jahren erhaltenen niederschmetternden Diagnose der dauernden Unfruchtbarkeit hineingeraten war. Endlich würde sich ihr gemeinsamer Wunsch nach einem Kind erfüllen. »Herr Oberstleutnant, gestatten Sie mir noch eine Frage: »Was erklären Sie denn der Mutter, wenn sie nach ihrem zweiten Kind fragt?«

      »Keine Sorge, wir haben nachvollziehbare Gründe zur Auswahl. Aber das sollte Sie nicht weiter interessieren. Sie verstehen …?« Sein Hinweis war allzu deutlich. Jacobi wollte wohl nicht weiter über das unappetitliche Prozedere reden. Aber er wollte es und bohrte deshalb unbeirrt nach. »Ich hätte schon ganz gern eine Antwort auf meine Frage, Herr Oberstleutnant.«

      Jacobi verzog das Gesicht, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte. Schließlich nickte er. »Eigentlich wollten wir Sie damit nicht belasten.« Er hüstelte verlegen, und Manfred sah, wie er mit sich rang. Nach einem Moment des Zögerns nickte er erneut. »Nun gut, wenn Sie unbedingt darauf bestehen. Sie können versichert sein, dass die Wegnahme nur dem Kindeswohl dient, wenn wir es aus diesem Milieu herausholen. Es gibt zum Glück noch verantwortungsbewusste Ärzte, die die staatlichen Gesundheitsorgane informieren, wenn etwas in dieser Hinsicht aus dem Ruder läuft. Das ist uns als Staatssicherheit


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