Das Tartarus-Projekt. Gerd Schilddorfer

Das Tartarus-Projekt - Gerd Schilddorfer


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sind gekommen, haben sich auf meine Schulter gesetzt und mir ins Ohr geflüstert, haben sich mir anvertraut, um erzählt zu werden.“

      Melissa verzog das Gesicht und winkte ab. „Wir brauchen etwas Knackiges, Frisches, Sensationelles, Ausgefallenes, um es gigantisch gut verkaufen zu können. Keine müden Geschichts-Wichtel auf deiner Schulter.“

      „Hast du nicht selbst gesagt, es ist egal, was zwischen zwei Buchdeckeln gedruckt wird, wenn es nur geschickt genug vermarktet wird?“, wagte Landorff kleinlaut einen Einwurf.

      „Mach hier nicht einen auf Klugscheißer, das ist meine Aufgabe“, tadelte ihn Melissa prompt. „Hab ich gesagt, aber es hilft auch ungemein, wenn dann noch etwas halbwegs Intelligentes auf den 200 Seiten steht. Willst du einen Bestseller oder nicht?“

      „Ich will!“, sagte er entschieden und es klang wie ein Hochzeitsversprechen.

      „Dann her mit der zündenden Idee, die allen Lektoren den Schauer der sechsstelligen Verkaufszahlen über den Rücken jagt! Die ihnen den Schlaf raubt, die sie süchtig macht nach mehr und nach dem Autor.“ Melissa klopfte mit der flachen Hand auf das Lenkrad. „Wir berufen eine Konferenz ein. Totales Brainstorming heute Nachmittag im kleinen Sitzungssaal. Das müssen wir konsequent und kompromisslos durchziehen. Eine Lektion an alle literarischen Warmduscher und Verlagsmurmeltiere im Dauerschlaf zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen. Wie lange brauchst du zum Schreiben?“

      „Hmm … kommt drauf an“, rechnete Landorff rasch im Kopf. „Für zweihundert Seiten, lockeres Thema, knappe zwei Monate.“

      „Na also, geht doch!“ Mit diesem Ausruf schnitt Melissa gnadenlos ein Mercedes-Coupé, dessen Fahrer mit hochrotem Kopf etwas Unverständliches aus dem Fenster fluchte. „Wir brauchen keine rechercheintensiven Themen, keine Statistiken à la Sarrazin, keine philosophischen ewigen Wahrheiten. Wir brauchen Feuer auf den Seiten! Einen literarischen Flächenbrand, keinen glimmenden Funken. Also acht Wochen. Wir sind jetzt Ende Mai, du bist Ende Juli fertig, damit stehen wir vor Weihnachten in den Regalen und liegen damit unter den Christbäumen der Nation. Auf einen Bestseller wartet jeder in der Branche, noch dazu auf einen von Michel de Gilles, dem geheimnisvollen und erfolgreichen Franzosen. Hast du nicht eine Affäre mit BB gehabt und mit Serge Gainsbourg kettengeraucht? Liegt dein Weingut nicht direkt neben dem von Obelix? Wohnst du nicht in einem umgebauten Zirkuswagen, der nie zwei Monate am gleichen Platz steht? Lass mich nur machen. Wenn wir fertig sind, dann bist du französischer als Camembert, bekannter als Macron und geheimnisvoller als der junge Delon.“

      „Ich will nicht …!“, protestierte Landorff entschieden, doch Melissa unterbrach ihn.

      „… Erfolg haben, in Talern baden und Ruhm scheffeln? Lügner. Sonst noch was?“

      „Ich will mich auch morgen noch in den Spiegel schauen können“, wagte er einen letzten Einwurf.

      „Lächerlich altmodisch, häng ihn ab“, dozierte seine Agentin gnadenlos. „Was erwartest du, da zu sehen? Du wirst jeden Tag älter, die Falten werden jeden Tag mehr, der Bauch größer und die Haare dafür weniger. Du bist auch schon zu alt, um noch jung zu sterben. Aber das hatten wir schon.“

      „Danke, das habe ich gebraucht“, brummte er. „Musst du mich eigentlich immer an meine Vergänglichkeit erinnern?“

      „Sei nicht wehleidig“, konterte Melissa und schaute auf die Uhr. „Wir haben noch eine gute Stunde bis zu unserem Brainstorming. Gehen wir eine Kleinigkeit essen. Vegan, vegetarisch, Paleo, Running Sushi?“

      „Stehender Schweinsbraten“, entschied Landorff prompt, „mit Knödel.“

      Melissa seufzte und steuerte ihre vierrädrige Mini-Rakete unbarmherzig von der linken Spur schräg über die ganze Straße direkt in eine Parklücke, vor der ein älterer Porsche-Fahrer zum Einparken ansetzte.

      „Hast du nicht gesehen …?“, rief Landorff und zeigte auf den Sportwagenfahrer, der die geballte Faust durchs Schiebedach reckte.

