Gemeinsam einsam durch die Welt. Sina Wunderlich

Gemeinsam einsam durch die Welt - Sina Wunderlich


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sie, dass wir mit ihnen spielen. Wie gerne ich ihm diesen Gefallen machen würde, doch ich bin so geschafft. Ich muss dringend in mein Bett. Ich zeige auf unser Hotel und die Koffer und erkläre ihm auf Englisch, dass wir erst einmal unsere Sachen auspacken müssen. Ich bezweifle, dass er mich versteht, doch er lächelt mich immer noch an, winkt uns und geht zurück zu seinen Freunden. Putziger Kerl.

      Auch hier am Hotel liegen Menschen am Straßenrand. Wir müssen über einen Mann steigen, der den Weg zum Eingang versperrt. Ich schaue ihm ins Gesicht. Er hat die Augen geschlossen und seine Haare sind verfilzt. In seinem Gesicht ist nichts als Dreck. Er hat weder eine Decke noch sonst irgendetwas um sich herum. Ich schaue zu Kilian, der ebenfalls stehen geblieben ist. „Ich hoffe, er schläft einfach nur“, meint er nachdenklich und geht weiter. Darüber habe ich bis jetzt gar nicht nachgedacht. Ein Schauer geht mir über den Rücken. Was ist, wenn diese Menschen nicht nur schlafen, sondern nicht mehr leben und sie einfach niemand weggeschafft hat? Die Vorstellung ist grausam. Ich versuche, sie schnell aus meinem Kopf zu bekommen, doch so ganz funktioniert das nicht. Meine Knie sind weich geworden und ich schwanke etwas, als ich meinen Koffer weiter hinter mir herziehe und Kilian nachtrotte. Mein erster Eindruck: Indien ist grausam.

      * * *

      „Hör auf, mir zu sagen, dass ich süß bin! Das ist alles andere als hilfreich bei dem Versuch, mich nicht in dich zu verlieben.“ Ich höre nur die Worte aus meinem Mund kommen. Habe ich das gerade wirklich gesagt? Ich stocke. Dann werde ich verdammt rot. Kilian schaut mich grinsend an. Dieses Grinsen macht mich wahnsinnig. Ich habe meinen rosa Schlafanzug, der mit vielen Schafen bedruckt ist, angezogen und meine Haare nach oben gesteckt. Als Kilian mich so gesehen hat, meinte er lachend, dass ich total süß aussehen würde. Und dann sind die Wörter einfach so aus meinem Mund gekommen. Wie peinlich! Ich habe das Gefühl, dass ich von Sekunde zu Sekunde röter werde.

      „Warum versuchst du denn, zu verhindern, dich in mich zu verlieben, wenn ich fragen darf?“

      Nein, das darf er nicht fragen! Oh verdammt, aus der Nummer komme ich nicht mehr heraus. Was soll ich ihm denn jetzt bitte antworten? Ich habe Besseres zu tun, als mich jetzt in einen Chaoten zu verlieben. Ich brauche keinen Freund. Nach dieser Reise gehen wir eh wieder getrennte Wege. Ich beschließe, einfach gar nichts zu sagen.

      „Das muss dir nicht peinlich sein. Ich finde dich auch ganz nett“, sagt er lachend.

      „Ganz nett?!“, frage ich perplex. Bitte?! Nur ganz nett? Na danke, gleichfalls.

      „Na ja, wenn du vielleicht nicht immer ganz so viel reden würdest und öfter so rosa Schafschlafanzüge anziehen würdest, wärst du mir gleich noch viel sympathischer.“

      Sein Ernst? Ich drehe mich schmollend von ihm weg. Das kann ich jetzt nicht auf mir sitzen lassen.

      „Och, Alicia“, meint er immer noch lachend und kommt auf mich zu. Er dreht mich zu sich herum und umarmt mich. Warum zur Hölle umarmt er mich? Komm schon! Ich will mich nicht in ihn verlieben! Stopp! Diese Nachricht geht an mein Herz: Halt! Stopp! Nicht verlieben!

      „Ich gehe jetzt schlafen“, sage ich trocken. Mittlerweile könnte ich zwar auch darüber lachen, dass ich das gesagt habe, aber ich schmolle lieber ein bisschen. Ich gehe zu meinem Bett und will mich gerade hinsetzen, da meint Kilian nur mit hochgezogenen Augenbrauen: „Wie? Du gehst in deinem Bett schlafen? Kommst du nicht kuscheln? Ehekrise!“

      Ich muss lachen und ziehe die Decke über meinen Kopf, damit er nicht sieht, dass ich schon wieder rot werde. Ich mag diesen Jungen. Warum auch immer. Und ich weiß genau, dass ich es leider nicht mehr verhindern kann, ihn immer mehr zu mögen. Ich schlafe ein – mit den Gedanken bei Kilian und nicht mehr mit den schrecklichen ersten Eindrücken und Bildern von Indien.

