Athanor 2: Der letzte König. David Falk

Athanor 2: Der letzte König - David  Falk


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vorging. Konnten sie nicht einfach darüber hinwegsehen? Nicht einmal untereinander verstanden sie immer, was den anderen bewegte. Doch Peredin hatte ihr Ratschläge erteilt, wie sich Athanors Verhalten in angemessenere Bahnen lenken ließ. Als wäre er ein ungezogenes Kind, das ich erziehen soll.

      Wieder griff die Empörung nach ihr und drohte, ihr den Ausritt zu verderben. Tief atmete sie die kühle Waldluft ein und lenkte ihren Blick zum lichten Gewölbe der Baumkronen empor. Wie sollte sie den ganzen Ärger vergessen, solange der Streit zwischen ihr und Athanor nicht beigelegt war? Und dass ihr Vater seit der Prügelei nicht mehr mit ihr sprechen wollte, bis sie sich von Athanor getrennt hatte, war kaum leichter zu ertragen als die Vorträge ihrer Mutter. Den ganzen Tag hatte ihr jemand mit Beschwerden über Athanor in den Ohren gelegen, bis sie die Tür verriegelt hatte. Konnten sie nicht endlich Ruhe geben und ihre Wahl akzeptieren?

      Seufzend versuchte sie, nur noch den Stimmen der Vögel und dem Rascheln der Hufe im Laub zu lauschen.

      »Denkst du schon wieder an Athanor?«, fragte Davaron spöttisch. Wie stets hatte er gewirkt, als ob er düster vor sich hinbrüte, aber heute stand sie ihm wohl in nichts nach.

      Ich hätte allein ausreiten sollen. Doch wäre Davaron nicht aufgetaucht, hätte sie es nicht getan – aus Angst, Athanor zu begegnen. Er sollte nicht glauben, sie laufe ihm nach. »Das geht dich nichts an.«

      »Ich frage mich nur, warum du das alles für einen Menschen auf dich nimmst.«

      Ging das schon wieder los? »Seit wann darf eine erwachsene Frau nicht mehr lieben, wen sie will?«

      Davaron zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, das hat sich meine Mutter damals auch gefragt.«

      Grollend starrte Elanya seinen Rücken an. Wollte er ihr ein schlechtes Gewissen machen? Aber vielleicht tat sie ihm unrecht. Seine Mutter war eine Tochter Piriths gewesen und hatte gegen den Willen und den Brauch beider Stämme einen Sohn Ardas geheiratet. »Ist sie … Glaubst du …« Davarons Mutter war vor einigen Jahren zum Ewigen Licht gewandert und hatte sich dort das Leben genommen. Sein Vater lebte seitdem als Einsiedler fern von Freunden und Verwandten, die ihn vergebens baten, zurückzukehren.

      »Dass sie sich umgebracht hat, weil sie die missbilligenden Blicke nicht mehr ertrug?«

      Wie konnte ein Elf so barsch klingen, wenn er über das schreckliche Schicksal seiner Mutter sprach?

      Davaron schüttelte den Kopf. »Nein, das war es nicht.«

      »Woher willst du das wissen?«

      »Erzähle ich dir später. Wenn wir angekommen sind.«

      »Was willst du mir denn nun so Wichtiges zeigen? Hast du Fortschritte mit deiner Erdmagie gemacht?«

      »Ich will hoffen, dass du niemandem davon erzählt hast.«

      Elanya verdrehte die Augen. War es ihm immer noch so wichtig, den Anschein eines reinerbigen Sohn Piriths zu wahren, um die Vorurteile gegen Bastarde Lügen zu strafen? Sein Volk hatte ihn nach der siegreichen Rückkehr aus Theroia gefeiert und sogar in den Rat entsenden wollen. Wozu dann noch das Versteckspiel? »Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Aber findest du nicht …«

      »Ich habe Fortschritte gemacht. Nur leider nicht in dem Zauber, den du mir gezeigt hast.«

      »Oh.« Sie verkniff sich die Bemerkung, dass er dann wohl kein Talent für diese Art Magie besaß. Ein Samenkorn zum Keimen zu bewegen, was im Grunde dem Wunsch des Samens entsprach, gehörte zu den einfachsten Zaubern, die Elanya kannte.

      Davaron sagte nichts mehr, und nach einer Weile setzte er sein Pferd in Trab. Da er immer schweigsam war, vermochte Elanya nicht zu sagen, ob er sich ärgerte oder nur den üblichen Gedanken nachhing. Im Grunde war es ihr gleich. Auf ihrer gemeinsamen Reise zu den Zwergen hatte sie gelernt, seinen Launen keine Bedeutung beizumessen.

