Heißes Blut. Un-su Kim

Heißes Blut - Un-su Kim


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der nie ans Ziel kam, obwohl es zum Greifen nah schien.

      Huisu öffnete das Fenster und zündete seine Zigarette an. Die Luft, die ins Zimmer strömte, war salzig und schwer. Es war Nachsaison und der Strand von Guam menschenleer. Im Sommer würde er von Urlaubern wimmeln, und man würde in Guam endlich wieder Geld verdienen. Dank der ums Zehnfache erhöhten Preise, die die Händler den Sommergästen dann abknöpften, konnten sie sich durchschlagen. Auch in den Hotels explodierten die Preise, und die Bars und Restaurants lieferten bei höchster Bezahlung ein Minimum an Service. Bisher hatte das immer funktioniert, weil die Gäste nur kurz blieben und es in der Hochsaison überall so war. In Guam arbeitete man im Sommer, um das restliche Jahr davon zu leben. Allerdings war die Saison immer schnell vorbei, und bis zur nächsten durchzuhalten war nicht leicht. Dann machten am Ende des Sommers die Billardsalons, Cafés und billigen Absteigen auf, jeder saugte jeden aus, und im Nu waren alle in Guam wieder arm.

      »Weiß der alte Dalja eigentlich noch, wie man mit dem Messer umgeht?«, fragte Huisu plötzlich.

      »Ich habe gehört, dass er aus Altersgründen nicht mehr arbeitet. Anscheinend hat sein Sohn die Geschäfte übernommen.«

      »Der Sohn? Dieses hübsche Kerlchen? Aber der ist doch noch ein Kind!«

      »Von wegen. Als es neulich in Oncheonjang diesen Streit um Anteile am Bananenverkauf gab, sind zwei mittlere Kader umgekommen. War wohl der Sohn von Dalja.«

      »Wieso weiß ich davon nichts?«

      »Wenn jeder x-Beliebige über solche vertraulichen Dinge informiert wird, wovon soll ich dann bitte schön leben?«

      »Was heißt hier vertrauliche Dinge, Mann?! Und seit wann bin ich jeder x-Beliebige?«

      »Wie kommst du überhaupt auf Dalja?«

      »Yongkang, dieser Mistkerl, braucht eine kleine Lektion.«

      »Warum?«

      »Er hat klammheimlich die Fühler ausgestreckt und will jetzt bei uns Wurzeln schlagen.«

      Das Gespräch drohte zu kippen; Danka spürte die Anspannung und wurde bleich. »Was für eine Lektion?«

      »Ich dachte daran, ihm einen Fuß abzuschneiden.«

      »Yongkang ist zäh, das weißt du.«

      Danka holte tief Luft, dann fügte er hinzu: »Es ist nicht seine Art, sich wegen einem Fuß geschlagen zu geben. Und die Typen vom Freundeskreis der Vietnam-Veteranen, diese Bande von Kriegsversehrten, sind gefährlich. Ganz zu schweigen von den Kerlen vom Südostasien-Verein, das sind hartgesottene Burschen. Die lassen sich durch nichts einschüchtern. Mit unseren gutherzigen Jungs können wir keinen Krieg gegen Yongkang führen.«

      »Keinen Krieg. Ihn nur zurückdrängen.«

      »Ich will damit nur sagen, dass ein abgeschnittener Fuß bei Yongkang nicht reichen wird. Wenn du den wirklich loswerden willst, musst du ihn gleich ganz unter die Erde bringen. Sonst hast du nur Ärger. Soll ich Dalja also fragen, ob er noch arbeitet?«

      »Nein. Der Alte hat sich noch nicht entschieden.«

      »Na, dann gib Yongkang eben ein paar Schirme. Wir müssen was tun, sonst fliegt uns alles um die Ohren wie eine geplatzte Reisrolle. Dann ist dein Leben und auch meins für den Arsch.«

      »Ein paar Schirme wären für mich kein Problem. Aber wird ihm das genügen?«

      »Glaubst du, wir könnten die Typen vom Südostasien-Verein übernehmen, wenn wir Yongkang ausschalten?«

      »Wird schon gehen.«

      »Unsere Jungs werden sich aber nicht freuen, wenn wir sie mit denen zusammenstecken.«

      »Wahrscheinlich nicht«, sagte Huisu lakonisch.

      Ist doch egal, wenn sie sich nicht freuen, dachte er. Um seine Interessen zu verteidigen, brauchte er Männer. Er war dringend auf diese Asiaten angewiesen. In Guam gab es nur Weichlinge. Alle Kerle, die einigermaßen korrekt waren, saßen im Gefängnis oder waren gegangen, um anderswo leichter ihren Unterhalt zu verdienen. Es gab keine Kleinkriminellen mehr, die bereit waren, gemeinsam in vergammelten Bruchbuden zu hausen und füreinander einzustehen. Nur noch kleine, berechnende Trickser, die es möglichst bequem haben wollten. Huisus Zigarette war zu Ende geraucht, und Danka, der auf dem Sofa in Zeitungen geblättert hatte, stand auf.

