Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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der Ozean ein großer See ist, müsste er doch still liegen. Es weht nicht einmal viel Wind.«

      »Ich weiß es nicht«, gab Athanor zu. »Aber mein Lehrer behauptete, dass die Wasser des Ozeans ans Ufer schwappen, weil an seinem Grund drei gefesselte Riesen liegen und gegen ihre Gefangenschaft aufbegehren. Dieses Wissen soll zur Zeit des Alten Reichs von den Elfen auf uns gekommen sein. Aurades, der Sonnengott selbst, hat die Riesen am Ende des Ersten Zeitalters in die Tiefe verbannt, um seine Schöpfung vor ihrem unstillbaren Hunger zu bewahren.«

      Vindur winkte ab. »Die Elfen behaupten auch, dass die Alten Drachen geschaffen wurden, um die Herrschaft der Riesen zu brechen. So ein Unsinn! Der Große Baumeister liebt die Riesen. Die Alten Drachen sind durch verderbte Magie entstanden – wie alles Schlechte in der Welt.«

      Ob die Sicht der Zwerge nun mehr Wahrheit enthielt als jene der Elfen? Athanor schnaubte. »Die Geschichte der Drachen interessiert mich nicht.« Sie waren hinterhältige Bestien, die sein Volk ausgerottet hatten. Mehr musste er nicht über sie wissen.

      »Vielleicht könnte dein Volk noch leben, wenn es mehr auf unser Wissen als auf das der Elfen gegeben hätte.«

      Athanor warf seinem Freund einen zornigen Blick zu. »Reiz mich besser nicht, solange Elanyas Mörder nicht blutend vor mir im Sand liegt.«

      Grollend jagte er sein Pferd erneut den Strand entlang. In der Ferne erhob sich ein Hügel, der weit ins Meer reichte. Davarons Fährte führte die Anhöhe hinauf, die von oben betrachtet wie eine Klaue in den Ozean ragte. Ihre Krümmung bildete eine geschützte Bucht, auf deren klarem, blauen Wasser eine Stadt schwamm. Athanor sah zweimal hin, um sich zu vergewissern, dass ihn seine Augen nicht täuschten. Die mit Stegen und Treppen verbundenen Häuser schaukelten tatsächlich. Auch an den Ufern des Fallenden Flusses hatte er ganze Dörfer im Wasser gesehen, aber sie thronten auf Stelzen hoch über den Fluten. Nur zur Schneeschmelze stieg das Wasser bis zu den Hütten hinauf.

      Hier blickte er dagegen auf eine richtige Stadt aus mehr Häusern, als sich auf die Schnelle zählen ließen, und ein paar größere, prachtvolle Bauten überragten die anderen. Der Stadtrand war mit Bootsanlegern gesäumt, an denen Einbäume und schlanke Segelboote vertäut lagen. Wie die Halle der Abkömmlinge Ameas in Anvalon waren die meisten Dächer mit Goldried gedeckt, dessen Glanz viele Jahre der Verwitterung widerstand. Silbrige Schläuche, die der Wind zur Form von Fischen und Seeschlangen aufblies, wehten als Banner darüber. Nur das Dach des höchsten Gebäudes schimmerte wie eine Perle im Sonnenschein. Konnten die Schindeln aus Perlmutt gefertigt sein? Seit er Kithera, das schwebende Heiligtum der Abkömmlinge Heras gesehen hatte, traute Athanor elfischer Baukunst fast alles zu.

      Davarons Spur führte direkt auf die Stadt zu. Sie folgten ihr den Hügel hinab und ließen die Pferde frei, die in der Nähe grasen würden, bis Athanor sie rief. Neugierig sahen erste Elfen zu ihnen herüber. Vom Strand führte ein Steg übers Wasser zur Stadt. Er war breit genug, um nebeneinander zu gehen, doch er gab unter Athanors Füßen nach, als ob sie sich auf einem Moor befanden. Bei diesem Schwanken grenzte es an ein Wunder, dass kein Wasser auf die Bohlen schwappte.

      »Vom schaukelnden Rücken des einen Biests zum nächsten«, murrte Vindur. »Bist du sicher, dass dieses Ding stabil ist? Ich kann nicht schwimmen.« Einen Moment lang zitterten Vindurs Beine so sehr, dass Athanor es sehen konnte. Dann ballte der Zwerg die Fäuste und setzte einen Fuß vor den anderen. »Ebenso gut könnte man auf dem Schwanz eines Drachen balancieren.«

      * * *

      Bestaunt von tuschelnden Elfen, die aus ihren Fenstern blickten oder ihnen auf den Stegen entgegenkamen, betraten sie die Stadt. Kinder versteckten sich bei ihrem Anblick ängstlich hinter ihren Eltern oder rannten davon. Andere zeigten auf sie, lachten und staunten. Die Erwachsenen musterten sie mit mehr Fassung, doch dafür oft genug mit der üblichen Mischung aus Abscheu und Misstrauen. Sicher fragten sie sich, ob diese beiden merkwürdigen Wesen gefährlich waren. In Theroia hätten die Menschen die Stadtwache gerufen, aber in den friedlichen Elfenstädten gab es nichts dergleichen.

