Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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      Athanor wandte sich Vindur zu, der ungewohnt bleich aussah. Um die Nase hatte die Haut sogar einen grünlichen Ton angenommen. »Hast du einen Geist gesehen? Du bist leichenblass.«

      »Ich muss etwas Verdorbenes gegessen haben«, krächzte Vindur.

      Athanor zog die Brauen zusammen. Er hatte mit seinem Freund gefrühstückt, und ihm ging es gut. Er verspürte sogar schon wieder Hunger.

      »Das ist die Wogenübelkeit«, behauptete Medeam. »Bei uns Elfen tritt sie selten auf, aber vielleicht ist es bei Zwergen anders.« Seine Miene verriet deutlich, was er von Vindurs Schwäche hielt. »Wahrscheinlich, weil Zwerge nun einmal unter ihre Berge gehören.«

      »Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung«, keuchte Vindur und hing im nächsten Augenblick würgend über der Bordwand. Athanor packte ihn am Gürtel, damit er nicht ins Wasser fiel, und blaffte Medeam an, ihm irgendein Tuch zu reichen.

      Während sich Vindur mit Meerwasser säuberte, kehrte Thalasar ans Ruder zurück. Bald hockte die Mannschaft herum und unterhielt sich leise über den erhebenden Abschied, den ihr Volk ihnen bereitet hatte. Es erfüllte sie sichtlich mit Stolz, doch Athanor ging anderes durch den Kopf. »Was meinte Kalianara, als sie davon sprach, dass ihr nicht auf weißen Schwingen zurückkehren sollt?«

      Thalasar musterte ihn abschätzend. »Was wisst Ihr über das Ewige Licht, Kaysasohn?«

      »Nur, dass ihr Elfen furchtbare Angst davor habt, in der Fremde zu sterben, weil eure Seelen dann nicht in dieses Licht eingehen.«

      »Diese Sorge entspringt nicht nur der Angst vor dem Nichts«, widersprach Thalasar. »Vielmehr ist es sogar unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Seele nach dem Tod wieder ins Ewige Licht zurückkehren kann. Denn sonst erlischt es, und dann würden keine Elfen mehr geboren werden.«

      Athanor zuckte mit den Schultern. »Es kamen auch stets wieder Menschen auf die Welt, obwohl unsere Seelen in die Schatten gehen.«

      »Deshalb sind die Menschen den Elfen auch unterlegen. Unsere Seelen sind alt und tragen die Weisheit vieler Leben in sich!«

      Selbst Vindur, der noch immer grünlich aussah, konnte sich eine Grimasse nicht verkneifen. Doch es rächte sich sofort. Wieder musste er sich gefährlich weit übers Wasser beugen, um dem Ozean unfreiwillig sein Frühstück zu opfern.

      Athanor schüttelte nur den Kopf. Wie lange er wohl mit Elfen zusammenleben musste, um von ihrem Hochmut nicht mehr überrascht zu werden? »Und was hat meine Frage nun mit dem Ewigen Licht zu tun?«

      Thalasar seufzte, als rede er mit einem begriffsstutzigen Kind. »Wie ich bereits andeutete, kehren nicht alle Schiffe von ihren Reisen zurück. Das bedeutet Sterbende, deren Seelen unwiederbringlich verloren sind, wenn sie das Ewige Licht nicht vor ihrem Tod erreichen. Deshalb ist es nur jenen Elfen erlaubt, Seeleute zu werden, die sich bei Gefahr in einen Seelenvogel verwandeln können. Habt Ihr schon einmal einen Seelenvogel gesehen?«

      »Nein.«

      »Es sind große weiße Tiere, die man noch weit draußen über dem Ozean antrifft. Wer die Gestalt eines Seelenvogels annimmt, kann auch ohne Schiff die Elfenlande erreichen. Selbst verwundete Elfen haben es auf diese Weise schon geschafft, rechtzeitig zum Ewigen Licht zu gelangen.«

      »Warum verwandeln sie sich dann nicht einfach in ihre wahre Gestalt zurück?«

      »Weil es dafür meist zu spät ist. Wer zu lange ein Seelenvogel war, bleibt in diesem Körper gefangen.«

      Athanor schnaubte. Das sind ja nette Aussichten. Wenn’s brenzlig wird, flattern die Elfen davon, und wir ersaufen allein.

      * * *

      »Glaubst du, dass wir je wieder Land sehen werden?«, tönte Vindurs Stimme hohl aus dem leeren Wasserfass.

      »Ich glaube nicht, sondern ich weiß, dass ich mir dämlich dabei vorkomme, vor den Elfen mit einem Fass zu sprechen«, erwiderte Athanor gereizt.

