Der tote Zwilling. Bernd Udo Schwenzfeier

Der tote Zwilling - Bernd Udo Schwenzfeier


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die Abkürzung nicht gern in Anspruch, weil der unbeleuchtete Weg durch einen waldähnlichen Parkbereich führte, der zu dieser späten Stunde erfahrungsgemäß menschenleer war. Eilig lief sie die paar hundert Meter zur Friedenstraße und überquerte mit wenigen Schritten die immer noch stark befahrene Verbindungsstraße zwischen dem »Platz der Vereinten Nationen« und der Greifswalder Straße, klemmte ihre Handtasche fest unter den Arm und betrat mit entschlossenem Blick den Park.

      Der Weg führte nach rund zweihundert Metern rechts in Richtung Bunkerberg und dem dahinter liegenden Großen Teich, einem dicht umwachsenen See in der Mitte der unübersichtlichen Grünanlage. Und sie behielt recht mit ihrer Vermutung. Weit und breit war niemand zu sehen.

      Vorsichtshalber drehte sie sich noch einmal um, ehe sie in die Abzweigung einbog. Sie war allein. Aufatmend lief sie weiter und ließ noch einmal den Ablauf des Abends vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen.

      Die Versammlung war nicht sonderlich harmonisch verlaufen, weil sich die Mehrzahl der Eltern über die ihrer Meinung nach zu vielen Schulaufgaben ihrer Kinder beschwert hatten. Sie musste regelrechte Überzeugungsarbeit leisten, um die Vorwürfe zu entkräften. Immer wieder hieß es, Viertklässler wären noch nicht so belastbar. Besonders diese unsympathische Arztgattin, Frau Waldheim, hatte sich wieder einmal bei den Protesten hervorgetan und den anderen die überaus besorgte Mutter vorgespielt. Aber was soll’s, dachte sie, jetzt schon sichtlich erleichtert. Der Tag war ja noch nicht zu Ende. Zu Hause wartete Klaus, mit dem sie einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher verbringen wollte.

      Franziska sah den Abzweig vor sich, der direkt zum in der milden Abendsonne silbern glänzenden See führte, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Erschrocken wirbelte sie herum und sah einen jungen Mann auf einem roten Mountainbike, der sich ihr rasch näherte und im Begriff war, sie zu überholen. Hastig trat sie zur Seite, um ihm den Weg freizumachen. Wortlos radelte er an ihr vorüber und verschwand an der nächsten Biegung hinter einer Baumgruppe und dichtem Buschwerk aus ihrem Blickfeld.

      Sie atmete tief durch und beschleunigte ihren Schritt. Wohl war ihr dabei ganz und gar nicht, und sie ärgerte sich sofort darüber, dass sie die Abkürzung durch den Park gewählt hatte, obwohl sie ihrem Mann es in die Hand versprochen hatte, es nicht mehr zu tun.

      Der Radfahrer hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, und daran war sie auch noch selbst schuld. Nach ein paar Schritten hatte sie die Biegung erreicht und sah bereits in etwa zweihundert Metern die ersten Scheinwerfer der Autos auf der Straße »Am Friedrichshain«, die den Volkspark begrenzte. Sie atmete auf. Gleich hatte sie es geschafft, und sie freute sich schon auf Klaus. Bestimmt hatte er eine Kanne Tee gekocht und eine Packung »Mon Cherie«, ihre Lieblingspralinen, bereitgelegt. Was sollte jetzt noch groß passieren? Ihr unterschwelliges Angstgefühl wich einer entspannten lockeren Stimmung.

      *

      Andreas bog in einen Parkweg des Friedrichhains ein, der zum Großen Bunkerberg führte. Kurz darauf sah er die Frau vor sich. Je näher er ihr kam, umso mehr wurde ihm bewusst, dass sie eine schlanke Figur und wohlgeformte Beine hatte, die in halbhohen Pumps steckten. Sie trug enge Jeans, eine offene, kurze Lederjacke und ein locker gebundenes Halstuch. Als er noch etwa fünf Meter von ihr entfernt war, drehte sie sich um, und er blickte in ihr erschrecktes Gesicht. Sie war mittleren Alters, aber noch sehr attraktiv. Er zuckte bei dieser Erkenntnis zusammen, als hätte er einen Stromschlag erhalten. Wie in Trance fuhr er an ihr vorüber und erhöhte kurzfristig das Tempo. Das Pochen in seinem Kopf war plötzlich wieder da und wurde immer stärker.

      Er wusste, was er jetzt tun musste. Hinter der Biegung stoppte er, sprang vom Fahrrad, schob es ein paar Meter weiter und legte es vorsichtig hinter einem dichten, mannshohen Busch auf den Boden. Sicherheitshalber sah er sich um. Niemand war in der Nähe, nur von der Straße her waren die typischen Verkehrsgeräusche zu hören. Hinter einer Buschreihe schloss sich eine kleine Wiese an, die zum Weg und zur Straße hin von einer dichten Dornenhecke begrenzt wurde. Ein geradezu idealer Platz.

