Gemeinsam einsam durch die Welt. Sina Wunderlich

Gemeinsam einsam durch die Welt - Sina Wunderlich


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Danach geht es für zwei Wochen in eine kleine Stadt, die auch in Island liegt. Wir reisen immer relativ am Anfang eines Monats ins nächste Land. Und das sieben Monate lang, also sind wir in sieben Ländern unterwegs“, erkläre ich ihm meinen Plan.

      „Okay. Gecheckt.“

      Wäre auch seltsam, wenn nicht. Ich habe es ja sehr ausführlich erklärt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, wer er ist. Bis auf seinen Vornamen weiß ich absolut nichts. Gut, er hat mir seinen kompletten Namen gesagt, aber den habe ich schon wieder vergessen. Ich weiß nicht, wie viel Philias von mir erzählt hat, aber viel dürfte Kilian auch von mir nicht wissen. Ich glaube, ich muss noch so einiges über ihn herausfinden. Ich habe sieben Monate Zeit dafür, beschließe aber jetzt schon, damit anzufangen. Ich will wissen, wer er ist.

      „Lass uns noch kurz rausgehen und die Gegend erkunden. Es ist schließlich noch hell.“

      Sein Vorschlag kommt mir sehr gelegen. Dann kann ich ihn ja gleich draußen über ihn ausfragen.

      Als wir draußen ankommen, erschlägt mich die Kälte für einen kurzen Moment. Ich ziehe meinen Schal tiefer ins Gesicht und mache meine Jacke noch ein Stück weiter zu. Auch Kilian steckt seine Hände erst einmal in seine Jackentaschen. Wir haben zwar über null Grad, aber die Kälte sind wir irgendwie beide nicht mehr gewöhnt. Bei uns in Frankfurt ist es schließlich fast Sommer.

      Wir laufen die Straße entlang. Ein paar kleine Geschäfte sind an den Straßenseiten zu erkennen. Was das für Geschäfte sind, kann ich nicht ganz herausfinden, da überall nur alles auf Isländisch über den Ladentüren steht. Von Isländisch habe ich nicht viel Ahnung. Da auch Kilian gerade die Läden kritisch anschaut, nehme ich an, er weiß auch nicht, was das alles heißen soll. Ich schaue zu ihm hoch. Er ist mindestens einen halben Kopf größer als ich. „Erzähl mal ein bisschen über dich. Ich habe eigentlich keine Ahnung, wer du bist.“

      „Also, wo fange ich am besten an?“ Er überlegt kurz, dann fängt er an zu erzählen und ich höre seiner schönen, rauen Stimme zu. „Wie du schon weißt, heiße ich Kilian James Settler. Ich bin 23 Jahre alt, werde im November 24. Ich bin Automechaniker und arbeite nebenbei ab und zu abends in Klubs. Und bei dir so?“

      Ein Automechaniker, der in Klubs arbeitet. Ja, das passt sehr gut zu ihm. Kann ich mir genau vorstellen.

      Ich erzähle ihm kurz von meiner abgeschlossenen Ausbildung als Erzieher und davon, dass ich nach dieser Reise in dem Kindergarten anfange fest zu arbeiten. Außerdem erwähne ich, dass ich im April 21 wurde. „Wo kommst du ursprünglich her?“, frage ich ihn neugierig.

      „Meine Mum kommt aus Eritrea, im Osten von Afrika. Deswegen meine Hautfarbe. Sie liebte ihr Heimatland. Aber da gab es mich noch nicht. Ich wurde in Frankreich geboren, aber wirklich lange haben wir dort auch nicht gelebt. Wir sind schnell umgezogen und nach Deutschland gekommen.“

      „Oh wirklich? Ich wurde zwar in Deutschland geboren, aber meine Eltern kommen ursprünglich aus Frankreich. Deswegen auch der französische Nachname Aveline. Sie mussten leider aufgrund ihrer Jobs umziehen. Ich weiß, wie sehr sie ihr Heimatland Frankreich eigentlich lieben. Wo genau wurdest du geboren?“

      „Es ist eine kleine Stadt östlich von Paris. Ich glaube nicht, dass du sie kennst. Sie heißt Gerbepal.“

      „Nein, das sagt mir tatsächlich nichts. Meine Eltern kommen beide aus Orleans.“

      Kilian nickt nur und so schweigen wir für einen kurzen Moment.

      „Wie heißt deine Mama?“, frage ich weiter.

      „Neyla Settler.“

      Der Name ist wunderschön. Ich würde gerne mit ihm nach Eritrea gehen, um ihm das Heimatland seiner Mama zu zeigen, aber leider steht das nicht auf meiner Liste.

