Der tote Zwilling. Bernd Udo Schwenzfeier

Der tote Zwilling - Bernd Udo Schwenzfeier


Скачать книгу
1 Kap des Landgerichts Berlin hatte er in einem längeren Telefongespräch vereinbart, dass die Ermittlungen nach wie vor mit allen Anstrengungen weitergeführt werden, während ihm der Originalvorgang mit einem Zwischenbericht zur wiederholten Einsichtnahme zugeleitet werden sollte.

      Robert hatte am heutigen Tage wieder einmal Spätdienst im Referat »Delikte am Menschen«. Seit Beginn seines Dienstes um 16:30 Uhr hatte er nur einige Anfragen anderer Dienststellen erhalten, die er relativ schnell erledigen konnte. Die jetzt herrschende Ruhe passte genau in den Plan, und so konnte er sich, fernab von der täglichen Hektik endlich dem Schreiben des umfangreichen Zwischenberichtes widmen. Nachdenklich stand er auf und ging in den Einsatzraum. Dort befand sich an der Wand ein Ausschnitt des Berliner Stadtplans, der die Innenstadt zeigte und auf dem alle bisherigen Taten mit Fähnchen gekennzeichnet waren. Immer wieder hatte er in der letzten Zeit davorgestanden und nach einem Schlüssel gesucht, um hinter das System zu kommen, nach dem der Täter seine Tatorte ausgesucht haben könnte. Vielleicht war alles nur Zufall, und der unbekannte Sexualverbrecher hatte die zum Teil weit auseinander liegenden Orte zufällig ausgewählt, wenn er dort ein geeignetes Opfer entdeckt hatte und die Tatumstände für ihn günstig waren.

      Auch heute war er ratlos und schüttelte resigniert den Kopf. Seit fast zwei Jahren hatten die umfangreichen Ermittlungen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht, die seine Mitarbeiter und ihn zum Täter hätten führen können. Unzählige Überstunden standen bereits zu Buche, und eine Vielzahl von Observationen mit hohem Personaleinsatz hatte zu keinem messbaren Erfolg geführt.

      Von Anfang an hatten die abscheulichen Taten in der Bevölkerung ein breites und empörendes Echo gefunden, und es waren aufgrund der Öffentlichkeitsfahndung bisher 276 Hinweise auf den Täter bei seiner Dienststelle eingegangen. Ein heißer Tipp, der sie auf seine Spur hätte führen können, war jedoch nicht darunter. Von einer Boulevardzeitung war der Täter bereits mit der reißerischen Titulierung Das Messerphantom bedacht worden.

      Die Pressestellen der Polizei und der Staatsanwaltschaft sorgten dafür, dass immer wieder Berichte in den Medien erschienen, um das Interesse der Bevölkerung an dieser unheimlichen und äußerst brutalen Vergewaltigungsserie wachzuhalten. Und so gab es gelegentlich immer wieder Hinweise auf verdächtige Personen, die sich aber bei näherer Überprüfung alle als haltlos erwiesen hatten.

      Es war einfach nicht zu fassen, wie trotz der wiederholten öffentlichen Warnungen der Kriminalpolizei, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein in den teilweise unübersichtlichen und unbeleuchteten Parks der Innenstadt unterwegs zu sein, einige Frauen immer noch sorglos mit diesen Warnungen umgingen. Immer wieder mussten seine Kollegen und er bei entsprechenden Observationen der fraglichen Grünanlagen und Parks frustriert feststellen, dass es Frauen jedes Alters gab, die die Warnungen aus unerfindlichen Gründen in den Wind schlugen und sich unnötig in Gefahr brachten.

      Die Taten waren in vier mehr oder weniger großen Park- bzw. Grünanlagen in der Mitte Berlins verübt worden. Darunter waren der Tiergarten mit sechs Tatorten, der Volkspark Friedrichhain mit vier, der Volkspark Prenzlauer Berg mit zwei und der Monbijou-Park mit einem Tatort vertreten. Keinerlei Übereinstimmungen gab es bei den Tatzeiten, bei den Wochentagen und den unterschiedlichen zeitlichen Abständen zwischen den Taten.

      Die Tatmuster waren indes eindeutig. Der unbekannte Sexualverbrecher suchte sich immer Frauen aus, die die vierzig Jahre deutlich überschritten hatten, und die nach Einbruch der Dunkelheit allein in einem der vier Parks in der Mitte Berlins unterwegs gewesen waren. Der den Opfern körperlich weit überlegene Täter erstickte ihren Widerstand, indem er sie sofort mit einem Messer bedrohte oder ihnen mehrfach ins Gesicht schlug und ihnen in einigen Fällen schlimme Konsequenzen androhte. So äußerte er verschiedene Male konkret, seine Opfer ohne Erbarmen umzubringen, wenn sie ihm nicht zu Willen seien. Die sexuellen Handlungen, die er an ihnen vornahm bzw. von ihnen verlangte, erstreckten sich über den Zeitraum von manchmal bis zu einer Stunde. Seine Opfer äußerten übereinstimmend, dass er deutliche Schwierigkeiten hatte, eine Erektion zu bekommen. Auch versuchte er, unter allen Umständen zur Ejakulation zu kommen, was ihm jedoch nur in fünf Fällen gelang. Die Steigerung seiner sexuellen Forderungen an seine Opfer trat im Verlaufe seiner Taten immer zügelloser hervor. In den Fällen, in denen von ihm ein Analverkehr erzwungen wurde, verlangte er anschließend sofort Oralverkehr, der von den Opfern nur mit allergrößtem Widerwillen durchgeführt wurde. Wenn sich eines der Opfer während oder danach erbrach, lachte er roh und gefühlslos und machte sich über deren Ekel lustig. Es schien ihm großes Vergnügen zu bereiten, die Frauen zu quälen und vor allem zu demütigen. Auf die Schmerzen seiner Opfer, die besonders beim Analverkehr auftraten, reagierte er mit immer heftigeren Stößen und erregte sich in zunehmendem Maße, je mehr sie schmerzhaft aufstöhnten.

