Monsieur Vénus. Rachilde
venezianische Vorhänge von Flandrischer Spitze gerafft wurden. Die Stoffe, die bei der Einrichtung ihres Sommerzimmers übrig geblieben waren, hatte Raoule einfach den Tapetenwirkern geben lassen. Dahinter schloss ein kleines Bad mit einer Wanne aus rotem Marmor an.
»Schließen Sie ab, wir plaudern durch den Brokatell hindurch.«
Und in der Tat plauderten sie, jeder auf seiner Seite des Vorhangs, er plantschte im Wasser, welches er kalt fand, da es vor ihrer Ankunft bereitet worden war; sie lachte über seine Unwissenheit.
»Denken Sie bitte daran, dass ich ein Junge bin«, sagte sie, »ein Künstler, den meine Tante ihren Neffen nennt … und dass ich Jacques Silvert als Freund aus Kindertagen diene …
Sind Sie jetzt fertig? Oberhalb der Wanne finden Sie ein Parfum von Lubin, daneben einen Kamm. Ist er nicht lustig, der Kleine? Mein Gott, ist er drollig! … «
Jacques suchte nach Worten. Alles in allem musste die bessere Gesellschaft wohl freizügiger sein als die, die er kannte.
Und mit neuem Mut gab er Schlüpfrigkeiten von sich und fragte, ob sie auch wegschaue, das wäre ihm sonst natürlich unangenehm …
Dann schüttete er ihr sein Herz aus und erzählte, wie sein armer Vater in einem Räderwerk umgekommen war, in seiner Heimat Lille, als er einen über den Durst getrunken hatte; wie seine Mutter sie fortgejagt hatte, um sich mit einem anderen Mann einzulassen. Sie seien dann in sehr jungen Jahren nach Paris gegangen, Bruder und Schwester … Und seine liederliche Schwester wusste schon so einiges! Sie hätten sich ihr armseliges Brot selbst verdient … Von den Ausschweifungen Maries erzählte er nichts, aber er fing an, sich lustig zu machen, um diese traurige Wehmut loszuwerden, die ihm die Brust zusammendrückte: Man gab ihnen Almosen … Wie hätte er das unterscheiden können? Ach! Es war erniedrigend. Und er vergaß die verderbten Empfehlungen Maries, während er im schimmernden Wasser den Kratzer betrachtete, den ihm der Siegelring zugefügt hatte.
Schließlich gab es ein Rumpeln in der Wanne.
»Ich habe genug!«, rief er, plötzlich von der Scham verstört, dass er ihr sogar die Sauberkeit seines Körpers verdankte.
Er suchte nach einem Tuch, stand tropfend da, die Arme in der Luft. Ihm war, als zerre man am Vorhang.
»Wissen Sie, Monsieur de Vénérande«, sagte er pikiert, »selbst unter Männern gehört sich das nicht … Sie gucken! Ich frage Sie, wie Ihnen an meiner Stelle zumute wäre.«
Und er dachte, dass diese Frau unbedingt wollte, dass man über sie herfällt.
»Da täuscht sie sich um so mehr«, setzte er sehr verstimmt hinzu, mit von dem kühlen Bad ruhigen Sinnen, und zog sich einen Morgenrock über.
Wie angewurzelt stand Mademoiselle de Vénérande hinter dem Vorhang, sie sah ihn, ohne sich bewegen zu müssen. Der schwache Schein der Kerze fiel träge auf seine helle Haut, die wie ein Pfirsich über und über mit Flaum überzogen war. Er hatte sich zur Rückseite des Bads gedreht und spielte die Hauptrolle in einer Szene bei Voltaire, die eine Kurtisane namens Rotmund in allen Details schildert.
Sein Rückgrat lief in einem der Venus Kallipygos würdigen Halbrund aus und hob sich dann hervor, fest und fleischig, wie zwei Halbkugeln aus Parischem Marmor, durchscheinend wie Bernstein. Die Oberschenkel waren nicht ganz so kräftig wie die einer Frau, doch so gerundet, dass sie keine Spur des Geschlechts aufwiesen. Die hohen Wadenansätze schienen die Beine fast anzuheben und das Gesäß den gesamten Rumpf hervorzudrücken, und diese Unverschämtheit eines Körpers, der sich seiner selbst nicht bewusst zu sein schien, machte ihn noch reizvoller. Die Ferse war so stark gewölbt und rundlich, dass sie nur auf einer einzigen, kaum wahrnehmbaren Stelle zu ruhen schien.