      * * *

      Wir betreten die Straße. Es ist eigentlich noch total früh, aber es ist trotzdem schon unfassbar warm. Kilian setzt sich seine Sonnenbrille auf. Er sieht verdammt gut aus. Er trägt ein enges T-Shirt und man kann seine Armmuskeln sehr gut erkennen. Ein Kind kommt auf uns zu. Ich erkenne es sofort. Es ist Bodhi. Er lacht uns an und weiß, warum auch immer, unsere Namen noch, die er uns zugleich nennt. Er fasst Kilian bei der Hand und zieht ihn hinter sich her. Ich folge den beiden lachend. Bodhi nimmt uns mit zu den anderen Kindern und fordert Kilian auf, mit ihnen Fußball zu spielen. Erst jetzt fällt mir auf, dass alle diese Kinder ein unfassbar schönes Lachen haben. Eins schöner als das andere. Ich beobachte Kilian. Er kickt den Ball zu einem kleinen Mädchen und freut sich, als sie den Ball annimmt und weiterspielt. Sie kicken den Ball ein paarmal hin und her, dann wird es Kilian wahrscheinlich zu langweilig und seine Fußballkünste lassen kurzzeitig nach. Bodhi schnappt sich den Ball und läuft grinsend an Kilian vorbei. Kilian lässt sich dies allerdings nicht gefallen und hebt Bodhi hoch, der sofort aufkreischt und lacht. Mit Bodhi auf dem Arm rennt Kilian dem Ball hinterher und schießt ihn zwischen zwei Blechdosen, die das Tor darstellen sollen. Er setzt Bodhi wieder auf seine Füße und reißt die Arme in die Luft. Ich muss lächeln. Es ist unfassbar süß, wie Kilian mit den kleinen Kindern umgeht. Er wird später mal ein guter Vater werden. Da bin ich mir sicher.

      * * *

      „So, wir befinden uns in Neu-Delhi, der Hauptstadt von Indien. Jetzt gleich betreten wir den Chandni Chowk. Übersetzt heißt das Mondlichtplatz.“

      „Habe ich eine Stadtführung gebucht, oder was?“

      „Wenn du mich dabeihast, hast du immer zugleich eine Stadtführung gebucht“, sage ich grinsend.

      Er greift sich an den Kopf und lacht. Es sieht aus, als würde er sich fragen, wieso er mit auf diese Reise gekommen ist. Tja, Pech gehabt.

      Wir laufen auf den Mondlichtplatz. Ich mag die deutsche Übersetzung von Chandni Chowk irgendwie. Man denkt, es sei ein ruhiger, friedlicher, romantischer Platz, doch der Chandni Chowk ist so ziemlich das Gegenteil davon. Er ist typisch indisch. Selbst auf dem Flughafengelände waren weniger Menschen als hier – und das will was heißen. Ein unglaublich reges Treiben an Leuten. Einige Männer fahren langsam mit Mofas an uns vorbei. Ich kann schon wieder Kühe erkennen, die auf der Straße stehen. Der Mondlichtplatz ist überfüllt. Definitiv. Das war auch irgendwie zu erwarten. Es ist Wochenende und unglaubliches Wetter. Die Sonne prallt auf uns. Es ist schon fast zu warm. Es brennt richtig auf der Haut. Vielleicht hätte ich mich heute Morgen doch lieber eincremen sollen. Einen Sonnenbrand kann ich jetzt nicht gebrauchen.

      Rechts und links von uns kann ich viele Buden und Stände erkennen. Schon gleich bemerke ich, dass fast jeder hier dir etwas verkaufen möchte. Ich verstehe kein Wort von dem, was die Verkäufer erzählen und über den riesigen Basar schreien, aber es wird sehr deutlich, dass sie uns etwas andrehen wollen. An ein paar Buden ist Essen aufeinandergestapelt. Äpfel, Orangen, Mandarinen und viel Obst, das ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, ist in Pyramidenform auf Tischen gestapelt.

      Kilian und ich kommen überhaupt nicht dazu, uns zu unterhalten, da wir so beschäftigt damit sind, alle Eindrücke wahrzunehmen. Wir kommen an Buden vorbei, bei denen Gewürze verkauft werden. Ich atme tief ein. Auch wenn ich wahrscheinlich gerade einhundert verschiedene Gewürze eingeatmet habe, genieße ich den Duft. Genauso habe ich mir Indien vorgestellt. Kilian rümpft die Nase. Ich muss lachen, doch ich kann ihn verstehen. Es riecht ein wenig gewöhnungsbedürftig, wenn man sich nicht nur auf die Gewürze konzentriert, da auch noch der Schweiß von all den Menschen und die Abgase der Motorräder in der Luft liegen.

      Ich habe das Gefühl, dass man hier wirklich alles kaufen kann. Es gibt Massen an Essen, Gewürzen, Kerzen, Büchern, Klamotten. Wirklich alles. Wenn man etwas sucht, findet man es definitiv hier auf dem Chandni Chowk. Dieser Basar ist wirklich beeindruckend.

      Oft tauchen Abzweigungen auf, bei denen man in kleine Seitengassen einbiegen kann. Ich habe gelesen, dass man in vielen kleinen Gassen essen gehen kann. Wir müssen später dringend noch indisch essen. Das wollte ich schon immer einmal machen.

      AHHHHHH!!! Was war das?! Ich schreie erschrocken auf. Irgendetwas klettert gerade auf meinen Schultern herum. Es fühlt sich total merkwürdig an. Kilian lacht sich gerade neben mir halb tot. Sehr witzig.

      „Was genau ist


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