      »Ach, übrigens, morgen kommt Ami aus dem Gefängnis. Wusstest du das?«

      »Ja.«

      »Die Jungs freuen sich so darauf, ihn abzuholen, dass der Strand jetzt schon wie leer gefegt ist. Verrückt, dass Ami immer noch so gefragt ist. Gehst du auch hin?«

      »Und du?«

      »Kann nicht, hab zu viel zu tun.«

      »Ich werde wohl auch nicht hingehen.«

      »Okay, na, dann bin ich mal weg und lass dich arbeiten.«

      »Ich hoffe, du bist mir nicht allzu böse, dass ich dir dieses Mal nicht genug gebe.«

      »Wenn ich du wäre, würde ich mein Versprechen halten, ich meine die Schirme …«

      »Hey, Danka …«

      »Was?«

      »Lässt du mir deine Kippen da?«

      »Scheiße, kannst du dir nicht selbst welche kaufen?«

      Schimpfend nahm Danka seine Zigaretten aus der Hemdtasche, legte sie ihm hin und ging. Huisu zündete sich eine an, betrachtete das Meer, ließ seine Gedanken schweifen. Während er dem Rauch nachschaute, der im Meerwind davonwehte, flüsterte er: »Ami kommt zurück.«

      Ami war 1989 im Gefängnis gelandet. Huisu zählte die Jahre an den Fingern ab: Es waren genau vier. Vor fünf Jahren hatte Ami dem Yeongdo-Clan nach einem Revierstreit den Krieg erklärt. Yeongdo war der Schoß, aus dem alle wichtigen Gangs von Busan hervorgegangen waren, um sich später in anderen Vierteln selbstständig zu machen. Ursprünglich von Flüchtlingen nach dem Koreakrieg gegründet, war Yeongdo eine sogar landesweit derart mächtige Organisation geworden, dass ganz Busan schon seit vier Jahrzehnten unter ihrem Joch lebte. Die ersten Mafiagenerationen der Stadt waren alle in den Flüchtlingsvierteln herangewachsen, die während des Krieges entstanden waren, Nambumin, Chojang, Wandwol, Gamcheon und eben die Insel Yeongdo. Unter all diesen Gangs war der Yeongdo-Clan immer der mächtigste gewesen. Schon sehr früh hatte er den großen Handelshafen beherrscht und seine Aktivitäten beträchtlich ausgeweitet, als man die Waren, die dort im Korea- und später während des Vietnamkriegs als Nachschub gehortet wurden, in Umlauf bringen konnte. Durch den Handelshafen hatte der Clan auch dauerhafte Beziehungen zur russischen Mafia und den japanischen Yakuza aufbauen können. Yeongdo war also eine breit aufgestellte Organisation, die in einer völlig anderen Liga spielte als der Clan von Guam.

      Im Grunde waren die Handelshäfen das, was aus Busan eine Stadt der Gangster gemacht hatte. In den 1930er-Jahren hatte sie mit ihren gerade mal zweihunderttausend Einwohnern nur eine kleine Anlegestelle. Ein großer Hafen wäre unnötig gewesen, weil die ängstlichen Joseon-Könige bis dahin eine Politik der Abschottung praktiziert und jeden kulturellen und kommerziellen Austausch mit anderen Ländern abgeblockt hatten. Mit Ausbruch des Koreakriegs aber wurde für die enormen Lieferungen von Nachschub und Material ein großer Hafen gebraucht, und die plötzlich mit Waren überschüttete Bevölkerung von Busan begann so rasant zu wachsen, dass innerhalb von dreißig Jahren die Vier-Millionen-Marke erreicht war.

      Zur Entstehung des modernen Busan hatten Menschen beigetragen, die nicht von dort stammten, sondern vor den Kommunisten aus der Manduschurei in Richtung Süden geflohen waren. Diese Menschen, die nicht mehr besaßen als ihr Leben, hatten nicht nur erstaunlich viel Energie, sondern – nach den Erfahrungen der Flucht – auch einiges an Wut in sich. Man konnte sie nicht zwingen, weiter zurückzuweichen, denn hinter ihnen war jetzt nur noch das Meer.

      In Guam dagegen lebten Menschen, die in Busan geboren waren. Die Gangster von Guam waren äußerst stolz darauf, dass schon der Vater ihres Vaters hier das Licht der Welt erblickt hatte und an demselben


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