Monsieur Vénus. Rachilde

Monsieur Vénus - Rachilde


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mit grünen Pailletten bestickten Tunika aus weißem Kaschmir, mit Schilfbesatz; ich brauche daher eine breite Auswahl an Flusspflanzen, Seerosen, Pfeilkraut, Teichlinsen, Wasserlilien … Sehen Sie sich imstande, das innerhalb einer Woche zusammenzustellen?«

      »Ich denke schon, Madame, ein echtes Kunstwerk also!«, antwortete der junge Mann und lächelte seinerseits, dann griff er nach einem Zeichenstift und warf ein paar Skizzen aufs Papier.

      »Genau, genau so«, stimmte Raoule zu, während ihre Augen ihm folgten. »Ganz zarte Nuancen, nicht? Lassen Sie kein Detail aus … Oh! Ich zahle, was immer Sie wollen! Das Pfeilkraut mit langen, spitzen Stempeln und die Seerosen schön rosa mit braunem Flaum.«

      Sie hatte den Stift genommen, um ein paar Konturen zu verbessern; als sie sich zur Lampe hinunterbeugte, blitzte der Diamant auf, der ihren Umhang zusammenhielt. Silvert sah ihn und sagte ehrerbietig:

      »Die Arbeit kommt mich auf 100 Franc, den Entwurf gebe ich Ihnen für fünfzig, da bleibt mir nicht viel, wirklich, Madame.«

      Raoule entnahm einem wappengeschmückten Portemonnaie drei Banknoten.

      »Hier«, sagte sie schlicht, »ich habe vollstes Vertrauen in Sie.«

      Der junge Mann machte eine abrupte Bewegung, mit einer solchen Freudenaufwallung, dass sein Kittel erneut aufsprang. In der Furche seiner Brust bemerkte Raoule den gleichen rötlichen Flaum, der auch seine Oberlippe zierte, etwas wie fein gesponnene, ineinander verschränkte Goldfäden.

      Mademoiselle de Vénérande schien es jetzt, als könnte sie vielleicht wirklich einen dieser Äpfel essen, ohne allzu großen Widerwillen.

      »Wie alt sind Sie?«, fragte sie, ohne den Blick von der durchscheinenden Haut abzuwenden, die noch seidiger war als die Rosen der Girlande.

      »Ich bin vierundzwanzig, Madame«, antwortete er, und linkisch fügte er hinzu: »Stets zu Diensten.«

      Die junge Frau senkte den Kopf und schloss die Augen; sie wagte nicht, noch länger hinzuschauen.

      »Ach! Sie sehen aus wie achtzehn … Wie merkwürdig, ein Mann, der Kunstblumen macht … Mit Ihrer kranken Schwester sind Sie in diesem Mansardenzimmer ziemlich schlecht untergebracht … Meine Güte! … Durch diese Dachluke dringt ja kaum Licht … Nein, nein! Behalten Sie das Wechselgeld … Dreihundert Franc, das ist doch gar nichts. Apropos, notieren Sie meine Anschrift: Mademoiselle de Vénérande, Avenue des Champs-Élysées 74, Hôtel de Vénérande. Bringen Sie mir alles persönlich vorbei. Ich kann doch auf Sie zählen?«

      Sie stockte beim Reden und spürte, wie ihr der Kopf schwer wurde.

      Silvert nahm mechanisch einen Gänseblümchenstängel in die Hand, rollte ihn zwischen den Fingern hin und her und legte dabei, ohne darauf zu achten, die gleiche Geschicklichkeit an den Tag wie eine Frau vom Fach, wenn sie nur eben den Stoffhalm einkneift, um ihn wie einen Pflanzenhalm aussehen zu lassen.

      »Abgemacht, nächsten Dienstag, Madame, ich werde da sein, zählen Sie auf mich, ich verspreche Ihnen lauter Meisterwerke … Sie sind zu großzügig!«

      Raoule erhob sich; ein nervöses Zittern erfasste ihren ganzen Körper. Hatte sie sich bei diesen Elenden etwa ein Fieber geholt?

      Der Bursche hingegen rührte sich nicht, in seine Freude versunken, betastete er mit aufgerissenem Mund die drei blauen Scheine: dreihundert Franc! … Er dachte nicht mehr daran, den Kittel über seiner Brust zu schließen, wo die Lampe goldene Pailletten aufflammen ließ.

      »Ich hätte die Schneiderin mit meinen Anweisungen herschicken können«, murmelte Mademoiselle de Vénérande, als müsse sie auf einen inneren Vorwurf antworten und sich vor sich selbst rechtfertigen; »doch nachdem ich Ihre Probestücke gesehen hatte, zog ich es vor, selbst zu kommen … Apropos: Sagten Sie nicht, Sie seien Maler? Ist das hier von Ihnen?«

      Mit dem Kopf deutete sie auf ein Gemälde, das zwischen einem grauen Lumpen und einem Schlapphut an der Wand hing.

