Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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      »Vindur, bindet Euch mit einem Seil am Mast fest, wenn Euch Euer Leben lieb ist«, riet Thalasar. »Vielleicht solltet Ihr das auch tun, Athanor, damit Euch keine Woge über Bord spülen kann.«

      »Und was ist mit Euch?«

      »Wir sind Söhne Thalas. Uns zwingt das Wasser nicht so leicht seinen Willen auf.«

      Wie Ihr meint. Athanor schnappte sich ein herumliegendes Tau und warf es Vindur zu, sobald der Zwerg das Fass abgesetzt hatte. »Hast du Thalasar gehört?«

      Vindurs Blick schoss zwischen Athanor und der Wolkenwand hin und her, die sie schon fast erreicht hatte. Schon zerrte der Wind an ihren Haaren und heulte in der Takelage. Als Athanor mit einem weiteren Seil zum Mast eilte, band sich Vindur bereits eine Schlinge um den Leib. Hastig knoteten sie das andere Ende ihrer Rettungsleinen um den Mast.

      »Hier!« Medeam reichte Athanor einen Holzeimer.

      »Was soll ich damit?«

      »Den Ozean wieder hinauswerfen, wenn er hereinkommt.« Der Elf zog zwei weitere Eimer zwischen den Kisten hervor und drückte einen davon Vindur in die Hände.

      Die Antwort blieb Athanor im Hals stecken, denn in diesem Moment richtete sich die Linoreia so steil auf, dass seine Füße über die schlüpfrigen Planken rutschten. Vindur schlitterte mit einem Fluch gegen den Mast und klammerte sich daran fest. Gischt sprühte vom Kamm der gigantischen Woge herab, die das Schiff erklomm wie einen Berg. Im nächsten Augenblick fanden sie sich haushoch über dem Wellental wieder. Hügel aus Wasser türmten sich vor ihnen in der hereinbrechenden Dunkelheit auf. Das stetige Knarren des Schiffs, das Athanor kaum noch wahrgenommen hatte, wurde lauter. Die Planken bewegten sich unter seinen Füßen, als sei die Linoreia zum Leben erwacht. Einer der Elfen hastete an ihm vorbei nach vorn und kniete dort nieder, während das Boot kippte – erst langsam, dann rasend schnell.

      »Festhalten!«, schrie Vindur.

      Athanor schlang einen Arm um den Mast und starrte am Bug vorbei in die Tiefe, in die sie stürzten. Ihm war, als werde sein Magen nach oben gezogen, während er fiel. Jeden Moment mussten sie aufprallen und ins plötzlich eiskalte Wasser tauchen.

      Der im Bug kauernde Elf hielt seine Hände beschwörend vor sich. Athanor traute seinen Augen nicht. Die Spitze der Linoreia hob sich. Wasser wallte zu beiden Seiten auf, trug den Bug empor und fing den Sturz damit ab. Zwar jagte der Aufprall dennoch einen Ruck durchs Schiff, doch es bohrte sich nicht in die See, sondern glitt weiter, schickte sich an, den nächsten nassen Hang zu erklimmen.

      »Ich dachte, Thalasar sei der große Zauberer«, höhnte Athanor gegen das anschwellende Rauschen der See.

      »Wir sind eine Mannschaft«, rief Medeam in das Tosen. »Thalasars Magie hält das Schiff auf Kurs.«

      »In diesem Sturm?«

      »Er sorgt dafür, dass wir die Wellen im richtigen Winkel nehmen«, brüllte Medeam gegen den Wind an, der auf dem Wellenkamm mit neuer Wucht an ihnen zerrte. »Sonst kentern wir.«

      Athanor wollte antworten, doch der Wind riss ihm die Worte aus dem Mund. Erneut stürzte sich das Boot ins Wellental wie ein Schlitten, der einen Hang hinabsaust. Athanor spürte an seinem Haar, wie der Wind hin- und hersprang, als könnte er sich nicht für eine Richtung entscheiden. Die Linoreia begann im Sturz, sich zu drehen. Mit einem Mal kam das Wellental der Breitseite des Boots bedrohlich näher.

      »Tut etwas!«, brüllte Athanor Thalasar zu, der mit konzentriertem Blick im Heck saß und einen Zauber wirkte, da er nicht einmal mehr das Ruder hielt, das stattdessen in der Luft hing. Wahrscheinlich hörte der Elf nichts, denn in diesem Augenblick rauschte die Linoreia in solcher Schräglage durch das Tal und in die nächste Woge hinein, dass sich ein Wasserschwall über die Bordkante ergoss. Bis in Athanors Stiefel schwappte es, bevor es, der neuen Neigung folgend, ins Heck floss, doch es blieb genug zurück, dass es Athanor bis über den Knöchel stand.

      Wie auf ein stummes Kommando ließen Vindur und er den Mast los und gossen Eimer um Eimer Wasser über Bord, so rasch sie konnten. Auf dem Wogenkamm gelang es Thalasar, das Boot wieder gerade zu richten. Bug voran ging es den nächsten Hang hinab. Das eingedrungene Wasser brandete in dem kippenden Schiff nach vorn wie eine Springflut.

