Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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hat nachgelassen«, keuchte Vindur jenseits des Masts.

      Die heisere Stimme drang durch das Rauschen des Wassers wie aus einer anderen Welt an Athanors Ohr. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten ließ er den Eimer sinken und sah sich um.

      »Du merkst es doch auch?«, fragte Vindur, als fürchte er, er könnte sich irren.

      Athanor brummte nur. Die Wellen waren noch immer beeindruckend, doch sie reichten nicht mehr bis zur Mastspitze empor. Der Wind, der eben noch ohrenbetäubend gebrüllt hatte, wehte nur schwach. Verglichen mit dem wilden Ritt, den sie hinter sich hatten, glitt die Linoreia geradezu sanft die Wogen hinauf und hinab. Der graue Dunst um sie her wurde heller. Der eben noch eisenschwarze Ozean nahm die Farbe guten Stahls an.

      Ein Elf stieß einen Schrei aus und eilte nach hinten, wo Thalasar mit geschlossenen Augen neben dem Ruder lag. Athanor wollte aufspringen, doch seine kalten, tauben Beine versagten ihm den Dienst. Medeam stürmte an ihm vorbei, um seinem Verwandten zu helfen.

      »Ist er tot?«, rief Athanor und erkannte seine krächzende Stimme kaum wieder. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte er die steifen Knie durch und richtete sich auf.

      »Nein, er lebt«, antwortete Medeam.

      Gemeinsam betteten die beiden Elfen ihren Schiffsführer auf die Kisten, die aus dem eingedrungenen Wasser ragten. So lag er nicht bequem, aber wenigstens so trocken, wie es auf dem verfluchten Schiff möglich war.

      »Wir müssen das verdammte Wasser loswerden«, knurrte Athanor und zwang seine widerstrebenden Finger, sich erneut um den Henkel des Eimers zu schließen. Jeder Muskel in seinem Körper sträubte sich, die mühsam errungene aufrechte Haltung wieder aufzugeben, doch es musste sein. Solange er im Wasser stand, würde er nie wieder warm werden.

      »Aber was hat er?«, fragte Vindur mit einem besorgten Blick auf Thalasar. Wie konnte sich der Zwerg noch so flink bewegen? Machte ihm die Kälte denn überhaupt nichts aus?

      »Das kommt vom Zaubern«, erklärte Athanor. »Ich habe das schon bei Davaron gesehen. Wenn sie zu viel Magie verbrauchen, werden sie ohnmächtig. Das wird wieder.« Zumindest hoffte er, dass es so war, denn er wusste nicht, ob sie einer der anderen Elfen über den Ozean bringen konnte.

      Für den Moment übernahm Medeam das Ruder und befahl den anderen, wieder das Segel zu setzen. So gelang es ihnen, etwas Wind einzufangen, während sie mit vereinten Kräften das Wasser zurück ins Meer beförderten. Bald war nur noch eine letzte hartnäckige Handbreit übrig. Wenn sie zum Schöpfen nicht Becher und Löffel benutzen wollten, mussten sie es hinnehmen.

      Mit schweren Lidern sah sich Athanor ein letztes Mal um. Die Wogen waren nur noch wenig höher als die Bordwand, aber die Wolken hingen so tief, dass er in diesem Nebel kaum von einem Ende der Linoreia zum anderen blicken konnte. War Davarons Schiff noch irgendwo dort draußen, oder sank der Bastard gerade auf den Meeresgrund?

      Es war sein letzter Gedanke, bevor er erschöpft auf die nassen Planken sank. Über ihm schlug das Segel nur noch ein paar lustlose Wellen. Athanor fiel in traumlosen Schlaf.

      * * *

      Wispernde Stimmen weckten ihn. Vielleicht sprachen die Elfen immer so leise, wenn sie beieinander standen, doch nach dem Sturmgebrüll kam es ihm wie Flüstern vor.

      »Piriyath hat recht«, hörte er Thalasar sagen. »Das war kein gewöhnlicher Sturm. Auch ich habe Magie darin gespürt, starke Magie.«

      »Aber wer außer einem Astar oder einem Gott könnte eine Nacht lang eine solche Macht entfesseln?«, staunte Medeam.

      »Nur weil wir es nicht können, muss es kein Gott gewesen sein«, wehrte Thalasar müde ab. Seit wann waren Elfen so bescheiden?

      Athanor öffnete die salzverkrusteten Lider. Seine Kleider waren immer noch klamm, seine Glieder kalt, und jede Bewegung fiel ihm so schwer, als hätte er eine Nacht lang mit einem Bären gerungen. Der Nebel nahm der Sonne jede Wärme. Wie eine Münze schimmerte sie durch den Dunst, gleich neben dem Segel, das schlaff herabhing.