      »Ja, Madame«, erwiderte der Künstler und hob die Lampe zum Bild hoch.

      Mit raschem Blick erfasste Raoule eine unbewegte Landschaft, in der fünf oder sechs steifbeinige Schafe erbittert zartes Grün weideten, unter derart genauer Wahrung der Perspektivgesetze, dass zwei von ihnen, entlehnt von anderen, fünf Beine zu haben schienen.

      In seiner Unbedarftheit erwartete Silvert ein Kompliment, ein paar aufmunternde Worte.

      »Seltsamer Beruf«, fuhr Mademoiselle de Vénérande fort, ohne das Bild weiter zu beachten. »Eigentlich sollten Sie besser Steine klopfen, das wäre weitaus natürlicher.«

      Er begann einfältig zu lachen, ein wenig verdutzt, weil diese Unbekannte ihm vorwarf, er nütze jedes mögliche Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen; dann sagte er, um überhaupt etwas zu antworten:

      »Pah! Das hindert einen nicht daran, ein Mann zu sein!«

      Und sein weiterhin offener Kittel ließ die goldenen Löckchen auf seiner Brust erkennen.

      Ein dumpfer Schmerz fuhr Mademoiselle de Vénérande in den Hinterkopf. Von der übelriechenden Mansardenluft waren ihre Nerven überreizt. Eine Art Schwindel zog sie zu dieser entblößten Haut hin. Sie wollte einen Schritt zurückweichen, sich losreißen von diesem Zwang, flüchten … Ein wahnsinniges Begehren fasste sie am Handgelenk … Ihr Arm erschlaffte, sie ließ die Hand über die Brust des Arbeiters gleiten, als würde sie eine blonde Bestie streicheln, ein Monster, dessen Existenz ihr nicht bewiesen schien.

      »Das sehe ich!«, sagte sie in ironisch kühnem Ton.

      Jacques erbebte, verwirrt. Was er zunächst für eine Liebkosung gehalten hatte, erschien ihm nun wie eine Beleidigung.

      Der Handschuh dieser Dame von Welt führte ihm das eigene Elend vor Augen.

      Er biss sich auf die Lippen, und in dem Bemühen, irgendwie verrucht zu erscheinen, gab er zurück:

      »Ach wissen Sie, wir haben die am ganzen Körper!«

      Angesichts dieser Ungeheuerlichkeit verspürte Raoule de Vénérande tödliche Scham. Sie wandte den Kopf ab; da erhob sich inmitten der Lilien ein garstiges Gesicht, in dem zwei graugrüne Augen düster aufleuchteten: Es war Marie Silvert, die Schwester.

      Einen Moment lang hielt Raoule inne und sah der jungen Frau direkt in die Augen; dann grüßte sie mit einer unmerklichen Kopfbewegung, senkte hochmütig ihren Schleier und ging langsam hinaus, ohne dass es Jacques, der mit der Lampe in der Hand starr dastand, in den Sinn gekommen wäre, sie zu begleiten.

      »Was sagst du dazu?«, fragte er, als er wieder zu sich kam, während Raoules Wagen bereits die Boulevards erreicht hatte und in Richtung Champs-Elysées rollte.

      »Ich sage«, antwortete Marie und ließ sich mit einem höhnischen Lachen zurückfallen in ihre Decken, die durch den Glanz der Lilien noch schmutziger wirkten, »ich sage, wenn du dich nicht ganz dämlich anstellst, haben wir die Sache im Sack. Sie hängt an der Angel, Kleiner.«

      Kapitel II

      Als sie in ihrem Coupé saß, ließ Raoule die beiden Fensterscheiben herunter und atmete lange die kühle Luft tief ein.

      Eben noch, auf der Treppe Silverts, hatte es sie äußerste Willensanstrengung gekostet, nicht ohnmächtig zu werden. Ihr gesamter feinnerviger Körper spannte sich zu einem unglaublichen Krampf, einem gewaltigen Beben, dann kam mit der Unvermitteltheit eines Hirnschlags die Gegenreaktion, sie fühlte sich besser. Sie empfand diese Unbestimmtheit, einen seltsamen Effekt, der gut mit den letzten Zuckungen einer in voller Aktion gebrochenen Sprungfeder zu vergleichen ist; ein Zustand, in dem die Aktivität des Gehirns mit der Erschlaffung der Muskeln anzuwachsen schien.

      Raoule rief sich Jacques Silvert vor Augen. Die Tochter aus dem Hause Vénérande, die ein flinkes Gespann im Galopp forttrug, kehrte in Gedanken zu dem Arbeiter in der Rue de la Lune zurück. Von dem Gefühl der Scham, das sie beim erneuten Übertreten der Mansardenschwelle empfunden hatte, war nichts mehr übrig. Was bedeutete schon die Abkunft dieses Mannes angesichts dessen,


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