Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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Mustern bemalt.

      Davaron blieb ebenso stehen wie sie.

      »Ich kenne dich.« Der graue Ziegenbart an ihrem Kinn zitterte, als die Alte sprach. »Du hast beim Heiligen Hain an der Seite unserer Männer gekämpft.«

      »Das ist wahr.« Auch wenn sie fast alle gefallen sind.

      »Dafür schulden wir dir Dank.«

      Davaron sah sie abwartend an.

      »Ich weiß, wen du suchst«, sagte sie nach einer Weile. »Sie trägt das Mal deines Dolchs. Wirst du sie töten?«

      »Nur, wenn sie mich angreift.«

      Die Faunin nickte. »Folge dem Bach. Er wird dich zu jenen führen, denen sie hörig ist.« Ohne ihn weiter zu beachten, kniete sie sich ans Ufer, um ihren Wasserschlauch zu füllen.

      Das alte Schaf hat mehr Würde im kleinen Finger als mancher Elf im ganzen Leib. Aber konnte er ihr vertrauen?

      Eine Weile lauschte er auf Geräusche hinter seinem Rücken und sah sich immer wieder nach feindseligen Faunen um. Doch außer dem Krächzen eines Raben hörte er nichts, und im Unterholz regten sich nur kleine Tiere auf der Suche nach Beeren.

      Allmählich stieg das Gelände an. Immer öfter trat am Boden blanker Fels zutage. Davaron folgte dem Bachlauf auf die Berge zu, die nun so nah waren, dass er zu ihren flachen, kantigen Gipfeln emporblicken musste. Zwischen ihnen klafften enge Schluchten, als hätte ein Gott sie mit riesigem Messer in den Fels geschnitten.

      Der Anblick weckte Erinnerungen – und alten Zorn. Einst hatte die Wut wie glühendes Eisen in seinem Innern gebrannt, doch mit den Jahren war sie zu kaltem Stahl erstarrt. Zu einer Klinge, die er den Harpyien zwischen die Rippen treiben würde. Er wusste nur noch nicht, wann und wie.

      Auf dem zunehmend steinigen Grund verlor sich die Spur der Faunin. »Wo bist du hingegangen?«, murmelte Davaron und musterte die steilen Hänge, an denen sich sture Bäume festkrallten, bis Sturm und Regen sie in die Tiefe rissen. Seit Imeron die verfluchte Chimärenbrut vor Jahrtausenden geschaffen hatte, lebten Harpyien auf diesen windigen Höhen. Sie hausten in Spalten der Felswände und hielten sich von Elfen fern, denen sie den Krieg gegen ihren Schöpfer nie verziehen hatten. Nur ein Schwarm weiblicher Harpyien lebte an der Steilwand unterhalb der Grenzfeste Uthariel und gab vor, den Elfen als Späher zu dienen.

      Davaron wusste es besser. Viele Harpyien mochten nur dumme, kreischende Raubtiere sein, doch einige verfügten über die Intelligenz ihrer menschlichen Ahnen und trieben unter dem Deckmantel der Hilfe ein falsches Spiel. So gerissen waren sie, dass er es ihnen niemals nachweisen konnte. Ihm blieb nur, sie heimlich zu töten – wann immer ihm eine Harpyie allein begegnete.

      Noch einmal ließ er den Blick über die nächstgelegenen Berge schweifen. Den ganzen Höhenzug abzusuchen, konnte Wochen dauern. Bis dahin hatte die Faunin ihre Auftraggeber längst gesprochen und war wieder fort. Verfluchte Chimärenbande!

      Aber so schnell aufzugeben, kam nicht infrage. Wenn er schon hier war, konnte er wenigstens noch ein, zwei Tage umherstreifen. Vielleicht lief ihm die Faunin zufällig über den Weg oder er stieß wieder auf ihre Spur.

      Wehmut überkam ihn, als er eine bestimmte Richtung einschlug. Bin ich in Wahrheit deshalb hergekommen? Hatte er die Sorge um einen künftigen Bastard nur als Vorwand gebraucht? Es war gleichgültig. Obwohl er den Schmerz fürchtete, trieb ihn die Sehnsucht weiter. Immer tiefer wanderte er in die Schlucht hinein, die er seit einem Jahr nicht mehr betreten hatte, und wie bei jedem Besuch fragte er sich, ob er alles unberührt vorfinden würde.

      Der Steig an der Felswand, der zu dem breiten Absatz vor der Höhle hinaufführte, lag bereits im Schatten. Davaron nahm einen abgebrochenen dürren Ast mit hinauf, um ihn als Fackel zu verwenden. Baumhoch über dem Talgrund sah er sich ein letztes Mal um und konnte weder die Faunin noch eine Harpyie entdecken.