      Noch ein solcher Schwall, und die Linoreia sinkt wie ein Stein! Athanor stemmte sich auf den abschüssigen Planken gegen die Kraft, die ihn gen Tiefe zog, und schöpfte um sein Leben. Immer wilder heulte der Wind in den Tauen. Immer unberechenbarer türmten sich die Wellen auf, verwandelten sich von gleichmäßig anrollenden Hügeln in ein zerklüftetes Gebirge. Wie Treibgut wurde das Boot durch die Dunkelheit gewirbelt. Auf dem tintenschwarzen Wasser tanzten Muster aus weißem Schaum.

      Athanor blickte nicht mehr auf. Seine Arme bewegten sich wie von selbst. Längst spürte er die vom kalten Wasser tauben Finger nicht mehr, und doch hielten sie den Henkel des Eimers umklammert. Die durchnässten Kleider klebten ihm am Leib. Der Wind peitschte ihm das Haar ins Gesicht, doch er wagte nicht, es zurückzubinden, denn dafür hätte er den Eimer loslassen müssen – die einzige Waffe gegen diesen übermächtigen Feind.

      Sosehr sich die Elfen auch mühten, wann immer Athanor glaubte, den Stand des Wassers im Boot gesenkt zu haben, schwappte neues herein. Auf der anderen Seite des Masts betete Vindur in endloser Folge dieselben Flüche vor sich hin, verwünschte Davaron, Schiffe und sämtliche Ozeane der Welt, bis ihm die Stimme versagte.

      Wieder und wieder stieg die Linoreia einen Wellenberg hinan, nur um im nächsten Augenblick in einen Abgrund zu rasen. Athanor kippte mit ihr nach vorn und wieder nach hinten, rang um sein Gleichgewicht und das Leeren des nächsten Eimers zugleich. Mal neigte sich das Boot gefährlich weit zur einen, dann zur anderen Seite, sodass er gegen den Mast treten musste, um sich zu stützen. Bald wusste er nicht mehr, wie oft er geglaubt hatte, dass es nun zu Ende ging, dass Thalasars Zauberkraft schwand und sie zu den Riesen am Grund des Ozeans sinken würden.

      Je länger ihm der Wind in die Ohren brüllte, je öfter die See das Schiff auf und nieder warf, desto gleichgültiger wurde er gegen das Toben der Elemente. Stur schöpfte er gegen das eindringende Wasser an. Längst waren seine Arme schwer. Sein Rücken ächzte, als stemme er Trolle über Bord. Doch er hatte nicht gegen blutrünstige Chimären und Heere von Untoten gekämpft, um sich jetzt einem dämlichen Sturm zu ergeben. Hörst du, Dunkler? Lass dir was Besseres einfallen! Ich werde den Bastard einholen und dir zu Füßen werfen!

      Der nächste Brecher prallte auf die Linoreia, dass die Bordwand krachte. Wassermassen klatschten ins schwankende Boot, und Athanor schwang den Eimer mit neuer Wut.

      5

      Der Sturm tobte die ganze Nacht. Irgendwann war Athanor endgültig auf die Knie gesunken. Das Wasser reichte ihm manchmal bis zum Gürtel, brandete ihm bis ins Gesicht. Ganz von selbst glich sein Körper das Auf und Ab der Wogen aus. Seine Arme wuchteten Eimer um Eimer Wasser über Bord, ohne dass er es merkte. Er hatte keinen Blick mehr für Vindur, dessen Flüche verstummten, oder die Elfen, die wie Gespenster durch die Dunkelheit spukten. Er starrte ins Leere, während er in Gedanken mit Hadon, dem Totengott stritt. Seit Ewigkeiten drehte sich ihr Disput im Kreis. Athanor erklärte, dass er nicht sterben würde, und der Dunkle grinste höhnisch. Noch nie hatte Athanor das Gesicht des Gottes so deutlich vor sich gesehen. Es war nicht das runde Antlitz, das bei Vollmond aus grünlichen Linien auf einer fahlen Scheibe bestand. Es glich eher einem Totenschädel – hager, unheimlich, mit Augen, in denen selbst das Licht der Sonne erlosch.

      Plötzlich bewegte die Erscheinung dünne Lippen. Eine Stimme, kalt wie eine Winternacht, ertönte in Athanors Kopf. »Warum sollte ich dich zu mir rufen, wo du mir so treue Dienste leistest?«

      Athanor schreckte auf, als hätte er geschlafen. Das Bild des Dunklen verschwand abrupt, und doch war ihm, als hätte er nie zuvor etwas Wirklicheres gesehen. Gab es die Götter etwa doch? Warum hatten sie dem Untergang der Menschheit dann tatenlos zugesehen? Warum waren alle Gebete und Opfer an den lichten Aurades vergebens gewesen, wenn er doch Nacht für Nacht seinen dunklen Bruder Hadon besiegte? Athanor schüttelte sein durchnässtes


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