Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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verschont. Fast konnte er den Dunklen darüber lachen hören. Dieser Schweinegott gewinnt immer. Ob ich töte oder nicht. Den Dunklen musste er damit durchkommen lassen, Davaron nicht.

      »Mag sein, dass du ihn schon einmal bezwungen hast«, erwiderte Vindur. »Aber ich werde dafür sorgen, dass er dieses Mal nicht wieder aufsteht.«

      »Das wird nicht nötig sein.«

      »Das kannst du nicht wissen«, beharrte Vindur. »Er wird nicht auf dieselben Finten reinfallen wie beim letzten Mal.«

      »Herr der Schatten! Komm einfach mit und halt endlich die Klappe!«

      Vindur nickte zufrieden. Athanor trieb sein Pferd zu einem leichten Galopp an. Solange die Spuren so gut sichtbar waren, behielt er die Geschwindigkeit bei. Es war sein erster Einfall gewesen, zu der Stelle zu reiten, an der es geschehen war, und dort Davarons Fährte aufzunehmen. Doch je mehr Zeit er hatte, sich in die Lage des Mörders zu versetzen, desto mehr Zweifel kamen ihm. Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass Davaron das Offensichtliche tat. Wenn es darauf ankam, konnte der Bastard ein gerissener Hund sein. Ich hätte doch zuerst die Elfen befragen sollen, die Elanya zurückgebracht haben. Vielleicht hatten sie an den Spuren gesehen, dass Davaron nach der Tat auf seiner eigenen Fährte zurückgeritten war, bevor dieser Trupp alles umgepflügt hatte.

      Athanor ritt langsamer und achtete darauf, ob irgendwo eine Spur von den anderen abzweigte. Der Untergrund wurde steiniger, das Gelände stieg an. Als felsige Anhöhen in Sicht kamen, wurde Athanor die Kehle eng. Auf einem dieser Gipfel musste es geschehen sein. Obwohl er wieder auf die Hufabdrücke starrte, sah er ständig vor sich, wie es abgelaufen sein könnte. Wie Davaron Elanya am Haar packte und ihren Kopf zurückbog, um ihr das Messer über die Kehle zu ziehen. Nein. Nicht der verfluchte Krüppel mit seiner einen Hand. Aber wie dann? Athanor sah, wie sie schlafend in der Sonne lag und sich Davaron über sie beugte. Wie sie stritten und der Elf das Schwert herausriss. Das Ergebnis war stets dasselbe: Elanyas toter Leib vor dem Haus ihrer Eltern. Ich werde dir jeden einzelnen Knochen brechen, bis du um dein Leben winselst.

      Als die Spuren ein schmales Rinnsal querten, das von den Bergen herkam, stutzte Athanor. Nach dem Sieg der Drachen hatten Orross – blutrünstige Chimären mit der Kraft und den Pranken eines Bären und den Hauern eines Keilers – Jagd auf die überlebenden Menschen gemacht. Er war so lange vor ihnen geflohen, er wusste, wie man seine Spur nicht nur vor den Augen, sondern auch den Nasen der Verfolger verbarg.

      »Hast du etwas entdeckt?« Vindur sah sich misstrauisch um und griff nach seiner Axt.

      »Nein. Ich frage mich nur, ob er hier abgebogen und im Wasser weitergeritten ist.«

      »Sehen wir nach«, schlug Vindur vor. »Wenn du falsch liegst, haben wir Zeit verloren. Wenn du richtig liegst und wir reiten einfach weiter, aber auch.«

      »Das ist wahr.« Athanor sprang ab. »Warte kurz!«

      »Was machst du?«

      Statt zu antworten, ging Athanor am Rand des Rinnsals entlang und musterte den Bachgrund. Zwischen Steinen und zerbrochenem Geäst gab es morastige Stellen, doch das Wasser floss so schnell darüber, dass es jede Unebenheit sogleich fortspülte. Falls Davaron Schlamm aufgewirbelt hatte, war das trübe Wasser längst wieder klar. Athanor konnte nur darauf hoffen, dass der Elf bald die Geduld verloren und den Bach wieder verlassen hatte.

      Aufmerksam wanderte er weiter, bis ihm plötzlich ein Stein auffiel. Während die anderen blank gewaschene Oberseiten hatten, war dieser zur Hälfte mit bräunlichem Schlick überzogen. Vielleicht … Athanor griff ins kalte Wasser und drehte einen der sauberen Brocken um. Auf der Unterseite glänzte ihm dieselbe braune Schmiere entgegen. Eilig ging Athanor weiter. Ein umgekippter Stein konnte Zufall sein. Doch bald fand er einen zweiten. Du hättest Hadons besten Hund nicht herausfordern sollen, verfluchtes Schwein.