      „In Schwabing muss man hart sein, wenn man einen Parkplatz will“, entgegnete Melissa ungerührt. „Los, wir gehen zu Luigi. Vielleicht ist Wayne da.“

      „Luigi? Hat der einen Schweinsbraten in der Röhre?“

      Hatte er nicht, wie sich wenig später herausstellte. Als Landorff im Fahrwasser seiner neuen Agentin durch die Menschenmassen drängte, grüßte Melissa nach allen Seiten. Sie schien hier alle und jeden zu kennen, verteilte großzügig Küsschen-Küsschen, lächelte in die Runde. Der kleine dunkelhaarige Wichtel mit dem Horst-Lichter-Bart, der grinsend auf sie zustürzte, um seinen Kopf in ihrem Busen zu vergraben, musste Luigi sein.

      „Cara mia, wasse für eine Froide“, klang es aus den Tiefen und Landorff konnte sichein Lachen nicht verkneifen.

      „Hast du einen Tisch für uns, Luigi?“, flötete Melissa und blickte sich rasch in dem hoffnungslos überfüllten Lokal um. „Ich habe einen berühmten Autor aus Frankreich zu Besuch, Monsieur de Gilles, und wollte ihn nicht mit Schweinsbraten und Knödel erschlagen. Du machst uns doch sicher dein göttliches Carpaccio?“

      „Aber sischer doch, amore mio“, strahlte Luigi und betrachtete Landorff neugierig von Kopf bis Fuß. „Un francese famoso? Cool! Aspetta un minuto!“ Damit verschwand er blitzschnell zwischen den Herumstehenden.

      „Melissaaa!“ Mit spitzen Lippen und neugierigem Seitenblick steuerte die nächste Blondine auf die neuen Gäste zu und drückte Melissa ein Glas Rotwein in die Hand. „Du warst gestern so schnell verschwunden, dabei ging es dann erst so richtig looos.“ Sie musterte Landorff fragend an und zog einen Schmollmund. „Willst du mich nicht vorstellen?“

      „Noch nicht“, entgegnete die Agentin kühl, „wir sind sozusagen inkognito hier. Vergiss einfach, dass du ihn gesehen hast.“

      „Ahhh“, machte Blondie und zwinkerte Landorff zu. „Interessant …“ Damit entschwand sie hüftschwingend und hängte sich bei einem etwas untersetzten Anzugträger ein, den sie um einen halben Kopf überragte.

      „Ehndschie, die Tratschtante der Nation“, zischte Melissa, ohne eine Miene zu verziehen.

      Blondie flüsterte dem Anzugträger angeregt ins Ohr und warf Landorff immer wieder einen verstohlenen Blick zu.

      „Die Kugel ist im Rollen“, stellte Melissa zufrieden fest, bevor sie Luigi mit einem „Una tavola per te, cara!“ entführte und Landorff sich bemühen musste, sie in dem Trubel nicht aus den Augen zu verlieren.

      Kaum hatten sie sich an einen mikroskopisch kleinen Tisch gequetscht und die handgeschriebene Karte entziffert, tauchte ein Typ mit Hut, Schal und Dreitagebart auf, der ungefragt ein Blitzlichtgewitter entfesselte, um dann sofort wieder zu verschwinden.

      „Wayne, der Szenefotograf“, dozierte Melissa ungerührt. „Morgen sind wir auf den einschlägigen Klatschseiten. Und alle werden sich fragen, wer du bist, wer da neben der erfolgreichen Medienagentur-Chefin sitzt.“ Sie kicherte. „Gut so. Umgekehrt wäre es katastrophal.“

      „Danke!“, stellte Landorff lakonisch fest, „wie reizend.“ Carpaccio wäre tatsächlich eine gute Wahl … gefolgt von einer Pizza Quattro Stagioni, überlegte er. Die Preise grenzten an Raubrittertum. „Dafür werden Wirte in Sizilien in Beton gegossen und danach als Statuen auf Hauptplätzen aufgestellt“, murmelte er ergriffen.

      „Nein! Ehrlich! Wie gut, dass dich niemand kennt.“ Melissa nippte am Rotwein. „Sonst könnten wir dich nicht als Michel de Gilles verkaufen.“

      „Warum komme ich mir gerade wie ein Stück Handelsware aus dem literarischen Restpostenverkauf vor?“, frage Landorff niemanden im Speziellen und sah sich um. Bilder von Prominenten tapezierten die Wände, manche mit unleserlichen Widmungen, wohl an diesen Luigi Canelloni, der ihnen gerade bis zu beiden Ohren grinsend einen Teller mit Antipasti auf den Tisch stellte und Melissa unverhohlen anhimmelte.

      „Cara mia, du schaust fannetastisch aus“, strahlte er und zwinkerte mir zu. „Habt ihr schon etwas gefunden? Auch Sie, Monsieur?“

      „Wir


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