Gemeinsam einsam durch die Welt. Sina Wunderlich

Gemeinsam einsam durch die Welt - Sina Wunderlich


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fahren an ein paar kleinen Städten vorbei. Mich würde mal interessieren, wie grün das Land von oben aussieht. Sehr viel anderes, außer grüne Landschaften, kann ich aus dem Autofenster nicht sehen.

      Exakt nach zwei Stunden und etwa fünfzig Minuten kommen wir in der winzigen Stadt Skogar an. Meine Oma wollte, dass ich unbedingt hierherkomme. Von allein wäre ich wahrscheinlich niemals auf die kleine Stadt gekommen. Wir übernachten diesmal in einem Hotel. Es ist nicht sehr teuer, deswegen können wir auch mal in einem Hotel schlafen. Wir wuchten unsere Koffer aus dem Bus und winken uns ein Taxi heran. Es kann nicht weit bis zum Hotel sein, jedoch möchte ich die Koffer nicht die ganze Strecke tragen. Nachdem endlich ein Taxi zu uns gekommen ist, fahren wir etwa drei Minuten und können dann unser Hotel betreten.

      Ich habe keine drei Schritte in das Hotel gemacht, da werde ich schon von einer Frau begrüßt. „Du musst Alicia sein. Die Enkelin von Annemarie. Sie hat uns immer versprochen, dass uns eines Tages ihre Enkelin besuchen kommt. Sie hat viel von dir erzählt. Es ist so schade, dass sie von uns gehen musste. Aber jetzt kommt erst einmal herein. Herzlich willkommen in Skogar“, sagt sie uns in Englisch.

      Endlich mal jemand, der nicht nur Isländisch spricht. Meine Oma muss ja einen großen Eindruck hinterlassen haben. Die Frau führt uns in unser Zimmer. Wir haben wieder zwei einzelne Betten. Das Zimmer sieht fast genauso aus wie das in Reykjavik, aber es ist ein bisschen heller, größer und freundlicher. Wir sind eben doch in einem Hotel und nicht mehr in einem Hostel.

      * * *

      Ich liege im Bett und starre die Decke an. Einschlafen ist wohl nicht so meine Stärke. Ich schaue zu Kilians Bett, aber es ist so dunkel, dass ich nicht erkennen kann, ob er auch wach liegt oder schläft.

      „Bist du noch wach, wandelndes Lexikon?“, fragt Kilian leise, als hätte er meine Gedanken gelesen.

      „Ja, ich kann nicht einschlafen.“

      „Hast du wieder ein paar Fakten über die Stadt, in der wir uns befinden?“, fragt er lachend.

      „Aber natürlich“, antworte ich schmunzelnd. „Also, wir sind in Skogar. Das ist im Süden von Island. Skogar heißt übersetzt Wälder. Es ist ein kleiner Ort, der nur 25 Einwohner hat. Schon niedlich.“

      „Putzig. Doch so viele.“

      Wir sagen beide nichts mehr, aber ich weiß, dass er auch noch wach liegt.

      „Ich kann nicht schlafen, Kili“, sage ich nach ein paar Minuten leise. Es ist das erste Mal, dass ich ihn Kili nenne. Ich weiß auch nicht, warum. Ich höre, wie er seine Bettdecke hochklappt.

      „Komm her“, flüstert er.

      Ich zögere kurz, doch dann tapse ich über den kalten Boden zu Kilians Bett und schlüpfe unter die Decke. Sein Körper ist schön warm. Jetzt weiß ich auch, warum er nur im T-Shirt schlafen kann, ohne zu erfrieren. Ich schließe die Augen und schlafe in Kilians Armen ein.

      * * *

      Diese atemberaubende Schönheit. Es dämmert schon, aber das macht den Himmel im Hintergrund nur umso schöner. Das Farbenspektakel ist der Wahnsinn. Das Wasser stürzt etliche Meter in die Tiefe. Um genau zu sein, stürzt es 66 Meter in die Tiefe. Der Anblick raubt einem wirklich den Atem. Er liegt vor uns. Mit seiner Pracht und seiner Schönheit. Der Wasserfall Seljalandsfoss, was übersetzt Schluchtenbewohner heißt. Wir stehen hinter dem Wasserfall in einer Art Höhle und beobachten, wie das Wasser vor uns nach unten fällt. Ein kleiner Pfad führt hinter den Wasserfall. Auf diesem stehen wir jetzt und starren mit offenem Mund die großen Mengen Wasser an.

      Der Himmel färbt sich in die Farben Orange und Rot. Es sieht so schön aus. Auf den Moment habe ich lange gewartet. Das ist definitiv das schönste Erlebnis in Island. Ich danke meiner Oma so sehr, dass sie wollte, dass ich hierherkomme. Im Tosbecken wird das ganze Wasser aufgefangen und eine leichte Prise vom Wasser sprüht in unsere Richtung. Durch den Wasserschleier sieht man die Weite Schönheit Islands. Wir stehen nebeneinander und bestaunen den Wasserfall. Ich schaue zu Kilian, der ihn förmlich anhimmelt.