      Vielleicht hätte ich das Rasieren doch nicht auf morgen verschieben sollen. Hol’s der Dunkle! Sie waren nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Er wollte Davaron die eigene Klinge zu schmecken geben, aber wie sollten sie ihn finden? »An wen kann man sich hier wenden, wenn man ein wichtiges Anliegen hat?«, fragte er den nächstbesten Elf. Bei seinem ungewollt barschen Ton verhärtete sich die Miene des Fremden.

      »Geht zur Halle der Thala und fragt nach Kalianara«, riet er und wies gen Stadtmitte, bevor er sich rasch entfernte.

      Sogleich schlug Athanor die angegebene Richtung ein. Die Häuser entlang der Stege waren aus hölzernen Rahmen errichtet, in denen aus Schilf geflochtene Matten die Wände bildeten. Auch darin ähnelten sie den Hütten am Fallenden Fluss, doch während jene grau und armselig gewirkt hatten, bestach das Flechtwerk der Elfen mit kunstvollen Mustern aus gelben, grünen, goldenen und braunen Gräsern. Es ähnelte eher den bunten Wandteppichen im Palast eines Königs als den einfachen Strohmatten eines Fischers.

      Die Halle Thalas war nicht zu verfehlen. Umgeben von schwimmenden Plattformen, die einem ganzen Markt Platz geboten hätten, erhob sie sich über alle anderen Gebäude der Stadt. Die Säulen, die das Dach aus Perlmutt trugen, waren wie Fontänen geformt, sodass es wirkte, als schwebte das Dach auf sprudelndem Wasser. Die Elfenkünstler hatten sie aus angespülten Baumstämmen geformt, und Athanor fragte sich allmählich, ob es an diesem Ort überhaupt etwas gab, das nicht dem Wasser entnommen war.

      Vor der Halle standen einige vornehm gekleidete Elfen in ein Gespräch vertieft. Als sie Athanor und Vindur bemerkten, verstummten sie und wandten sich ihnen zu. Aus Gewohnheit galt Athanors erster Blick den Gürteln der Versammelten. Wie unter Elfen üblich hingen keine Waffen daran. Sicher hatte Davaron in seiner Rüstung und mit dem Schwert an der Seite genug Aufmerksamkeit erregt, dass seine Ankunft den Würdenträgern zu Ohren gekommen war.

      Eine Frau mit entschlossenen Zügen und langem, weißblondem Haar trat ihnen entgegen. Sie trug ein weißes, wie mit glitzernden Fischschuppen besticktes Kleid, das einer Königin zur Ehre gereicht hätte. »Ich grüße Euch, Sohn Kaysas«, sagte sie kühl und vermied es, Vindur anzusehen. Was nicht weiter schwierig war, da sie sogar Athanor um zwei Fingerbreit überragte. »Was führt Euch nach Sianyasa?«

      Für einen Moment erwog Athanor, über ihre Unhöflichkeit verärgert zu sein. Das Gastrecht gebot, dem Fremden zunächst Gelegenheit zu geben, sich von der Reise zu reinigen und ihn dann zu einem Mahl zu bitten, bevor man ihn nach dem Anlass seines Besuchs fragte. Doch er hatte es ohnehin eilig, also beschloss er, darüber hinwegzugehen. »Seid Ihr Kalianara?«

      Die Elfe nickte. »So ist es.«

      »Wir verfolgen einen Mörder. Er hat Elanya …« Bei ihrem Namen wurde ihm die Kehle so eng, dass er das nächste Wort kaum herausbrachte. »… eine Tochter Ardas getötet, und seine Spur führt direkt in Eure Stadt. Er muss vor etwa zwei Tagen hier angekommen sein.«

      Kalianara schüttelte den Kopf. »Ihr seid seit über tausend Jahren der erste Sohn Kaysas, der Sianyasa betritt. Ihr müsst Euch irren.«

      »Davaron ist ein Elf, ein Sohn Piriths«, erklärte Athanor gereizt. »Er trägt eine schwarze Rüstung und …«

      »Dieser Mann ist ein Mörder?«, fiel ihm die Elfe ins Wort.

      Treffer! »Dann habt Ihr ihn gesehen?«

      Kalianara wich zurück und musterte ihn skeptisch. »Wenn es stimmt, was Ihr sagt, warum wird er dann nur von Euch und einem Zwerg verfolgt? Haben die Ältesten der Abkömmlinge Piriths und Ardas keine Gesandten, um den Frevler vor Gericht zu bringen?«

      »Eigentlich hat der Erhabene angekündigt, Boten zu allen Elfenvölkern zu schicken.« Bekam dieser große Redenschwinger nicht einmal das hin?

      Die Elfe schürzte die Lippen. »Damit sind demnach wieder einmal nicht die Söhne und Töchter Thalas gemeint.«

       Thala?

      »Es gibt ein fünftes Elfenvolk?«, wunderte sich auch Vindur. In Anvalon saßen nur die Vertreter der Abkömmlinge Ardas, Heras, Ameas und Piriths im Rat.


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