Gemeinsam einsam durch die Welt. Sina Wunderlich

Gemeinsam einsam durch die Welt - Sina Wunderlich


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er.

      Ich muss lächeln. „Gute Nacht, Kilian“, sage ich leise. Dann schlafe ich ein.

      * * *

      Trotz der Kälte sitzen wir noch am Abend mitten in Reykjavik, etwa vier Kilometer von unserem Hostel entfernt. Es ist der letzte Abend hier. Morgen fahren wir weiter. Es war eine schöne Zeit in der Hauptstadt Islands. Wir haben uns die Hallgrimskirche angeschaut. Eine 1986 geweihte Kathedrale mit einem 73 Meter hohen Turm. Den Golden Circle, auf isländisch auch Gullni hringurinn genannt, sind wir entlanggefahren. Das ist eine etwa neunstündige Reiseroute, bei der wir Wasserfälle, Geysire und einen Vulkankrater gesehen haben. Es war wirklich ein schöner Tag, der sich definitiv gelohnt hat. Die Skulptur Sonnenfahrt haben wir begutachtet und auch in der kleinen Bucht Nautholsvik waren wir. Dort war ein sehr schöner goldener Sandstrand, an dem wir einen tollen Tag verbracht haben.

      Heute, an unserem letzten Abend, haben wir es uns auf einer Bank gemütlich gemacht und schauen auf den See Tjörnin, der sich in der Stadt befindet. Heute Mittag sind wir hierhergefahren, um ein bisschen durch die Stadt zu schlendern. Es war ein schöner Tag, den wir nun ausklingen lassen. Ich habe das Gefühl, je später es wird, desto mehr Menschen sind in der Stadt unterwegs. Seltsam. Ich schaue mich um. Wirklich überall laufen Leute entlang, die meisten sogar schick angezogen. „Warum sind hier so viele Leute unterwegs?“, frage ich Kilian verwirrt.

      „Höchst wahrscheinlich wegen des Nachtlebens hier. Habe gehört, dass Island ein krasses Nachtleben haben soll.“

      Ich schaue ihn nur verwirrt an, weil ich nicht genau weiß, was er meint.

      „Jetzt sag mir nicht, ich weiß etwas besser als mein wandelndes Lexikon. Nachtleben halt. Klubs. Partys. Wir haben Freitagabend. Kann schon sein, dass wir gerade an so einer Ecke sitzen, wo viele Leute unterwegs sind. Dreh dich mal um. Schau mal die Straße dort vorne.“ Er zeigt auf eine Straße nicht weit von uns.

      „All die Lichter, die dort an sind, sind wahrscheinlich irgendwelche Klubs, wo Leute feiern gehen.“

      Ich zucke mit den Schultern. „Mit Klubs und Partys habe ich es nicht so am Hut.“

      „Jetzt sag mir bitte nicht, du warst mit 21 noch nie betrunken und hast Spaß gehabt?“

      „Wieso? Ich kann auch ohne Alkohol Spaß haben“, antworte ich schulterzuckend.

      Kilian springt auf. Er stellt sich vor mich und reicht mir seine Hand. „Darf ich dich mit dem Nachtleben von Island vertraut machen?“

      Ich zögere kurz.

      „Komm schon. Lass uns feiern gehen. Bis in den Morgen tanzen. Spaß haben.“

      Ich willige widerwillig ein und gebe ihm meine Hand. Er zieht mich hoch und lässt meine Hand auch nach fünf Metern noch nicht los. Er zerrt mich vor zu der beleuchteten Straße, in den ersten Klub hinein.

      Laute Musik. Viele Leute. Eigentlich nicht meine Welt, aber ich muss schon sagen, dass die Atmosphäre hier wirklich nicht schlecht ist.

      Kilian schleppt mich zur Bar. „Was willst du trinken?“

      „Keine Ahnung. Cola?“

      Er zuckt mit den Schultern und verschwindet in den Menschenmassen. Jetzt lässt er mich hier auch noch allein stehen. Ich schaue mich um. Die meisten Leute sind auf der Tanzfläche unterwegs, die anderen stehen an der Bar und unterhalten sich. Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen. Ein Typ kommt auf mich zu, der definitiv älter ist als ich. Na super. Was mache ich jetzt? Kann der mich bitte in Ruhe lassen? Verzweifelt schaue ich mich um und suche Kilian, aber ich kann ihn nirgendwo erkennen. Der Typ lächelt mich an, aber mir gefällt sein Lächeln absolut nicht.

      „Við skulum dansa, þú falleg stelpa“, fragt er.