      Robert erinnerte sich an eine Besonderheit im Verhalten des Täters, die ihm bisher in seiner langen Dienstzeit weder in der Praxis noch in Wissenschaft und Lehre untergekommen war. In völligem Widerspruch zu der vom Täter immer wieder angewandten Brutalität standen seine weinerlichen Entschuldigungen oder seine angebliche Fürsorge, wie die von ihm am häufigsten benutzen Aussprüche zeigten: »Es tut mir so leid« oder »Entschuldige bitte, so bin ich nun mal« oder »Es ist einfach über mich gekommen, verzeih mir bitte« oder »Hast du dir etwa wehgetan?« Auch sein mehrmaliger Vorwurf: »Arme Kleine, warum bist du nur allein durch den dunklen Park gegangen?« war an Zynismus nicht zu überbieten.

      Ob diese Äußerungen nach seinen Straftaten seiner augenblicklichen Gemütslage entsprachen und er damit nur sein schlechtes Gewissen beruhigen wollte, oder ob es nur ein paar hingeworfene Floskeln waren, würden später sicherlich seine Vernehmungen ergeben. Aber dazu musste man diesen Schweinehund erst einmal finden. Grimmig schlug Robert mit der linken Faust einen imaginären Haken in seine geöffnete rechte Hand, dass es laut klatschte. Beängstigend war jedoch auch, dass aufgrund der Erkenntnisse aus der Dunkelfeldforschung von einer weitaus höheren Anzahl gleicher Delikte ausgegangen werden musste. Somit galt als sehr wahrscheinlich, dass eine unbekannte Anzahl von Frauen ebenfalls schon Opfer dieses sadistischen Gewaltverbrechers geworden waren und bisher, aus welchen Gründen auch immer, keine Anzeigen erstattet hatten.

      Auch in diesem Sammelverfahren hatten fünf Opfer die Taten erst Tage später angezeigt. Als Hauptgründe gaben sie die außergewöhnliche Brutalität der Tatausführung und die daraus resultierende desolate Gemütsverfassung an. Einige von ihnen waren längere Zeit krankgeschrieben, wieder andere mussten therapeutische Hilfe von Psychologen in Anspruch nehmen, um in die Normalität zurückkehren zu können.

      Bisher konnten neben DNA-Spuren keine weiteren verwertbaren Spuren an den Tatorten gesichert werden, die sie zum Täter hätten führen können. Aufgrund der serologischen Gutachten stand aber zweifelsfrei fest, dass die an und in den Opfern gefundenen Spermaspuren alle von dem gleichen Verursacher stammten. In den Dateien der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts war er bisher jedoch namentlich nicht gespeichert. Fingerabdrücke hatte er nicht hinterlassen, dafür sorgten seine Plastikhandschuhe.

      Es gab zwar eine übereinstimmende Täterbeschreibung, aber wegen seiner Maskierung mit einer »Sturmhaube« war die Herstellung eines Fahndungsfotos nicht möglich. Alle Opfer gaben übereinstimmend an, dass es sich um einen großen, jungen und kräftigen Mann von höchstens zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren gehandelt habe. Auffällig war, dass er bei den Taten über seine Hände typische Haushaltshandschuhe aus Plastik gezogen hatte, die in jedem Supermarkt zu kaufen waren. Zur Tatbegehung benutzte er jedes Mal ein Mountainbike, verfolgte seine Opfer unbemerkt bis in den Park hinein, überholte sie, um sie wenig später an einer unübersichtlichen Stelle zu überfallen. Unmittelbar nach den Taten entledigte er sich der Fahrräder. Bei der sofortigen Durchsuchung der näheren Umgebung der verschiedenen Tatorte konnten die von den Opfern beschriebenen Mountainbikes in zehn der bisher dreizehn angezeigten Vergewaltigungen sichergestellt werden, wobei auffällig war, dass das jeweils in den ersten drei Fällen benutzte schwarze Rad bis heute nicht aufgefunden werden konnte. Der Täter hatte sich allem Anschein nach der ersten Etappe seiner erfolgreichen Flucht sofort von den Rädern getrennt, sie irgendwo stehen gelassen und war mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß geflüchtet und im dichten Straßenverkehr untergetaucht. Bisher waren an den Rädern keine verwertbaren Täterspuren gefunden worden.

      Robert las zum wiederholten Male


Скачать книгу