      „Ich wusste, dass es dir hier gefällt.“ Ich lächele ihn an, doch er schaut nicht zu mir. Er nimmt schweigend meine Hand. Wir stehen noch lange hier. So lange, bis fast die gesamte Sonne untergegangen ist und es dunkel wird. Wir genießen diesen letzten Moment, denn morgen steigen wir wieder ins Flugzeug.

      *

      Gefühlschaos

      Februar 1999

      Mir rutscht das Herz in die Hose. Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein. Fuck. Nein. Das ist alles andere als gut. So ein Scheiß! Was mache ich denn nun? Mir wird heiß und kalt zugleich. Ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und stütze mich auf dem Waschbecken ab, um nicht umzukippen. Ich starre mein Spiegelbild an. Wie konnte das passieren? Ich bin so unendlich dumm. Irgendwie bin ich von mir selbst enttäuscht. Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen. Ich senke meinen Kopf sachte nach unten. Ganz langsam richtet sich mein Blick in das Waschbecken. Da liegt er. Und es sind wirklich zwei Striche. Fuck. Wieso sind dort denn zwei verdammte Striche und nicht nur einer? Aber er liegt klar und deutlich vor mir.

      Der Test.

      Und es sind definitiv zwei Striche abgebildet.

      Zwei.

      Nicht einer.

      Ich bin schwanger.

      Fuck.

      Da bin ich gerade wieder auf einem guten Weg gewesen – und dann das. Ich bin nicht mehr so depressiv gewesen. Ich war gerade dabei, wieder ein normales Leben zu führen. Ein Leben, in dem ich halbwegs mit meiner Situation klarkomme und auf dem Weg bin, wieder glücklich zu werden. Aber was soll ich bitte mit einem Kind? Was soll ich nur machen? Ich bin 21 Jahre alt. Irgendwie ist das ein bisschen jung, um Mutter zu sein. Das ist zumindest meine Meinung. Andere bekommen schon zwei Jahre früher ein Kind, aber das wäre nichts für mich gewesen. Ich glaube, ich bin noch nicht einmal bereit dafür. Aber im Moment weiß ich eigentlich gar nicht, was ich will. Ich wäre komplett überfordert mit einem so kleinen Lebewesen. Selbst wenn ich im Kindergarten arbeite. Die Kinder sind wenigstens meistens drei Jahre alt. Und es sind nicht meine Kinder. Das ist ein großer Unterschied, ob du dich um fremde Kinder kümmerst oder um dein eigenes. Das Kleine wäre dann wirklich mein Fleisch und Blut. Das muss doch krass sein, wenn du das kleine Bündel dann in den Armen halten kannst. Vorher lebt es ganze neun Monate in dir. Das ist schon faszinierend. Der Gedanke verfällt allerdings schnell. Das ist wieder so ein Moment, der mich unfassbar aus der Bahn wirft. Etwas, dass ich definitiv nicht geplant hatte. Ich habe nie wirklich über eigene Kinder nachgedacht und schon gar nichts dazu geplant. Ich wusste nicht, wann ich welche haben oder ob ich überhaupt welche möchte. Im Kindergarten bin ich ja von genug kleinen Hosenscheißern umgeben. Jetzt habe ich aber irgendwie keine andere Wahl. Schon wieder etwas, dass ungeplant passiert. So ein Scheiß. Ich bin nicht bereit für ein Kind.

      Langsam schleiche ich in die Küche und setze mich auf einen der zwei Barhocker. Ich habe meine Ellenbogen auf der Arbeitsfläche und stütze meinen Kopf ab, der gerade einfach nur so unfassbar dröhnt. Das ist zu viel. Ich fühle mich so elend. Es beginnt schon wieder, dass ich grundlos ewig lange die Wand anstarre. Mir wird wieder extrem heiß. Verzweiflung ist definitiv da. Aber nicht nur Verzweiflung, sondern auch Angst kommt in mir hoch. Unfassbar große Angst.

      Der Unfall ist jetzt zwei Monate her. Kilians Lage ist nach wie vor unverändert. Er liegt im Koma. Die Ärzte können nicht viel machen. Was ist, wenn er nie wieder aufwacht? Irgendwann schalten die Ärzte die Geräte aus. Und dann ist er nicht mehr bei mir. Für immer. Wie soll ich allein ein Kind großziehen? Ich habe überhaupt keine Ahnung von so kleinen Kindern und Geld habe ich erst recht nicht. Wie soll ich es ernähren?

      Allein der Gedanke daran, was ich alles kaufen müsste, lässt mich fast vom Stuhl kippen. Das Kind braucht Klamotten. Ich brauche einen Kinderwagen


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