      „Was ist mit deinem Vater?“, frage ich, doch Kilian weicht meinem Blick und auch meiner Frage aus. Wir kommen zum Stehen.

      „Es ist wunderschön hier“, flüstert er.

      Ich folge seinem Blick und erst jetzt fällt mir auf, dass wir nahe am Meer stehen. Ich wusste, dass unser Hostel in der Nähe des Meeres ist, aber es jetzt wirklich zu sehen, ist unglaublich. Es dämmert schon und die Sonne spiegelt sich im Wasser. Der Anblick ist atemberaubend. Es ist unfassbar still hier. Wir stehen lange da und schauen auf das Meer raus. Was wohl mit Kilians Vater ist? Vielleicht hat er Kilian und seine Mama verlassen. Solche Sachen kommen vor. Er ist der Frage dermaßen ausgewichen, das war ganz sicher kein Zufall. Aber vielleicht will er einfach nur noch nicht darüber reden. Ich meine, wir kennen uns ja eigentlich kaum.

      Er berührt meinen Arm und zieht mich aus meiner Gedankenwelt. „Lass uns zurückgehen. Es ist verdammt kalt geworden.“

      Er hat recht. Ich glaube zwar nicht, dass es kälter ist, als vorhin, aber je länger wir nur an einem Fleck stehen, desto kälter wird es. Ich nicke ihm zu und wir drehen um.

      * * *

      Wow. Das nenne ich mal ein Sixpack. Wieso sieht er nur so verdammt gut aus? So verdammt gut und heiß. Jetzt geht er sich mit der Hand durch seine schwarzen Locken. Holy. Da bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, als ihn anzustarren. Wieso hat er kein T-Shirt an?!

      Plötzlich fängt Kilian an, zu lachen, und reißt mich aus meiner Trance. „Kann es sein, dass da jemand auf Bauchmuskeln steht?“, fragt er mich schmunzelnd.

      Ich schaue schnell beleidigt weg von ihm. „Nein. Du solltest definitiv noch mehr trainieren.“

      „Komm, gib es zu, dass mein Körper schon geil ist.“

      Hat er das jetzt ernsthaft gesagt? Was ein Ego! Jetzt fange ich auch an, zu lachen, und wende ihm meinen Blick wieder zu. Ich schüttele den Kopf. Das sag ich ihm ganz sicher nicht, sonst würde ich ihm ja einen Gefallen tun. „Ist es nicht ein bisschen kalt, so zu schlafen?“, frage ich ihn, da es zwar im Zimmer ganz angenehm ist, aber trotzdem eigentlich keine hohen Temperaturen herrschen.

      „Du, also eigentlich hatte ich zwar vor, mir noch was überzuziehen, aber ich kann auch so bleiben, wenn du etwas zum Dahinschmelzen brauchst.“ Ich werde rot. So war das nicht gemeint! Ich lege mich in mein Bett und mache das Licht aus, in der Hoffnung, dass er jetzt auch endlich zu seinem Bett geht und hier nicht halb nackt vor mir steht. Es wird stockdunkel im Zimmer. Okay, das war nicht geplant.

      „Hey! Ich muss schon noch irgendwie mein Bett finden. Oder soll ich mit in deins kommen?“

      Flirtet er gerade mit mir? Ernsthaft?

      Ich mache kurz das Licht an und warte, bis er sein Bett gefunden hat und endlich liegt. Ich drücke wieder auf den Lichtschalter und lege mich hin. Ich höre, wie Kilian sich die ganze Zeit von links nach rechts und rechts nach links dreht. Auch ich kann nicht einschlafen.

      „Wusstest du, dass Reykjavik die am nördlichsten gelegene Hauptstadt der Welt ist?“, frage ich leise in Kilians Richtung.

      Ich höre nichts mehr von ihm. Vielleicht ist er eingeschlafen.

      „Nein, woher auch?“, fragt er leise.

      Gut. Er schläft doch noch nicht. Ich zucke automatisch mit den Schultern. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass er das ja nicht sehen kann.

      „Reykjavik heißt übersetzt Rauchbucht.“

      „Hast du den Wikipedia-Artikel auswendig gelernt?“

      „Nein, eigentlich nicht“, antworte ich lächelnd.

      „Dann bist du eindeutig ein wandelndes Lexikon“, stellt er fest.

      Ich weiß genau, dass er gerade auch grinsen muss, aber das kann ich in der Dunkelheit nicht sehen.

      „Weißt du noch irgendwelche Fakten über Island?“, fragt er weiter.

      „Ja, aber nur so nebensächliches Zeug wie zum Beispiel, dass nur ein Prozent des Landes bewaldet ist“, antworte ich ihm. Mir würde bestimmt noch mehr einfallen, aber ich


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