      Es sah nach Regen aus, und er brauchte nicht zu befürchten, in der nächsten Viertelstunde von einem unliebsamen Spaziergänger überrascht zu werden. Gebückt schlich er zum Wegesrand und wartete.

      *

      Vor Schreck blieb ihr beinahe das Herz stehen, als urplötzlich ein maskierter Mann vor ihr aus dem Busch sprang und sie angriff. Ihr Angstschrei blieb ihr im Halse stecken. Mehr als ein heiseres Gurgeln brachte sie nicht zustande.

      Blitzschnell war er bei ihr, legte ihr einen Arm um den Hals und presste ihr die Luft ab. Er trat hinter sie und hielt ihr ein Messer an die Kehle. »Bleib ja ruhig, sonst …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Dafür machte er mit der Hand eine eindeutige, unmissverständliche Bewegung.

      Starr vor Angst konnte sie nur nicken. Sie war wie gelähmt und nicht in der Lage, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Erst langsam begriff sie, dass der Mann sie nicht nur berauben wollte. Um Gottes willen, was sollte sie tun? Um Hilfe zu rufen, hatte keinen Zweck. Das Messer an ihrer Kehle zeigte ihr nur zu genau, dass der Maskierte keinen Spaß verstand und es auch bei geringstem Widerstand einsetzen würde. Sie wollte nicht riskieren, dass er womöglich zustach und sie in höchste Lebensgefahr geriet. Was blieb ihr für eine Wahl? Eine Flucht zu Fuß schied aus. Der Weg bis zur Straße war zu weit. Sie erinnerte sich an das eintägige Seminar bei der Polizei, an dem sie vor ein paar Wochen teilgenommen hatte. Ihr Trainer, ein erfahrener Psychologe, hatte mit allen Teilnehmerinnen ähnliche Situationen durchgespielt, aber der Ernstfall hatte ganz andere Dimensionen. Eins war ihr aber im Gedächtnis haften geblieben. In solchen Fällen auf Gegenwehr zu verzichten und dem Täter gegenüber klar und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass man mit seinen Handlungen keinesfalls einverstanden war. Aber sie kam nicht mehr dazu, sich weitere Gedanken zu machen.

      »Mach keinen Firlefanz, sonst steche ich dich ab. Ich habe nichts zu verlieren. Hast du das kapiert?«

      Sie nickte voller Panik, als sie begriff, dass er sie vergewaltigen wollte. Einen winzigen Augenblick hatte sie noch gehofft, dass er es nur auf ihr Geld oder ihr Handy abgesehen hatte. Nein, daran schien er kein Interesse zu haben. Er wollte ihr hier und jetzt Gewalt antun. Zitternd vor Angst ließ sie sich zu der Lücke im Gebüsch führen.

      Er stieß sie auf die Wiese. »Hey, du Schlampe, zieh deine Jeans aus, und mach ein bisschen dalli. Ich habe nicht ewig Zeit. Jetzt werde ich es dir so richtig besorgen, so, wie du es am liebsten hast. Jetzt wirst du richtig durchgefickt.« Er lachte verächtlich und machte mit seinen Hüften eindeutige Bewegungen.

      Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter. Hoffentlich tötet er mich nicht, war ihr einziger Gedanke. Sie musste alles tun, was er von ihr verlangte. Dann würde er sie vielleicht verschonen, hoffte sie mit heißem Herzen.

      »Ich mach ja schon«, flüsterte sie und fing an, sich auszuziehen. Sie taxierte den Unbekannten unauffällig. An seiner hellen Jogginghose und seinem roten Sweatshirt erkannte sie den Radfahrer wieder, der sie vor ein paar Augenblicken überholt hatte. Sie schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er war recht groß, etwa 1,85 Meter, und hatte eine muskulöse Figur. Ansonsten fiel ihr nichts weiter an ihm auf. Sein Gesicht hatte er mit einer Motorradhaube maskiert. Über seine Hände hatte er Plastikhandschuhe gezogen. Schließlich stand sie halb nackt vor ihm.

      Er trat näher und betrachtete sie von oben herab. Obwohl er maskiert war, spürte sie seinen verächtlichen Blick. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich ausziehen! Warum hast du noch deinen Slip an? Los, mach endlich, ich hab ’nen verdammten Samenstau!«

      Voller Scham entblößte sie sich und vermied es, ihn anzusehen.

      Er lachte erneut, zog seine Hose halb hinunter und griff nach seinem erigierten Glied. »Komm her, du Schlampe, nimm meinen Schwanz in deinen Mund und blas mir einen. Aber mach schnell, sonst bekomme ich noch Kopfschmerzen.«

      Sie fing bei der Vorstellung, ihn mit dem Mund befriedigen zu müssen, zu würgen an und griff sich an den Hals. »Ich kann das nicht. Nein, das mache ich nicht!« Sie schluchzte mit Tränen in den Augen und schüttelte demonstrativ den Kopf.

      Er erstarrte und kam noch dichter an sie heran. Sie spürte seinen schlechten Atem, der über ihr Gesicht strich. Sofort überkam


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