      * * *

      »Mein Vater hätte ihm damals gleich den Kopf abschlagen lassen sollen«, murrte Vindur. Erschöpft hing er über dem Hals seines Pferds. Dunkle Ränder unter seinen Augen zeugten davon, dass sie seit drei Tagen hinter Davaron herhetzten und nur geschlafen hatten, wenn die Pferde eine Rast brauchten, um zu grasen. Da sie keinen Proviant bei sich trugen, ernährten sie sich von Beeren und Pilzen, die sie am Wegrand fanden, und von Fisch, den Athanor mit der Angelschnur aus seiner Gürteltasche fing. Doch sosehr sie sich auch beeilten, holten sie nicht auf. Die Spur nicht zu verlieren, kostete sie Zeit, und Davaron kam wie alle Elfen mit viel weniger Schlaf und Essen aus als sie. Dass er verfolgt wurde, konnte er sich denken. Dass er noch immer floh, bewies, dass er schuldig war.

      »Stell dich nicht so an! Letzte Nacht habe schließlich ich Wache gehalten«, erwiderte Athanor. Warum jammerten Zwerge nur so gern, obwohl sie so robuste Gesellen waren?

      »Glaubst du, ich mache ein Auge zu, solange dieser Ogersohn durch die Gegend schleicht?«

      »Dann schnarchen Zwerge also auch, wenn sie nicht schlafen?«

      »Natürlich nicht! Ich habe leise Goldbarren gezählt. Soll beim Einschlafen helfen. Stimmt aber nicht.«

      Athanor lächelte matt. Mit einem hatte Vindur recht. Bis sie den Bastard erwischt hatten, würden sie keine Ruhe finden. Davarons Spur führte seit zwei Tagen gen Südwesten, und er fragte sich, ob ein Zusammenhang mit dem Drachen bestand, den sie bei Ardarea gesehen hatten. Seit auch Vindur diesen Verdacht schöpfte, sprach er noch abfälliger über den Elf – falls das überhaupt möglich war.

      Gerade ritten sie einen Hügel empor, und Athanor behielt die Löcher im Auge, die Davarons Pferd mit den Hufen in den Bewuchs des Hangs gerissen hatte. Der Wald war hinter ihnen zurückgeblieben, während sich vor ihnen auf der Kuppe hohe Gräser im Wind wiegten.

      »Heilige Götterschmiede!«, entfuhr es Vindur. »Was ist das?« Sichtlich beeindruckt hielt er sein Pferd an.

      Athanor sah auf. Unter ihnen lag ein Streifen Marschland, und dahinter erstreckte sich Wasser bis zum Horizont. Im Sonnenschein leuchteten die Fluten so blau, dass selbst der Himmel dagegen blass wirkte. »Das muss der Ozean sein.«

      Vindur stand vor Staunen der Mund offen. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so viel Wasser auf der Welt gibt.«

      Kein Wunder. Soweit Athanor wusste, gab es im Zwergischen nicht einmal ein Wort für das Meer. Doch auch ihm fiel es schwer, den Blick wieder abzuwenden. Er hatte den Kaysasee in Ithara gesehen, in dem einst die Nymphe Kaysa gelebt und am Ufer den ersten Menschen geboren hatte. Damals war ihm der See groß vorgekommen, denn das andere Ufer war nur ein grüner Streifen. Aber hier … Selbst wenn er die Augen zusammenkniff, verschwamm in der Ferne alles in dunstigem Blau. Es war unmöglich zu sagen, wo das Wasser endete und der Himmel begann. Eine feuchte, salzige Brise wehte von dort heran und legte sich wie Schweiß auf seine Haut.

      Hatte Elanya je den Ozean gesehen? Dieses tiefe Blau hätte ihr gefallen. Doch Davaron hatte sie in die graue Welt der Schatten gestoßen. Knurrend trieb Athanor sein Pferd den Hügel hinab. Er würde diesen Bastard einholen, und wenn er dazu den Rest seines Lebens brauchte. Er hat mir ohnehin genommen, wofür es sich zu leben lohnt. Ich bin wieder dort, wo ich herkam. Ein heimatloser Wanderer. Doch dieses Mal hatte er ein Ziel: Rache.

      * * *

      Von nun an ritten sie die Küste entlang. Oft reichte der Wald bis zum Strand, doch es gab auch breite Schilfgürtel, durch die nur sumpfige Pfade führten. Um lange Umwege zu vermeiden, querte Davaron die felsigen Landzungen, die weit ins Meer hinausreichten. Dann wieder galoppierten sie am Wasser entlang, das die Spuren des Mörders manchmal fortgespült hatte. Doch sie fanden die Fährte stets wieder, so sicher wie die Möwen und das Meer.

      Der Ozean war das Rätselhafteste, was Athanor je gesehen hatte. Warum war das Wasser so widerlich salzig, obwohl es klar und einladend aussah? Wie konnten Fische in dieser Brühe leben und doch nicht vollkommen versalzen schmecken? Irgendeine magische Wirkung ging von diesem Wasser aus. Wie konnte es sonst sein, dass er immerzu aufs Meer sehen musste, obwohl er es nicht wollte? Zum Dunklen mit dem Trost, den der Anblick spendete. Er wollte nicht besänftigt werden. War das so schwer zu verstehen?

      »Woher


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