      Der Anblick erinnerte Athanor an seinen letzten Gedanken vor dem Einschlafen. War Davarons Schiff gesunken? Näherten sie sich endlich einer Küste? Er stand auf und sah sich um. Das Meer lag glatt wie ein zugefrorener See da. Nur das auf der Stelle schaukelnde Boot schlug träge Wellen, die sich im ölig wirkenden Wasser bald wieder verloren. An einigen Stellen reichte der Nebel noch bis zum Wasser hinab. An anderen rissen die weißen Schwaden bereits auf.

      »Schiffsführer!«

      Der Ruf war nicht laut, doch es lag eine solche Dringlichkeit darin, dass sich auch Athanor hastig umwandte. Vor ihnen ragte etwas Dunkles, schwer Bestimmbares aus dem Nebel. Obwohl es wirkte, als käme die Linoreia keinen Fingerbreit voran, wurde sie doch auf das Gebilde zugetrieben.

      »Was ist das?«, fragte Medeam.

      Niemand antwortete. Außer dem leisen Schmatzen des Wassers an ihrem Schiff war es totenstill. Athanors Hand langte nach dem Schwertgriff, der nicht an seinem Platz war.

      »Bewaffnet euch!«, raunte Thalasar. »Vielleicht solltet Ihr Eure Nabelschnur durchtrennen.« Vage deutete er in Athanors Richtung.

      Meine was? Athanor sah an sich hinab und entdeckte das Seil, mit dessen Ende er sich an den Mast gebunden hatte. Falls ihnen ein Kampf bevorstand, konnte es ihn in der Tat behindern. Kurz zerrte er mit steifen Fingern an dem aufgequollenen Knoten, dann zog er das Messer und schnitt sich los. Hastig öffnete er die Seekiste, in der er Schwert und Kettenhemd verstaut hatte. Sie stand bis zum Rand voll Wasser. Aufgeweichte Brotkrumen schwammen obenauf. »Verdammt!« Fluchend packte er in die trübe Brühe, zog den in Ölpapier eingeschlagenen Schwertgurt heraus und legte ihn an. Wenigstens die Klinge war in der Scheide erstaunlich trocken geblieben.

      Um ihn herum zerrten die Elfen Harpunen zwischen Rudern und Kisten hervor. Rasch setzte Vindur den nassen Helm auf und riss die tropfende Hülle von seiner Axt. Thalasar stand mit dem konzentrierten Blick im Heck, der verriet, dass er zauberte. Schon blähte eine leichte Brise das Segel und trieb die Linoreia ein wenig schneller voran.

      »Bleibt verteilt, sonst kentern wir!«, mahnte Medeam, als Athanor zu den beiden Elfen im Bug eilen wollte.

      Noch immer verhüllte der Nebel, was vor ihnen aus dem Wasser ragte. Thalasar steuerte einen neuen Kurs, um dem Hindernis auszuweichen. Je näher sie kamen, desto klarer stach etwas Kantiges aus dem Dunst. Es sah aus wie … Holz?

      »Ein Schiff!«, rief Piriyath.

      »Untiefe voraus!«, schrie der Elf neben ihm.

      Wasser rauschte unter dem Bug auf. Die Linoreia warf sich so abrupt zur Seite, dass Athanor um sein Gleichgewicht rang. Vindur murmelte einen Fluch in seinen Bart. Athanor merkte, wie sich die Planken unter seinen Füßen verformten. Mit leisem Knirschen schabten sie über Sand. »Wir hängen fest!«

      Eine Böe blies so plötzlich ins Segel, dass die Linoreia mit einem Ruck von der Sandbank glitt. Bevor es wieder im Nebel versank, erhaschte Athanor einen Blick auf das Wrack, das mit zerbrochenem Rumpf im seichten Wasser lag.

      »Ist das …?« Vindur hatte offenbar denselben Gedanken wie er. Doch das Segel, das in Fetzen vom Mast herabhing, sah zu verrottet aus, um von einem kürzlich gestrandeten Schiff zu stammen. Auch die Form des Hecks stimmte nicht. Es war höher und eckiger geformt als das der Elfenschiffe.

      »Nein. Es kann nicht Davarons Boot gewesen sein.« Aber woher stammte das Schiff dann? Aus Dion? »Warum ist das Wasser hier so flach? Sind wir so nah an der Küste?«, rief Athanor.

      »Wenn Ihr für einen Moment schweigen würdet, könnten wir lauschen, ob wir eine Brandung hören«, tadelte Thalasar.

      Zähneknirschend hielt Athanor den Mund und horchte in den Nebel. Außer leisem Plätschern hörte er nichts. Im Bug hielten die Elfen nach weiteren Untiefen Ausschau und bedeuteten Thalasar mit ihrem Schweigen, dass er sich auf sicherem Kurs befand. Mit jedem Augenblick hob sich der Nebel höher, ballte sich umso dichter vor der Sonne, deren Licht schwand. Immer weiter reichte die Sicht


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