Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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loderte der Hass auf die Harpyien. Sie musste ihm entkommen, aber wie?

      »Trink!«, brüllte er.

      »Also gut.« Zum Schein beugte sie sich vor, ging ein wenig in die Knie, als ob sie den Gifttrank aufheben wollte. Mit der Linken langte sie nach der Flasche, während ihre Rechte verstohlen zum Griff ihres Messers glitt. Sobald sie das Heft in ihren Fingern spürte, warf sie sich zur Seite, rollte sich ab und zog die Waffe dabei heraus. Schon war sie wieder auf den Füßen und sprang auf. Doch sie sah nur noch das Aufblitzen der Klinge, die in ihren Hals fuhr.

      3

      Obwohl er gesehen hatte, dass der Drache in eine ganz andere Richtung geflogen war, empfand Athanor Erleichterung, als Ardarea wohlbehalten vor ihnen lag. Davaron würde sich über sie lustig machen, weil sie keine Beute mitbrachten, und sie würden wieder feindselige Blicke auf sich ziehen, doch es war ihm egal. Es zählte nur, dass er sich mit Elanya versöhnte, statt schmollend in den Wald zu verschwinden. Die Elfen machten ihr das Leben seinetwegen schwer genug.

      »Kommt es nur mir so vor, oder ist es heute ungewöhnlich ruhig hier?«, wunderte sich Vindur.

      Athanor sah sich um. Noch wanderten sie durch die versprengten Gärten, die mit dem Wald um Ardarea zu einem Ganzen verwoben waren, aber es waren in der Tat kaum Elfen zu sehen. Für gewöhnlich verbrachten sie viel Zeit in ihren Anpflanzungen, um durch Magie und liebevolle Pflege für reiche Erträge zu sorgen. »Vielleicht sind sie nach ihrem wilden Fest noch zu erschlagen.«

      Vindur sah ihn zweifelnd an. »Wenn du einen Elfenreigen wild nennst …«

      »Ich habe gehört, es gab immerhin eine Prügelei.«

      »Was? Wenn ich die erwische, denen zieh ich die Ohren lang!«, entrüstete sich Vindur, bevor er das Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. »Ohren lang … hihi … lang. Du verstehst?«

      »Ja, Vindur, ich hab’s verstanden«, versicherte Athanor schmunzelnd. »Aber versuch wenigstens, etwas zerknirscht auszusehen, bevor wir beim Erhabenen ankommen.«

      »Ohren lang«, schluchzte Vindur und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. »Herrlich.« Allmählich gelang es ihm, wieder eine ernste Miene aufzusetzen.

      Sobald sie die ersten Häuser erreichten, entdeckten sie Elfen, die mit betroffenen Gesichtern beisammen standen oder tiefer in die Stadt hineinhasteten. Hatte der Drache Ardarea doch heimgesucht? Alarmiert blickte Athanor zum Himmel, ob ihm eine Rauchsäule über der Halle der Wächter oder ein ähnliches Anzeichen für Ärger entgangen war. Doch außer ein paar kreisenden Sperbern sah er nichts.

      »Wo wollen die denn alle hin?«, fragte Vindur.

      »Finden wir es heraus.« Athanor lief hinter einem der Elfen her. »Was ist passiert?«, rief er ihm zu.

      Der Fremde bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick. »Elanya soll etwas zugestoßen sein. Sie wurde zum Haus ihrer Eltern ge…«

      Athanor hörte nicht, was der Elf noch sagte. Er rannte so schnell, dass er nicht einmal wahrnahm, ob Vindur noch bei ihm war. Elanya ist etwas zugestoßen, und ich war nicht da. Ich war nicht da. Ich war nicht da. Wie eine Peitsche trieb ihn der Gedanke voran.

      Vor Elanyas Elternhaus hatte sich eine Elfentraube gebildet. Ein wenig abseits grasten Pferde, als wäre nichts geschehen, doch die entsetzten Mienen der Elfen bewiesen das Gegenteil. Rücksichtslos bahnte sich Athanor einen Weg durch die Menge. »Lasst mich durch! Darf ich mal? Ich muss …« Er verstummte, als der Erhabene und seine Frau zurückwichen und ihm den Blick auf das Geschehen vor dem Eingang freigaben. Elanyas Vater sah mit Tränen in den Augen auf seine Töchter hinab, während seine Frau stumm das Gesicht in den Händen barg. Aphaiya hielt Elanyas Hand umklammert und schluchzte hemmungslos hinter ihrer Maske. Athanor war, als sei er zugleich schwer wie ein Berg und leer wie ein hohler Baumstamm geworden. Ein eisiger Wind strich durch seine Rippen, obwohl sich kein Lufthauch regte. Sein Gewicht zog ihn neben Elanya auf die Knie. Bleich und still lag sie im Gras. Wie eine gestürzte Statue aus Theroias zerstörtem Palast. Ihre gebrochenen Augen starrten blicklos ins Nichts.

