Der tote Zwilling. Bernd Udo Schwenzfeier

Der tote Zwilling - Bernd Udo Schwenzfeier


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der Vater?«

      »Da gibt es drei Väter.«

      »Was?«

      »Sie haben richtig gehört.« Sie wurde langsam sauer. Was wollte der Weißkittel von ihr? Den Moralapostel spielen? Das fehlte noch. Es ging jetzt um ihre ungeborenen Kinder und um sie. »Und, Schwester? Haben Sie damit ein Problem? Sind die Namen der Väter für meinen jetzigen Zustand von Bedeutung?«

      »Nein, nein«, beeilte sich die Schwester zu antworten. »Das ist es nicht, es ist nur recht ungewöhnlich.« Sie schüttelte den Kopf, notierte pikiert die Angaben in ein Formular und sah sie mit einem lauernden Blick an. »Wie heißt denn der Vater ihres jetzigen Kindes?«

      »Das weiß ich nicht. Ich kenne nur seinen Vornamen. Das Jugendamt ist gerade dabei, seinen Nachnamen zu ermitteln.«

      Schwester Bärbel sah sie mit offenem Mund an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Nun gut, das ist ja eigentlich auch Ihre Sache. Dann schreibe ich in die Spalte eben ‚unbekannt‘. Nun zu Ihrem Beruf und Ihrer Arbeitsstelle. Können Sie dazu Angaben machen?«

      »Sicher, Schwester!« Für einen Augenblick vergaß sie ihren Zustand und wo sie gerade war. Es machte ihr mit einem Mal Spaß, die Schwester zu provozieren. Sie hatte nichts zu verlieren. Die Sachbearbeiterin von der Sozialfürsorge hatte sie sich schon oft genug zur Brust genommen und ihren Lebensstil kritisiert. Und auch beim Jugendamt galt sie als problematischer Fall. Na und, was soll’s? Sie hatte nicht vor, etwas zu verändern. Sie bekam regelmäßig Geld vom Amt und Alimente von zwei Vätern. Es war nicht viel, aber sie kam gerade so über die Runden. Und wenn das Geld nicht reichte, steckte ihr ihre Mutter gelegentlich etwas zu. Warum sollte sie also arbeiten gehen und nach Feierabend auch noch drei Kinder versorgen? Das würde über ihre Kräfte gehen. Warum wollte das keiner verstehen? Und ein bisschen leben und amüsieren wollte sie sich auch noch. »Ich habe eine Lehre als Monteurin in einem Metallkombinat in Adlershof begonnen, nach der ersten Schwangerschaft die Ausbildung aber abgebrochen. Ich war dann die ganze Zeit arbeitslos, und zuletzt habe ich als Aushilfskellnerin in einem Gartenlokal in Schmöckwitz gearbeitet. Kindererziehen und dann noch arbeiten war mir einfach zu viel. Das habe ich nicht unter einen Hut gekriegt.«

      Schwester Bärbel sah sie konsterniert an. »Das ist aber nicht gerade im Sinne unserer sozialistischen Werteordnung und der offiziellen Linie der SED, liebe Frau Schubert. Jeder Werktätige hat auch Verpflichtungen unserem Staat gegenüber. Aber gut, jeder muss selbst sehen, welchen Platz er in unserem Staat einnimmt«, erwiderte sie spitz.

      »Sie haben recht, Schwester, das ist ganz allein meine Sache. Wo bleibt bitte der Arzt? Meine Wehen beginnen gleich wieder«, log sie, um das unerquickliche Gespräch endlich zu beenden.

      In diesem Moment öffnete sich die Tür und der Doktor trat ein. Er war groß und schlank, hatte dunkle, etwas stechende Augen und einen akkurat geschnittenen Oberlippenbart. »Hallo Frau Schubert, ich bin Dr. Westhoven und werde Sie jetzt untersuchen. Machen Sie sich bitte frei«, forderte er sie auf, während er zum Patientenblatt griff und es mit schnellem Blick überflog. Kommentarlos legte er es beiseite und warf der Schwester einen vielsagenden Blick zu, den sie wortlos nickend erwiderte.

      Trotz dieses kleinen Zwischenspiels legte Christa unbeeindruckt die mit gelblicher Flüssigkeit getränkte Babywindel zur Seite.

      Die Untersuchung dauerte nicht lange. Nachdem Dr. Westhoven das Ultraschallgerät ausgeschaltet hatte, beugte er sich zu ihr. »Tja, Frau Schubert, bei Ihnen ist die Fruchtblase geplatzt, und nicht nur das. Ihr Muttermund hat sich bereits um etwa vier cm geöffnet. Hinzu kommt, dass Sie eine Entzündung im Genitaltrakt haben. Wie ich aus dem Gespräch mit Dr. Emmerich erfahren habe, sind sie in der 26. Woche. Wir müssen bei Ihrem Zustand sofort die Geburt einleiten, um das Leben Ihrer Zwillinge nicht zu gefährden. Eine normale Geburt wird es nicht werden, weil die Plazenta auch noch den Geburtsweg für die beiden Föten versperrt. Deshalb werden wir einen Kaiserschnitt machen müssen, um die Babys zu holen. Das heißt, wir müssen Sie operieren.«