      Lange Zeit folgten sie einem Bachlauf, und Davaron ritt erst wieder langsamer, als sie sich einer Kette schroffer, aber niedriger Berge näherten. Allmählich empfand Elanya das Schweigen als bedrückend. Es ließ zu viel Raum für Erinnerungen an die Streitereien der letzten Tage.

      »Ich bleibe bei Athanor, weil er der Einzige ist, der keine Erwartungen an mich stellt«, sagte sie in die Stille hinein. »Er verurteilt nicht, dass ich mein Leben bei der Grenzwache riskiere. Er will mich nicht dazu bringen, in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten, nur weil sie uns eines Tages als große Heilerin fehlen wird. Und er schreibt mir nicht vor, wen ich zu lieben habe.«

      »Über den letzten Punkt lässt sich streiten«, erwiderte Davaron belustigt.

      Elanya musste selbst lachen. »Einverstanden. Das zählt nicht.«

      Je näher sie den Anhöhen kamen, desto mehr fielen Elanya die steilen Hänge und Felsabbrüche auf. Sie war nicht zum ersten Mal in dieser Gegend, und sie verband sie mit irgendetwas, aber es wollte ihr gerade nicht einfallen. Warum führte Davaron sie ausgerechnet hier her? Hinter diesem Höhenzug lag seine Heimat, aber was hatte das mit ihr zu tun?

      Davaron ritt in eine der engen Schluchten, an deren Grund ein Rinnsal dem Wald entgegenfloss. Es war kühl und schattig, während hoch über ihnen die Sonne auf die Felswände brannte. Hier ist seine Frau gestorben! Warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Unwillkürlich sah sie zu dem schmalen Streifen Himmel auf, den sie vom Boden der Schlucht aus sehen konnte. Zwei Raben flogen an der Felskante entlang. Keine Harpyien. Elanya wischte ihre dunklen Ahnungen fort, doch sie bereute, ihr Schwert nicht mitgenommen zu haben. »Du hättest mir sagen können, dass wir in eine gefährliche Gegend reiten.«

      »Würdest du weniger auf die Meinung anderer geben, hättest du Waffen und Rüstung angelegt«, gab Davaron selbstgefällig zurück.

      Das sagt der Richtige. Wer von ihnen hatte sich jahrzehntelang gemüht, als vollwertiger Sohn Piriths anerkannt zu werden? Aber sie würde jetzt nicht mit ihm streiten. Sie herzuführen, konnte nur bedeuten, dass er ihr etwas anvertrauen wollte. Soweit sie wusste, hatte er bislang mit niemandem darüber gesprochen, was ihn seit seinem schrecklichen Verlust bewegte. Es rührte sie, dass nun ausgerechnet sie dazu auserkoren war.

      Davaron brachte sein Pferd zum Stehen und sprang ab. »Wir sind fast da. Ab hier geht es nur zu Fuß weiter.« Er deutete einen Hang hinauf, der zwar nicht senkrecht war, aber dennoch so steil, dass sich an seinem Fuß abgebrochene Steine gesammelt hatten.

      »Ist das die Anhöhe, auf der …«

      »Ja. Wir kamen damals von der anderen Seite. Dort ist der Aufstieg leichter.«

      »Und du bist sicher, dass du an diesen Ort zurückkehren willst?«

      »Warum nicht? Die Aussicht ist großartig.«

      Also gut. Wenn er noch nicht darüber sprechen wollte, würde sie eben warten.

      Davaron schob die Tasche, die er sich umgehängt hatte, auf seinen Rücken und ging voran. Es gab keinen Pfad, aber verglichen mit dem schwindelerregenden Steig zur Festung Uthariel kam Elanya der Aufstieg wie ein Spaziergang vor. Zwischen blankem Fels und Gesträuch suchten sie sich ihren Weg hinauf und erreichten bald den Gipfel, der kahl in der Sonne lag. Elanya sah sich um und bewunderte die Aussicht über die bewaldeten Hügel um Ardarea, die sich bis zum Horizont erstreckten. Es war ein wunderbarer Ort für ein junges Paar, um sich missliebigen Blicken zu entziehen. Denn davon hatte Eretheya, die Tochter eines der mächtigsten Magier unter den Abkömmlingen Piriths, mehr als genug auf sich gezogen, seit sie die Frau eines Bastards geworden war.

      »Wir kamen oft hierher«, sagte Davaron. »Es war von Anfang an unser Rückzugsort.« Er ließ sich auf den aufgeheizten Felsen nieder, und Elanya setzte sich so, dass sie ihn und die Aussicht im Blick hatte.

      »Warum hast du mich hier hergeführt?« Allmählich begriff sie, was sie mit seiner Mutter und seiner Frau gemeinsam hatte, aber worauf wollte er hinaus?

      »Ich möchte dir erzählen, was damals wirklich hier geschehen ist.«

      Elanya stutzte. »War es denn nicht so, wie es sich alle erzählen?« Dann musste


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