      Athanor berührte sie nicht. Er hatte so viele Leichen berührt. Sie waren nur kaltes, totes Fleisch, das Erinnerungen zerstörte. Elanya war längst fort. Aus dem Licht dieses herrlichen Tags in die Dunkelheit gerissen. Er konnte sie gar nicht berühren. Seine Arme waren so schwer, so leblos. Hatte er überhaupt noch Arme? Er merkte es kaum. Er konnte nur noch auf die Wunde starren, von der jemand das Blut gewaschen hatte. Ein glatter, tiefer Schnitt durch die Kehle. Elanyas Kopf war so gebettet, dass es kaum mehr als ein Strich schien. Doch das Blut, mit dem ihr Hemd getränkt war, sprach eine andere Sprache.

       Das war Mord.

      Wie der Stoff das Blut aufgesogen hatte, saugte die Leere in Athanor diesen Gedanken auf, bis sie ganz davon erfüllt war. Jemand hatte diese Klinge geführt. Jemand, der ihr Vertrauen erschlichen oder sie von hinten angefallen hatte. Athanor sah die gesichtslose, niederträchtige Gestalt vor sich, wie sie sich auf Elanya stürzte. »Wer hat ihr das angetan?«, brachte er heraus. In den Abgründen seines Innern keimte Wut auf. Dieser Unbekannte hatte ihm Elanya genommen. Ihr die Kehle aufgeschlitzt wie einem Lamm auf der Schlachtbank. Ausgerechnet Elanya!

      »Ich … werde unverzüglich Boten aussenden, um in Anvalon und allen anderen Städten nach dem Mörder suchen zu lassen«, versprach Peredin. Er klang betroffen und zugleich gefasst. »Wir müssen einen Rat einberufen und Verfolger ernennen, die …«

      »Wer hat ihr das angetan?«, fuhr Athanor auf. Der Zorn trieb ihn auf die Beine. Der Erhabene verschwieg ihm etwas. Er spürte es. Wütend starrte er ihn an.

      »Es gibt Hinweise, aber wir dürfen nicht …«

      »Sie ist am Morgen mit Davaron fortgeritten«, fiel Merava ihrem Mann ins Wort. »Aphaiya hatte eine Vision, dass ihrer Schwester Gefahr von Harpyien drohe, deshalb haben wir ihr einige Reiter nachgesandt. Am Ende der Fährte fanden sie nur Elanyas Pferd und … sie selbst – auf dem Felsen, auf dem Davarons Frau starb.«

      Davaron! »Dieser von allen Göttern verfluchte Bastard!«

      Peredin hob beschwichtigend die Hände. »Noch wissen wir nicht …«

      »Wollt Ihr mir weismachen, das sei eine Harpyie gewesen?«, herrschte Athanor ihn an.

      »Vielleicht ist Davaron in diesem Augenblick dem wahren Mörder auf der Spur. Wir dürfen nicht vorschnell ur…«

      Athanor hörte nicht mehr zu. Furchtsam wichen die Elfen ihm aus, als er entschlossen durch die Menge schritt. Sollten sie in ihrem Rat so lange palavern, wie sie wollten. Sie war mit Davaron fortgeritten, und nun war sie tot. Hatte der Bastard nicht stets wüste Drohungen ausgestoßen, damit sie seine Geheimnisse nicht verriet? Er würde ihn finden und die Wahrheit aus ihm herausprügeln, bevor er ihn an den Eiern zum Ausbluten aufhing.

      * * *

      Athanor hörte jemanden hinter sich herangaloppieren und warf einen Blick über die Schulter, ohne sein Pferd anzuhalten. Zwischen den hohen Bäumen tauchte Vindur auf, der bei seinem Anblick hektisch auf seinem Reittier herumhampelte. Dass der Braune dennoch langsamer wurde und nicht an Athanor vorbeischoss, war wohl nur der Gutmütigkeit der Elfenrösser zu verdanken.

      »Baumeisters Bart«, schnaufte Vindur. »Du hättest wenigstens auf mich warten können. Ich musste mich von Elfen aufs Pferd hieven lassen!«

      »Welch grausames Schicksal«, knurrte Athanor.

      Beschämt senkte Vindur den Blick. Zufrieden sah Athanor wieder auf die Hufabdrücke hinab, denen er folgte. Durch den Trupp, der Elanya hatte retten wollen, waren die Spuren so deutlich, dass sie selbst Aphaiya nicht entgangen wären.

      »Du kannst so viel auf mir herumhacken, wie du willst«, verkündete Vindur. »Aber glaub bloß nicht, dass ich dich diesen Ogersohn allein zur Strecke bringen lasse! Der Kerl ist ein heimtückischer Zauberer. Du wirst meine Hilfe brauchen.«

      »Ich habe ihn schon einmal besiegt.« Bei der Erinnerung ballte Athanor die Fäuste. Warum hatte


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