Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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wartete. Chria. Die durchtriebenste Harpyie von allen.

      Sie musterte ihn mit ihren unnatürlich weit auseinanderliegenden Menschenaugen und legte den Kopf schief. »Suchst du ’ich?«

      Der Schnabel, der anstelle von Nase und Mund aus ihrem Gesicht ragte, hinderte sie daran, bestimmte Laute formen zu können. Wusste sie, was er hier verbarg? Davarons Hand legte sich von selbst um den Schwertgriff. Schon durchströmte ihn die berauschend starke Magie. »Wenn du die Faunhexe nach Ardarea geschickt hast.«

      Als sie tadelnd den Kopf schüttelte, raschelte ihr Gefieder. »’ie kannst du ein so ’reundliches Mädchen eine Hexe nennen? Sie ’eint es nur gut ’it Elanya. ’ür ’aune gi’t es keinen größeren Segen als Kinder.«

      Mühsam unterdrückte Davaron seinen Zorn und sah nur finster auf sie herab. »Erspar mir dein Geschwafel.« Sie wusste ebenso gut wie er, dass Elfen Chimärenmagie zutiefst verabscheuten. »Warum tut ihr ihr das an? Was bezweckt ihr damit?«

      »Athanor ist kein El’. Er ’ird seinen Sohn lieben.« Je länger sie sprach, desto weniger fielen ihm die fehlenden Laute auf. »Wir haben Großes mit dem Jungen vor. Und ich bin sicher, dass er dankbarer sein wird als du.«

      Beinahe hätte Davaron gelacht. »Für ein Leben als Bastard, der nirgends dazugehört? Für den Spott und die Beleidigungen?«

      »Dein schweres Schicksal betrübt mich zutiefst«, höhnte die Harpyie. »Mit einem König zum Vater und Elfenblut in den Adern wird er für uns von hohem Wert sein. Manche Völker werden ihn wie einen Gott verehren.«

      »Woher willst du das wissen?«

      Das Rucken ihrer Flügel ging wohl als Schulterzucken durch. »Meine Verbindungen reichen weiter, viel weiter, als du dir vorstellen kannst. Und Athanor hat einen Pakt mit mir geschlossen, den er erfüllen muss.«

      Wusste ich doch, dass sie ihm geholfen hat, die Trolle zu befreien. »Athanor wird sein Wort brechen – wie alle Menschen.«

      Chria stieß krächzende Laute aus, die wohl ein Lachen sein sollten. »Du scheinst dir nicht viel aus deinem einzigen Freund zu machen.«

      »Er ist nicht mein Freund.« Wenn er wüsste, was ich getan habe, würde er mich töten.

      Wieder zuckte die Harpyie mit den Flügeln. »Warum willst du mich dann unbedingt aufhalten?«

      »Für das Kind, das sich wünschen wird, niemals geboren worden zu sein.«

      »Was willst du tun? Mir die Flügel stutzen? Das Gefieder versengen?«

      Das und noch mehr. Davaron zog sein Schwert.

      »Du würdest das Tal nicht lebend verlassen. Sieh hinauf!«

      Er trat näher zum Rand, doch nicht so weit, dass sie ihn in den Abgrund stoßen konnte. Die Klinge auf sie gerichtet, blickte er zum Himmel über der Schlucht empor. Ein Dutzend Harpyien kreiste im Licht der Abendsonne. Als sie ihn bemerkten, kreischten sie wild durcheinander, und die Felswände warfen den Lärm zehnfach zurück.

      »Du bist unser Geschöpf. Genau wie das Kind unser Geschöpf sein wird.«

      * * *

      Keuchend schreckte Aphaiya aus ihrem Tagtraum auf. Über ihr raschelte nur Wind in den Zweigen, doch in ihrem Innern brauste der Feuersturm ihrer Vision. Sie hörte das Brüllen der Flammen, spürte die Hitze, als hätte sie sich zu nah ans Herdfeuer gewagt. Mit seinen Schwingen verdunkelte der Drache die Sonne, doch im nächsten Augenblick war er eine Harpyie, und am Himmel tauchte eine zweite auf. Aphaiya mochte seit langer Zeit blind sein, doch sie sah die Leiber, die halb Mensch, halb Raubvogel waren. Immer mehr von ihnen kreisten kreischend über dem Fels, an dessen Fuß eine zerschmetterte Gestalt lag. Aphaiya spürte sich fallen. Schnäbel und Krallen hackten auf sie ein. Vor Schreck und Schmerz schrie sie auf und hörte doch das feuchte Reißen von rohem Fleisch.

      Doch das Schlimmste war Elanya. Obwohl sie wusste, dass ihre Schwester mittlerweile eine erwachsene Frau war, sah Aphaiya noch immer das Mädchen aus ihrem Gedächtnis vor sich. Sie erblickte nur das Gesicht, leichenblass wie aus Marmor geformt. Gebrochene Augen sahen zu einem blutroten Himmel auf, an dem noch immer die Harpyien tanzten.

