Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


Скачать книгу
vor sich, wie die Harpune in den Rachen drang. Doch in diesem Moment kippte die Linoreia zur anderen Seite. Er verriss die Spitze, spürte, wie sie über die Schuppen des Drachen glitt. Einen Lidschlag lang sah er dem Ungeheuer ins flammenrote Auge, dann packten die mächtigen Kiefer zu, schlossen sich um den splitternden Spieß und schleuderten ihn samt Athanor in weitem Bogen zur Seite.

      Es ging so schnell, dass er nicht einmal loslassen konnte. Er spürte pfeifende Luft und Schwerelosigkeit, bis er platschend aufschlug. Der Mast prellte ihm aus den Armen. Plötzlich war nur noch kaltes, graues Wasser um ihn, drang in Augen, Nase und Mund. Keuchend kam er wieder an die Oberfläche, hustete, trat um sich, um nicht sofort wieder unterzugehen. Endlich klärte sich seine Sicht. Gegen das Wasser blinzelnd entdeckte er die Linoreia. Gestalten rannten auf dem Boot, doch im nächsten Moment verdeckte der Drache sie. Wie eine Schlange wand er sich um das Schiff und drückte zu. Er war so groß, dass Athanor nur die Mastspitze über dem grün geschuppten Leib aufragen sah. Ein lautes Bersten und Krachen ertönte. Zersprungene Planken flogen in alle Richtungen und klatschten ins Meer.

      Drei weiße Vögel stiegen mit raschen Flügelschlägen in den Nebel auf. Gegen den Drachen wirkten sie klein, doch sie mussten die Größe von Adlern haben. Das Ungeheuer stieß ein Fauchen aus und schnappte nach einem von ihnen, doch der Seelenvogel wich aus und stieg höher. Zornig biss der Drache um sich, als wollte er wenigstens irgendeinen seiner fliehenden Gegner erwischen. Aber der Dunst hing zu tief, und ihre Farbe tarnte die Vögel. Einen Augenblick später waren sie verschwunden.

      Der Seedrache sandte ihnen ein Brüllen nach, das Athanor aus seiner Starre riss. Wenn ihn der Drache entdeckte, war er verloren. Hastig holte er Luft und tauchte unter, schwamm unter Wasser, so weit er konnte, bevor seine Lunge zu platzen drohte. Lebte Vindur noch? Konnte er ihm helfen? Er strich sich die triefenden Haare aus den Augen, während er Luft holte, und sah sich nach der Linoreia um. Nur noch treibende Trümmer waren von ihr geblieben. Aus seiner Perspektive konnte er sie kaum noch sehen. Der Drache wütete darin, drosch mit seinem peitschenden Schwanz auf den Ozean ein, dass Wasser schier bis zum Himmel spritzte.

      Du wolltest nie wieder Freunde zurücklassen, erinnerte ihn eine Stimme aus seinem Innern.

      Athanor ballte die Fäuste. Vindur konnte nicht einmal schwimmen. Er war längst ertrunken, wenn ihn der Drache nicht zuvor zerquetscht hatte. Wenn ich jetzt abhaue, kann ich vielleicht eine Sandbank erreichen. Allerdings lagen die Wracks bereits weit zurück, und der Nebel wurde wieder dichter. Ohne Sonne würde er die richtige Richtung niemals finden.

       Willst du Vindur im Schattenreich einst gegenübertreten und ihm sagen, dass du nicht einmal versucht hast, ihn zu retten?

      »Götterverflucht«, zischte er, »ja! So bin ich nun mal!« Auf diese Art war er den Drachen aus dem brennenden Theroia entkommen – und ihren Chimären auf der Jagd nach Flüchtlingen. Alles und jeden hatte er verraten und im Stich gelassen, um zu überleben.

      Der Drache pflückte mit den Zähnen das Segel aus dem Wasser und schüttelte es samt dem daran hängenden Mast wie ein Wolf seine Beute.

      Dieses Mal ist es anders. Vindur wollte sterben. Er wollte endlich seinem Schildbruder in die Schmiede des Großen Baumeisters folgen, wie es sein Schwur vorsah. Aber ich habe noch eine Aufgabe zu erfüllen.

      Athanor wandte sich ab und tauchte. Erneut brachte er so viel Abstand zwischen sich und den Drachen, wie er konnte, bevor er Atem holte. Wieder und wieder tauchte er. Das Schwert an seiner Seite zog immer schwerer an ihm. Was brachte es ihm hier schon? Fort damit! Als er die Gürtelschnalle löste, sank es sofort. Er schwamm weiter. Längst verbarg sich die Sonne hinter den Nebelschleiern. Leichte Wellen kräuselten das Wasser, klatschten ihm ins Gesicht, als wollten sie ihn verhöhnen. Das ewige Salz in seinem Mund machte ihn durstig. In welche Richtung musste er nun? Es war fast leichter zu tauchen, als gegen diese heimtückischen Wellen anzuschwimmen. Immer im falschen Moment schwappten sie bis in seine Nase hinauf.

       Tritt nicht auf der Stelle! Hier gibt es nichts. Beweg dich!

