Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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Verwittert und bleich lagen sie im Dunst wie die Knochen lange verstorbener Riesen.

      »Bei allen Astaren«, flüsterte Piriyath, »das muss Abadon sein – die Schattenwelt der Ertrunkenen.«

      Athanor schnaubte nur. Schließlich waren sie nicht ertrunken. Aber konnte er sich dessen sicher sein? Er war nass und kalt wie eine Leiche, die man aus einem Fluss zog …

      »Wenn es nicht Abadon ist, hatten wir unfassbares Glück«, befand der junge Elf. »Wären wir im Sturm hierher geraten, hätten uns die Brecher zertrümmert.«

      »Ich glaube eher, dass uns Thalasar gerettet hat«, erwiderte Medeam. »Du hast es gehört. Es war kein gewöhnlicher Sturm. Wir sollten hier zerschellen, aber Thalasar hat dem Zauber so lange standgehalten, dass der Plan nicht aufging.«

      »Wenn das so ist, sollten wir lieber wachsam bleiben«, mahnte Vindur und sah sich misstrauisch um.

      Medeam nickte. »Wohl gesprochen, Zwerg. Noch sind wir nicht hindurch.«

      Schweigend spähten sie abwechselnd über die Bordwand ins Wasser und zu den reglos daliegenden Wracks hinüber. Immer wieder rief einer der Elfen im Bug Begriffe und Zahlen, die Thalasar offenbar halfen, zwischen den Sandbänken hindurchzunavigieren. Doch davon abgesehen blieb es unnatürlich still. Athanor konnte kaum glauben, dass er das unablässige Säuseln des Winds in seinem Ohr vermisste, doch es gehörte so fest zur Fahrt auf diesem Schiff, dass ihn sein Fehlen beunruhigte.

      Wieder schweifte Athanors Blick über ein gestrandetes Boot. Es war noch kürzer als die Linoreia, aber ebenso breit und aus dickeren Planken gefügt. Wer außer den Elfen befuhr dieses Meer, und warum hatte er noch nie von diesen Seeleuten gehört? Wohin hatte der Sturm Davaron verschlagen? »Sollten wir nicht bleiben und nach dem Schiff dieses Eleagon su…« Er brach ab, als eine unscheinbare Woge beinahe lautlos gegen das Wrack schwappte. Aus Richtung der Linoreia kam sie nicht. Misstrauisch musterte er das Wasser.

      »Da!«, rief Vindur hinter ihm. »Was ist das?«

      Athanor wandte sich um, doch die See lag noch immer nahezu unbewegt. »Was?«

      »Ein Aufwallen. Wie in einem Kessel auf dem Feuer, aber … Da!«

      An einer Stelle hob sich das Wasser, als ob sich etwas darunter regte. Im nächsten Augenblick lag es wieder still.

      »Was zum …« Athanor sah zu Thalasar, der mit gerunzelter Stirn aufs Wasser blickte.

      »Jetzt ist es hier!«, gellte Medeams Ruf aus dem Bug.

      »Es umkreist uns«, flüsterte der Elf neben Athanor. Die Linoreia schaukelte kurz, dann stand sie wieder aufrecht in der glatten See. Athanor glaubte, einen Schatten unter der Oberfläche zu sehen. Der Schemen zog an ihm vorbei, und wo er gerade noch gewesen war, wogte das Wasser.

      »Festhalten!«, rief Thalasar. Seine Stimme ging in plötzlichem Rauschen unter. Etwas Gewaltiges schoss neben dem Bug der Linoreia empor und riss Schiff und Wasser mit sich. Jäh stieg die Linoreia in die Höhe und kippte dabei zur Seite. Athanor glaubte, Schreie zu hören, doch er konnte sich nur an die Bordwand klammern. Wasser prasselte ihm ins Gesicht, raubte ihm die Sicht auf das, woran das Schiff nun abglitt, mit fast waagrechtem Mast und doch vorangetrieben von Thalasars magisch beschworener Böe.

      War es das Brausen des Winds, das Rauschen des Wassers, durch das die Linoreia raste wie von einem neuerlichen Sturm gepeitscht? Oder ein Brüllen, so laut, dass es die Planken unter Athanors Fingern zittern ließ? Mit einem Ruck richtete sich das Schiff wieder auf und jagte noch schneller dahin. Taue und Mast knarrten unter dem Wind, der Athanor Tränen in die Augen trieb. Hastig rappelte er sich auf und spähte zurück. Die Linoreia bockte, als ihr eine Sandbank einen Schlag unter den Kiel verpasste, doch sie flog weiter.

      Hinter ihnen ragte ein grünlich glänzendes Ungeheuer aus dem Ozean. Es hatte nur Kopf und Hals aus dem Wasser gereckt, und doch blickte es aus Baumhöhe auf die schaumige Spur des Schiffs hinab. Lange Fäden hingen ihm wie Barteln um das geöffnete Maul, in dem Zähne wie Schwertklingen blitzten. Es mochte weder Flügel noch Feuer haben, doch es war zweifellos ein Drache. Die mit spitzen Hornplatten gespickte Rückenlinie teilte das Wasser, als er sich hinter ihnen herwarf und tauchte.