      Zögernd betrat er die Höhle. Noch konnte er einfach umdrehen und erst wiederkommen, wenn er seinen Schwur erfüllt hatte. Doch dann entdeckte er den längst getrockneten Kot am Boden. Ein Bär! Das Tier hatte den Unterschlupf für den Winterschlaf genutzt. Wie weit war es eingedrungen? Hat es … Davaron rannte in das Gewirr aus niedrigen Gängen und verwinkelten Kammern. Die Spitze des Knüppels in seiner Hand in Brand zu setzen, kostete ihn nur ein kurzes Auflodern seiner Magie. Schatten sprangen in alle Richtungen davon und gaukelten fliehende Gestalten vor.

      Atemlos hielt Davaron vor dem Spalt, den er mit aufgeschichteten Steinen verschlossen hatte. Die vormals obersten Brocken lagen zu seinen Füßen verstreut. Auf dem Fels prangten Kratzspuren, wo der Bär versucht hatte, den engen Durchlass zu erweitern. Davaron atmete auf. Das Biest war nicht eingedrungen.

      Wieder zögerte er, bemüht, sich gegen den Anblick zu wappnen, der ihn erwartete. Dann stieg er über die verbliebenen Steine durch den Spalt. Im flackernden Schein seiner Fackel schälte sich die Bahre aus der Dunkelheit, die er vor so vielen Jahren gezimmert hatte. Er trat näher. Licht fiel auf die beiden hingestreckten Körper, den großen und den so viel kleineren. Egal, wie sehr er versuchte, sich dagegen zu verhärten, der Anblick traf ihn jedes Mal wie ein Speer in die Brust. Es war die Strafe für den Frevel, den er beging. Er hätte die Leichen dem Sein zurückgeben, sie als Nahrung für neues Leben hingeben sollen, wie es der Brauch verlangte. Stattdessen hatte er sie hier hergeschleppt. Wie ein erbärmlicher Mensch.

      War es schlimmer geworden? Sein Blick suchte nach neuen Rissen in der ausgedörrten, bräunlich verfärbten Haut und wanderte langsam nach oben. Mevetha lag in Eretheyas Arm wie eine grausige Puppe. Die leeren Augenhöhlen standen weit offen, als reiße das Kind noch im Tod vor Angst die Lider auf. Noch immer hatte er den Schrei im Ohr, mit dem beide in den Abgrund gestürzt waren. Vermischt mit dem blutrünstigen Kreischen der Harpyien.

      Er trat noch einen Schritt näher, streckte die Hand nach Eretheyas Gesicht aus und brachte es doch nicht über sich, die spröde Haut zu berühren. Stattdessen ließ er eine Strähne ihres Haars durch seine Finger gleiten. Es fühlte sich beinahe wie früher an, bevor der Tod ihr schönes Gesicht ins Gegenteil verkehrt hatte. Wie schnell waren die Lippen geschrumpft und hatten die Zähne zu einem ewigen Grinsen entblößt, das seinen Schwur verhöhnte. Der stete Luftzug, der durch die Felsritzen wehte, hatte die Verwesung verhindert, doch er hatte nicht bewahrt, was Davaron fehlte. Das Leben.

      Ich werde einen Weg finden. Er hatte es ihr schon so oft versprochen, dass es selbst in seinen Ohren hohl klang.

      Von der Einöde der Orks im Westen war er durch die Länder der Menschen bis zum Ende der Trollhügel im Osten gereist, hatte Schamanen befragt, alte Schriften studiert und alles versucht, was Hexen und Magier ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit rieten. Er hatte Dinge getan, für die sein Volk ihn verbannt hätte, wären sie ans Licht gelangt. Doch nichts davon hatte Eretheya Leben, echtes Leben zurückgebracht.

      Es gibt neue Hoffnung. Vertrau mir! Er klammerte sich an den Strohhalm, den Omeon ihm gereicht hatte. Diese Schriften mussten endlich der Schlüssel sein.

      Die Toten wieder in der kühlen Dunkelheit der Gruft zurückzulassen, kam ihm immer wie feige Flucht vor. Aber tagelang an ihrer Seite auszuharren, wie er es früher getan hatte, wandte auch nichts zum Besseren. Er warf einen letzten Blick zurück, dann verließ er die Kammer und legte die Fackel neben dem Eingang ab, um den Spalt wieder zu verschließen. Mit nur einer Hand konnte er die schweren Steine nicht mehr heben, also berührte er mit den Fingern das Sternenglas an seinem Schwert. Sofort war ihm, als flute die Magie seinen Körper und müsse aus ihm hervorbrechen wie das innere Licht aus einem Astar. Mit geistigen Händen nach den Felsbrocken zu greifen, und sie aufzuschichten, fiel ihm so leicht, als häufte er mit echten Händen ein paar Kiesel auf.

      Widerstrebend löste er die Finger wieder vom Schwertknauf. Es kam ihm vor, als schrumpfe er, während die Magie dorthin zurückfloss, wo sie hergekommen war, und eine Leere hinterließ. Er war versucht, sogleich wieder nach dem Schwert zu greifen. Ob es den anderen Trägern dieser magischen Waffen ebenso ging?

      Während der Ast am Boden gelegen hatte, waren die Flammen über seine ganze Länge gewandert. Davaron ließ ihn zurück.


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