      Es dämmerte. Irgendwo hinter dem verfluchten Dunst ging die Sonne unter. Athanor peitschte sich weiter. Das Wasser, das ihn auf seltsame Art trug, lähmte zugleich seine Glieder. Oder war es die Kälte? Wann hatte er begonnen zu zittern? Er erinnerte sich nicht mehr, und irgendwann hörte es wieder auf. Es wurde Nacht. Er wusste nur noch, dass er nicht untergehen durfte. Dieses Wasser war zu tief. Er würde sinken und sterben und weitersinken, hinab in die Schattenwelt. Der Ozean hatte ein Ende. Wenn er nur lange genug durchhielt, würden ihn die Wellen an Land tragen – an die Küste der Elfenlande zurück oder nach Dion.

       Niemand kann tagelang schwimmen.

      Athanor ignorierte die Stimme und bewegte die schwerfälligen Beine. Obwohl es so dunkel war, glänzte das Wasser, und der Nebel hing grau, nicht schwarz über ihm. Vielleicht stand der Mond am Himmel, und der Dunkle sah amüsiert auf seinen dummen Hund herab, der einfach nicht aufgeben wollte. Bewegte er sich wirklich noch? Wasser drang in seine Nase. Athanor schreckte hoch. Er musste für einen Moment eingenickt sein. Mit neuem Schwung schob er sich mit Armen und Beinen durchs Wasser, als sei er wirklich ein Hund. Doch die Kraft verließ ihn so rasch wieder, wie sie gekommen war. Sein Nacken war steif. Er drehte sich auf den Rücken und ließ sich eine Weile treiben. Wieder fielen ihm die Augen zu. Er merkte es erst, als Wasser in seinen Mund lief. Das Husten schenkte ihm erneute Kraft, doch diese Momente wurden immer kürzer. Er ahnte, dass er den kommenden Tag nicht mehr überleben würde.

       Hör endlich auf zu kämpfen, du Narr, und stirb!

      Allmählich bekam die Vorstellung etwas Verlockendes. In der Schattenwelt mochte es ebenso kalt und dunkel sein, aber wenigstens wäre es ihm dann gleich. Oder nicht? Ich mag kein Held sein, aber ich ergebe mich nicht. Ich werde Davaron finden. Wieder zwang er seine zentnerschweren Beine, sich zu bewegen. Einmal, zweimal, dann streifte etwas sein Knie.

      * * *

      Den ganzen Sturm hindurch hatte Eleagon Davarons Schwertgurt getragen. Jetzt hob er ihn so hoch, dass er den dunklen Kristall am Knauf der Waffe genau betrachten konnte. »Die Träne eines Astars. Es scheint tatsächlich etwas von der Macht eines Astars darin gespeichert zu sein.«

      Davaron bemerkte sehr genau, wie sich der junge Schiffsführer überwinden musste, ihm das Schwert zurückzugeben. Dieser Mann besaß Ehrgeiz, sonst hätte ihn die Aussicht auf Ruhm nicht gelockt.

      Eleagon gab sich einen Ruck. Das sonnengebleichte Haar hatte er sich in einem Zopf aus dem Gesicht gebunden, was seine fast weißen Augen noch eindringlicher zur Geltung brachte. »Hier. Nehmt es! Wir alle schulden Euch Dank dafür, dass Ihr es mir geliehen habt. Ohne die Kraft dieses Steins hätte ich dem Sturm weit weniger zu trotzen vermocht.«

      Vergesst es nicht gleich wieder, dachte Davaron säuerlich, doch er winkte ab. »Ich wollte uns allen ein unfreiwilliges Bad ersparen, aber damit war ich nicht besonders erfolgreich.«

      Die Besatzung der Kemethoë lachte. Ihnen allen tropfte noch Wasser aus Haaren und Kleidern, doch Sonne und Wind würden sie bald getrocknet haben. Nur noch Salzränder würden dann an die vergangene Nacht erinnern.

      Da er den Schwertgurt einhändig nur mühsam anlegen konnte und zu erschöpft war, um es zu versuchen, behielt Davaron ihn in der Hand. Schön, dass alle so erleichtert sind. Dabei hatte er in größerer Gefahr geschwebt als sie alle. Er war der Einzige auf diesem Schiff, der sich nicht in einen Vogel verwandeln und wegfliegen konnte, wenn es sank.

      Linker Hand hing in der Ferne Dunst über dem Wasser. Vielleicht tobte der Sturm dort noch immer. Doch in alle anderen Richtungen erstreckten sich harmlose, strahlend blaue Wellen, in denen sogar ein paar Delfine sprangen. Als hätte es diese Nacht nicht gegeben.

      Eleagon rieb sich nachdenklich das Kinn. »Dieser Sturm war ungewöhnlich. Er wechselte immer wieder die Richtung.«

      »Es lag Magie darin«, behauptete Mahanael, dessen selbst für einen Elf hohe und schlanke Gestalt ebenso auf Ahnen unter den Abkömmlingen Heras schließen ließ wie seine durchscheinende Haut. Wenn sich jemand aus der Mannschaft auf Luftmagie


Скачать книгу