      Oder sagt er? Ich habe keinen blassen Schimmer. Ich versuche, ihm irgendwie auf Englisch klarzumachen, dass ich kein Isländisch spreche, aber entweder ist es zu laut hier oder er spricht kein Englisch. Auf jeden Fall versteht er mich nicht. Ich kann Kilian erkennen, der mit zwei Gläsern wiederkommt. Als er den Typen und meinen verzweifelten Blick sieht, läuft er einen Schritt schneller. Er drückt mir das Glas in die Hand und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Der Typ schaut von mir zu Kilian und wieder zu mir. Dann entfernt er sich.

      „Sorry“, murmelt Kilian in mein Ohr, „Aber der wäre sonst nicht abgehauen.“

      Ich bin ihm eher dankbar, dass er den Typen vertrieben hat. Ich nippe an meinem Glas. Bahh. Was zum Teufel hat er mir da gebracht? Das ist keine Cola! Ich verziehe das Gesicht. „Was zum Henker ist das?!“

      „Cola.“

      Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

      „Cola mit Alkohol halt. Dachtest du, die haben hier irgendetwas ohne Alkohol?“

      „Was ist das denn?“

      „Bacardi. Trink mal noch drei Schlucke, dann schmeckt es besser. Glaub mir.“ Er leer sein halbes Glas.

      Ich habe keine Ahnung, was darin ist, und vielleicht will ich es auch nicht wissen. Ich tue, was er mir geraten hat, und nippe noch ein bisschen an dem Glas. Er hat recht. Nach einer gewissen Zeit ist das Getränk gar nicht mehr so ekelhaft. Es brennt ein wenig im Hals, aber es schmeckt.

      Er hält mir seine Hand hin und lächelt mich breit an. „Kommst du mit tanzen?“, raunt er mir ins Ohr. Ich gebe ihm meine Hand und lasse mich auf die Tanzfläche ziehen. Seine Hände wandern an meine Hüfte. Die Musik ist gut. Die Tanzfläche voll. Nach kurzer Zeit habe ich schon wieder ein Glas in der Hand. Ich habe keine Ahnung, woher das auf einmal kommt. Ich trinke ein paar Schlucke, aber so wirklich schmecken tut es nicht. Ich reiche es Kilian, der aber auch nicht wirklich viel davon trinkt. Ich bin froh, dass Kilian mich die meiste Zeit festhält, denn irgendwie wird mir leicht schwindelig. Kommt das vom Alkohol? So viel habe ich doch noch gar nicht getrunken. Also glaube ich. Wissen? Nein, wissen tue ich es nicht. Aber es ist lustig hier. Wirklich lustig. Spaßig. Witzig. Geil. Ich bin zu gut drauf gerade. Richtig gut drauf. So fröhlich war ich lange nicht mehr. Alles macht auf einem Spaß und ist witzig. Der Alkohol wirkt. Definitiv.

      * * *

      „Guten Morgen, Sonnenschein!“

      Ich blinzele zweimal. Kilian steht schon wieder grinsend halb nackt vor mir. Kopfschmerzen. Oh, mein Kopf dröhnt. Aua. Ich will nicht aufstehen. „Fresse“, sage ich trotzig. Mehr Kommentar gibt es gerade von mir nicht.

      „Haben wir gestern etwa zu viel getrunken?“, fragt Kilian schmunzelnd.

      Wieso zur Hölle ist der denn so gut gelaunt? „Weiß ich nicht mehr“, murmele ich in die Decke und drehe mich um. Plötzlich wird es arg kalt. Hat er mir gerade ernsthaft die Decke weggezogen?

      „Du Arschloch“, sage ich lachend und setze mich auf.

      „Bin ja schon fast fertig.“

      Ich schaue an mir herunter und bemerke, dass ich immer noch die Sachen von gestern anhabe.

      Kilian sieht meinen Blick und antwortet: „Ja, ich wollte dich nicht ausziehen. Glaube, das hättest du im Endeffekt nicht so cool gefunden. Außerdem bist du so schnell eingeschlafen, da habe ich dich nur noch zugedeckt.“

      „Ist ja nett von dir“, sage ich lachend und stehe auf. Ich schaue auf meine Uhr und erstarre.

      „Wieso hast du mich nicht früher geweckt? Der Bus kommt doch in zwanzig Minuten!“, frage ich ihn schockiert.

      „Ja und? Zwanzig Minuten werden dir ja wohl reichen, oder?“

      Dieser Junge macht mich noch wahnsinnig. Aua. Die Kopfschmerzen sind echt ätzend. Ich greife mir an den Kopf. Ich höre Kilian hinter mir lachen. Ich zeige ihm den Mittelfinger und verschwinde im Bad.

      * * *

      Die Busfahrt zieht sich irgendwie, auch wenn wir nur knapp drei Stunden Fahrt haben. Mein Kopf lehnt an Kilians Schulter, der immer noch dröhnt, aber die Schmerzen werden besser. Ich schaue


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