      Sie nickte ergeben. »Ja, Herr Dokter, tun Sie das! Je eher, desto besser.«

      Der Arzt nickte. »Sorge bereitet mir Ihre Entzündung im Genitaltrakt. Ich habe bereits einen Abstrich vorgenommen. Sie entsteht gewöhnlich durch Übertragung beim Geschlechtsverkehr. Ich muss Sie deshalb fragen: Hatten Sie in letzter Zeit ungeschützten Verkehr?«

      Sie wurde vor Verlegenheit rot bis unter die Haarspitzen. Das war ja peinlich. O Gott, was sollte sie nur sagen? Vormachen konnte sie dem Arzt nichts, der war zu clever. Was blieb ihr also anders übrig, als die Wahrheit zu sagen? Sie wandte verschämt ihren Blick ab und starrte an die Wand. »Ja, Herr Doktor, es stimmt. Ich hatte vor etwa drei Wochen einen guten Freund zu mir nach Hause eingeladen, und wir haben ein bisschen zu viel getrunken. Da ist es halt passiert. Ich wollte, dass er ein Kondom benutzt, aber er hatte keins bei sich. Dann haben wir es eben so gemacht.«

      »Frau Schubert, das ist es ja gerade. Ich muss Ihnen leider vorwerfen, dass Sie sich ihren Föten gegenüber verantwortungslos verhalten haben, denn diese Entzündung ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Urheber für Ihre Frühgeburt. Ich meine dabei nicht den Verkehr an sich, sondern dass Sie ihn ungeschützt zugelassen und dass Sie sogar noch in dieser späten Schwangerschaftsphase Alkohol getrunken haben. Das war doch kein Einzelfall, oder?«

      Sie sah ihn zerknirscht an. »Ich habe viele Fehler gemacht und mich nicht wie eine fürsorgliche Mutter verhalten.« Sie zuckte bedauernd mit den Schultern und versuchte, sich so gut es ging zu rechtfertigen. »Vielleicht lag es daran, dass ich die Schwangerschaft von Anfang an nicht wollte. Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, dachte ich sofort an Abtreibung. Ich habe doch schon drei Kinder, und dann auch noch von verschiedenen Vätern. Wegen der Kinder kann ich nicht arbeiten gehen. Ich schaffe das im Augenblick nicht. Unseren Lebensunterhalt bestreitet die Sozialfürsorge, und dann muss ich mir auch noch überall vorwerfen lassen, dass ich ein Sozialschmarotzer wäre. Die familiären Verhältnisse sind einfach zu chaotisch. Meine Mutter hat mich letztendlich dazu überredet, einen Schwangerschaftsabbruch nicht vorzunehmen. So ist meine Lage, Herr Doktor.«

      Doktor Westhoven nickte der Schwester zu und wandte sich wieder an Christa. »Frau Schubert, das ist hier nicht der richtige Platz und vor allem nicht der richtige Zeitpunkt, um Ihre Lebenssituation auf den Prüfstand zu stellen. Ich will nur, dass die Geburt reibungslos verläuft und dass Sie und Ihre Babys keinen Schaden nehmen. Das ist jetzt das Wichtigste. Alles andere ist erst einmal zweitrangig.« Der Arzt wechselte mit der Schwester erneut einen vielsagenden Blick. »Schwester, ich muss noch einmal dringend telefonieren und die üblichen Formalitäten erledigen. Bereiten Sie die Patientin inzwischen für die OP vor. Er wandte sich an Christa. »Sie sind doch mit einem Kaiserschnitt einverstanden?«

      »Aber ja, Herr Doktor«, erwiderte Christa ergeben.

      »Gut, Frau Schubert, dann unterschreiben Sie noch das Formular. Wir sehen wir uns im OP. Alles Gute für Sie.«

      Christa erwachte. Schemenhaft sah sie eine Schwester neben sich. Alles war noch in dichten Nebel gehüllt. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie war, aber dann kam die Erinnerung zurück. Es war vorbei, die Geburt hatte sie endlich hinter sich, und sie lebte. Ein ungeheures Glücksgefühl durchströmte sie. Jemand rief ihren Namen.

      »Unterschreiben Sie bitte das Formular, Frau Schubert«, forderte eine Frauenstimme neben ihr. Ihr wurde ein Kugelschreiber in die Hand gedrückt und ihre Hand zu einer Stelle auf dem Formular geführt. »Hier, bitte!«

      »Warum denn das, Schwester?«, fragte sie noch halb benommen.

      »Ach, das ist nur eine Formalität, nichts von Bedeutung. Dient nur der Verwaltung.«

      »Ach so«, sagte Christa beruhigt. Sie war nicht in der Lage, die Schrift auf dem Papier zu entziffern. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Mit krakeliger Schrift schrieb sie ihren Namenszug auf das Papier und sank erschöpft auf ihr Lager zurück. »Schwester, wo sind meine Babys?«, fragte sie voller Unruhe, drehte den Kopf. Sie erkannte Schwester Bärbel, die ihr aber die Antwort schuldig blieb und sie nur schweigend mit unbeweglichem, fast starrem, Gesichtsausdruck ansah. »Wo sind sie?«, wiederholte sie ungeduldig.

      Die Schwester wich


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