      Sie wird sterben! Bei lebendigem Leib von Chimären zerrissen! Aphaiya rappelte sich auf, mühte sich, die Bilder abzuschütteln, die ihr die Orientierung raubten. Ihr Herz raste vor Angst um Elanya. Wo war der Weg? Sie musste so schnell es ging zum Gästehaus. Ihre Füße tasteten nach dem Pfad, der vom Teich der Mondsteine nach Hause führte. Bloße Erde unter ihren Sohlen. Das ist er. Mit ausgestreckten Händen lief sie los. Wann immer sie Grashalme spürte, wusste sie, dass sie vom Weg abzukommen drohte.

      Wann wird es geschehen? Was hat der Drache damit zu tun? Doch ihre dunklen Ahnungen waren zunächst immer verwirrend. Oft blieben sie vage und wurden erst mit der Zeit greifbarer und verständlicher. Aphaiya ballte die Fäuste. War Elanya etwa Athanor auf seinen Jagdausflug gefolgt, um sich mit ihm zu versöhnen? Die Vision war so lebhaft, so eindringlich gewesen, als müsse es jeden Augenblick geschehen. Sie spürte Tränen aufsteigen, aber ihre Maske würde sie verbergen. Könnte ich doch nur sehen! Sie wäre sofort auf ein Pferd gesprungen. Vielleicht hätte sie Elanya noch einholen können. Noch ist nichts passiert, versuchte sie sich einzureden. Noch kannst du sie warnen. Doch sie glaubte sich nicht.

      Das veränderte Geräusch des Winds in den Baumkronen verriet ihr, dass sie am Kiefernhain vorüberlief. Herabgefallene Nadeln waren bis auf den Weg geweht und stachen in ihre Zehen.

      »Ist etwas passiert? Brauchst du Hilfe?«, rief ihr jemand nach.

      Aphaiya schüttelte nur den Kopf. Ihr fehlte der Atem für Worte. Es musste Jahrzehnte her sein, dass sie gerannt war. Eine Spur Rauch in der Luft kündete die ersten Häuser Ardareas an. Der Geruch schnürte Aphaiya die Kehle zu. Wieder sah sie die Flammen, hörte ihr Prasseln, und der Qualm biss ihr in die Lunge.

      »Aphaiya, was …« Die Stimme brach ab, als Aphaiya einfach vorbeihastete.

      Rosenduft stieg ihr in die Nase, linderte ein wenig ihren Schmerz. Sie liebte Rosen, konnte alle Sorten am Duft unterscheiden. So wusste sie immer, wo sie sich in Ardarea befand.

      »Vorsicht!«, rief jemand und wich ihr gerade noch aus.

      Sie hörte das Rascheln des Gewands und empört ausgestoßenen Atem. »Entschuldigung!« Ein neuerliches, lauteres Rascheln von Laub im Wind kündigte die Halle der Acht an. Die acht Bäume, die die Ecken der Halle bildeten, waren so hoch, dass sie selbst dann rauschten, wenn sich am Boden kein Lufthauch regte. Von hier war es nicht mehr weit zum Gästehaus.

      »Aphaiya!«, rief Peredin von irgendwoher, tadelnd und besorgt zugleich.

      »Später!«, antwortete sie und hörte, wie vor ihr hastig Leute zur Seite traten. »Ich muss zu Elanya.«

      Hinter ihr flüsterten sich die Passanten bange Fragen zu, doch über ihren pfeifenden Atem verstand sie die Worte nicht. Ihre Lungen brannten nun auch ohne Rauch. Wie eine Faust hämmerte ihr Herz gegen die Rippen. »Elanya!«, krächzte sie unerwartet leise und versuchte es gleich noch einmal. »Elanya!«

      »Langsam, Kind, du wirst noch jemanden umrennen!«, mahnte ihre Mutter.

      Aphaiya blieb keuchend stehen und lauschte. Wie nah war sie schon? Ihre Mutter nahm ihre Hand. »Aphaiya, was ist geschehen?«

      »Ich muss Elanya warnen. Ich habe Schreckliches gesehen.«

      Die Finger ihrer Mutter verkrampften sich. Sie hörte sie hart schlucken. »Sie ist nicht hier. Die Nachbarn sagen, sie ist mit Davaron fortgeritten.«

      Aphaiyas Herz setzte einen Schlag aus. »Jemand muss ihr nacheilen! Sie wird sterben!«

      * * *

      Elanya ließ ihr Pferd hinter Davarons Grauschimmel hertrotten und genoss die Stille des Waldes. Nach dem Streit mit Athanor hatte sie sich Ablenkung gewünscht, doch stattdessen war sie am nächsten Morgen zum Erhabenen gerufen worden. Peredin mochte Athanor zwar aus Mitleid gewogen sein,


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