      »Er folgt uns!«, brüllte Athanor gegen den Wind. Falls Thalasar ihn hörte, ließ es sich der Elf nicht anmerken. Er hielt das Ruder und starrte ins Segel hinauf. In den entschlossenen Zügen glaubte Athanor, Zeichen der Erschöpfung zu entdecken. Verdammt! Was konnten sie in dieser Nussschale einem solchen Ungetüm entgegensetzen?

      Vindur zerrte unter der Ausrüstung den alten Schild hervor, den die Zwerge Drachenauge nannten. Sternförmig aufgebrachte Kupferblitze ähnelten der Iris eines Drachen, während der schwarze, längliche Schildbuckel die Pupille nachahmte. Mit Blut hatte Hrodomar Vindur darauf die Schildbruderschaft geschworen und war doch allein in den Tod gegangen. Vindur stellte sich mit Schild und Axt mitten im Boot auf. Seine grimmige Miene verriet keine Angst. »Mit einem Drachen hat meine Verbannung begonnen, und mit einem Drachen wird sie enden.«

      Athanor sah sich um. Es musste irgendetwas geben, das er tun konnte. Der Ersatzmast! »Piriyath, gib deine Harpune her!«

      Der Elf wandte sich vom Horizont ab, wo weit und breit keine Wracks mehr zu sehen waren. Vielleicht hatten sie die Sandbänke hinter sich gelassen. Die Linoreia fegte über die kaum vorhandene Dünung wie ein jagender Falke.

      »Was willst du damit? Du hast dein Schwert«, murrte Piriyath gegen den Wind.

      »Hilf mir lieber, den Ersatzmast loszumachen!«, herrschte Athanor ihn an und säbelte den ersten Strick entzwei. »Wenn wir deine Harpune an die Spitze binden, können wir ihn als Lanze verwenden.«

      Wortlos sprang ihm Medeam zur Seite. Nun legte auch Piriyath Hand an. Wenige Lidschläge später hielten Athanor und Medeam die lange, etwas zu dicke Stange fest, während Piriyath mit Seemannsknoten seine Waffe daran befestigte.

      »Nicht übel«, befand Vindur.

      Athanor nickte, obwohl er Zweifel hegte. Die Schuppenhaut eines Drachen zu durchdringen, erforderte enorme Kraft, und der Boden unter seinen Füßen – das Schiff – gab jedem Druck nach. Hol’s der Dunkle! Sie hatten keine Wahl. Er packte den provisorischen Spieß und stützte das Ende an einer Querstrebe der Linoreia ab.

      Noch blähte sich das Segel in Thalasars magischem Wind, dass die Takelung ächzte, doch das Gesicht des Elfs war vor Anstrengung grau und verzerrt. Er brach so plötzlich zusammen, dass Medeam nicht rechtzeitig bei ihm war, um ihn aufzufangen. Sein Kopf schlug auf die Bordwand. Sofort sickerte Blut durch das weiße Haar. Bewusstlos oder tot – in jedem Fall würde er sich nicht in einen Seelenvogel verwandeln und davonfliegen können.

      Athanor wusste nicht, warum ihn der Gedanke berührte. Warum sollte es dem Elf besser ergehen als ihm? Über ihm fiel das Segel in sich zusammen, und sogleich verlor die Linoreia an Fahrt. Medeam übernahm das Ruder, während die anderen Elfen Thalasar hastig in die Mitte des Boots trugen und auf die Decken betteten. Athanor und Vindur behielten den Ozean hinter dem Schiff im Auge. Die Linoreia verlangsamte sich so rasch, dass es Athanor bereits vorkam, als trieben sie erneut auf der Stelle.

      »Bei allen Astaren, bringt das Segel an diesen Hauch von Wind!«, schimpfte Medeam. »Piriyath, kannst du ihn verstärken?«

      Die Elfen eilten an die Taue.

      Piriyath sah gequält den Mast empor. »Ich habe kaum noch Kraft.«

      Der Feigling will sich aufsparen, damit er abhauen kann! »Tu gefälligst …!«

      Die Worte erstarben Athanor im Mund. Hinter dem Heck türmte sich rasend schnell Wasser auf, bevor ein riesiger, zottiger Schädel die Oberfläche durchbrach. Wie ein Korken, den man unter Wasser gedrückt hatte, schoss er auf seinem langen Hals in die Höhe. Sturzbäche rauschten an ihm herab. Wild schaukelte die Linoreia auf den aufgewühlten Wogen. Athanor rang darum, auf den Füßen zu bleiben. Schon fuhren die zähnestarrenden Kiefer auf ihn herab. Athanor brüllte, kämpfte gegen das Schwanken, um die Lanze auf das stinkende


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