      »Ich setze es erst wieder ab, wenn meine Haut aufhört, Blasen zu werfen.«

      Athanor seufzte und kniff die Augen gegen das Gleißen der Sonne auf dem Wasser zusammen. Obwohl es ihm durch den ständigen Wind nicht allzu heiß vorkam, hatte sich selbst seine gebräunte Haut in den letzten Tagen gerötet. Doch Vindurs war aufgeplatzt wie bei einer überreifen Frucht und hing in weißen Fetzen. Unter dem Fass, das er sich übergestülpt hatte, ließ wohl auch die Angst nach, die ihn unter dem endlosen Himmel über dem Ozean schlimmer beutelte denn je.

      Wie lange war es her, dass die Küste am Horizont verschwunden war? Sechs Tage? Sieben? Athanor fiel es schwer, sie zu zählen, weil sie so gleichförmig waren. Er erinnerte sich, dass Vindur am zweiten Tag winzige Rostflecken auf seinem Helm entdeckt hatte. Daraufhin waren sie dem Vorbild der Besatzung gefolgt und hatten Waffen und Rüstungen in Ölpapier eingeschlagen und in die Kisten gepackt. Eines anderen Morgens hatten sie riesige Fische gesehen, die länger als die Linoreia waren. Doch zum Glück hatten die Giganten nur seltsame Fontänen gen Himmel geblasen. An einem anderen Tag hatten Regen und raue See Vindur erneut die Wogenkrankheit beschert, während Athanor immer nur nagenden Hunger empfand. Aber den Rest der Zeit waren sie einfach nur gesegelt, Tag und Nacht, hatten gegessen, geschlafen und schweigend aufs Meer gestarrt, um nach dem Schiff des jungen Eleagon Ausschau zu halten. Athanor versuchte, die Strecke zu schätzen, die sie bereits zurückgelegt hatten, doch es blieb ein vages Unterfangen. Ohne Landmarken verlor er das Gefühl für Entfernungen. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass der Ozean so groß war und sie noch immer nicht das Ende der Welt erreicht hatten. Was erfreulich war, denn seine Lehrer hatten ihm erklärt, dass sich das Wasser dort über den Rand hinab ins Totenreich ergoss.

      »Ist das Euer Ernst?«, wunderte sich Thalasar. »Wenn das Wasser über den Rand der Welt fiele, müsste der Ozean längst leer sein.«

      Der Kerl hält sich wohl für den Allerklügsten. »Euer hohes Alter in Ehren, aber jedes Kind weiß doch, dass das Wasser als Fluss Thasos aus dem Totenreich zurück in die Welt fließt.«

      Thalasar lächelte nachsichtig. »Nur, dass den Thasos auch noch niemand gesehen hat.«

      »Vielleicht nur kein seefahrender Elf«, hielt Athanor dagegen. »Er soll sich weit im Westen, hinter den Steppen der Orks befinden.«

      »Wenn wir über den Rand der Welt fallen, werden wir ihn finden«, sagte Thalasar belustigt.

      Mürrisch stapfte Athanor über die von der Gischt schlüpfrigen Planken zum Bug und zurück. Es hieß, der legendäre Eleagon habe auf seiner Reise viele Umwege gemacht und sei oft in die Irre gefahren, weil er in unbekannten Gewässern unterwegs war. Deshalb wussten die Elfen nicht, wie weit Dion auf direkter Route entfernt war. Sie kannten nur die Richtung und vertrauten darauf, genügend Proviant zu haben.

      »Wie lange werden wir noch brauchen?«, fragte Athanor dennoch.

      Wie erwartet seufzte Thalasar resigniert. »Es könnten vier Tage sein, aber auch acht. Es hängt auch vom Wind ab.«

      »Über das Wetter kann sich nur Vindur beschweren. Ihr habt reichlich übertrieben, was die Gefahren angeht. Diese Fahrt ist so langweilig, dass ich mir wünschte, es gäbe einen Fluch, der sich uns in den Weg stellt.«

      »Nur weil Ihr Eure Schlachten bislang überlebt habt, heißt das auch nicht, dass sie nicht gefährlich waren«, gab Thalasar zurück.

      »Zum Dunklen mit Eurer Spitzfindigkeit! Sagt mir lieber, wie Ihr auf diesem endlosen Ozean das Schiff des verfluchten …«

      Ein Ruf unterbrach Athanor.

      »Schiffsführer!« Medeam stand im Bug und deutete schräg voraus.

      Dunkle Wolken sammelten sich am Horizont.

      * * *

      »Dieser Sturm kommt verdammt schnell auf uns zu«, stellte Thalasar besorgt fest. »Holt das Segel ein! Irgendetwas stimmt mit diesen Winden nicht.«

      »Ist die Sonne weg? Es ist auf einmal so dunkel«, tönte Vindurs Stimme hohl aus dem


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