Die Arme hingen herab, und an den Ellenbogen sah man zwei rosige Löcher. Aus dem Spalt der Achseln, und sehr viel weiter darunter, kamen kräuselige goldene Löckchen hervor. Jacques Silvert hatte die Wahrheit gesagt, sie waren überall. Er hätte sich aber geirrt, hätte er beteuert, sie allein seien Zeichen seiner Männlichkeit.
Mademoiselle de Vénérande wich zum Bett zurück; ihre nervösen Hände vergruben sich in den Laken; sie knurrte wie ein Panther, den soeben die biegsame Gerte des Dompteurs gegeißelt hat:
»Du schreckliches Gedicht menschlicher Nacktheit, habe ich dich also endlich erfasst, ich, die ich zum ersten Mal erbebe, wenn ich dich mit meinen abgestumpften Augen zu lesen versuche. Der Mann! Das ist der Mann! Nicht Sokrates und die Erhabenheit der Weisheit, nicht Christus und die Majestät der Hingabe, nicht Raffael und das Strahlen des Genies, sondern ein Armer ohne seine Lumpen, doch in der Haut eines Tölpels. Er ist schön, ich habe Angst. Er ist gleichgültig, ich erzittere. Er ist verachtenswert, ich bewundere ihn! Und so, wie er da steht, wie ein Kind in einem kurz ausgeborgten Wickeltuch, umgeben von Spielzeug, das meine Willkür ihm bald wegnehmen wird, werde ich ihn zu meinem Herrn machen, und er wird unter seinem Körper meine Seele zerquetschen. Ich habe ihn gekauft, ich gehöre ihm. Ich bin es, die verkauft wurde. Ihr Sinne, ihr gebt mir ein Herz zurück! Ach! Dämon der Liebe, du hast mich zur Gefangenen gemacht, indem du mir die Ketten nahmst und mich freier machtest als meinen Kerkermeister. Ich meinte ihn mir zu nehmen, er bemächtigt sich meiner. Den Pfeil der Liebe habe ich verlacht, und er hat mich getroffen. Und seit wann brodelt Raoule de Vénérande, die selbst eine Orgie kalt lässt, der Schädel wegen eines Mannes, der schwach wie ein junges Mädchen ist?«
Und sie wiederholte: »ein junges Mädchen!«
Außer sich machte sie einen Satz zurück zum Türvorhang.
»Ein junges Mädchen! … Nein, nein … schneller Besitz, Brutalität, einfältiger Rausch und dann Vergessen … Nein, nein, möge mein unverwundbares Herz nicht teilhaben an diesem Opfer der Materie! Hätte er mich doch angeekelt, bevor er mir gefiel! Möge er sein, was die anderen waren, ein Instrument, das ich zerbrechen kann, bevor ich der Hallraum seiner Schwingungen werde!«
Mit einer herrischen Bewegung schob sie die Vorhänge beiseite. Jacques Silvert hatte sich eben erst abgetrocknet.
»Kind, weißt du, dass du wundervoll bist?«, sagte sie mit schamlosem Freimut.
Der junge Mann stieß einen verblüfften Schrei aus und zog den Morgenrock zusammen. Dann ließ er ihn bedrückt und blass vor Scham sinken, denn der Arme hatte nun verstanden. War da nicht seine Schwester und grinste hämisch aus einer Ecke? Na los, du Dummkopf, der du dich für einen Künstler hieltest. Los doch, du feile Beute, los, du kleiner Bett-Zeitvertreib, mach deine Arbeit.
Diese Frau hatte ihn aus seiner Kunstblumenbinderei herausgeholt, wie man aus echten Blumen ein merkwürdiges Insekt herauszerrt, das man als Schmuckstück auf ein Geschmeide setzen will.
Los doch, du frischer Fang! Mit einem Adelsfräulein gibt es keine Kameradschaft. Die Verderbten wissen zu wählen! …
Er meinte, all diese Beleidigungen an seinem purpurroten Ohr säuseln zu hören, und seine blonde Jungfräulichkeit nahm dieselbe Färbung an, während die beiden Knospen seiner Brust, vom Wasser befrischt, hervortraten wie bengalische Feuer.
»Mir scheint, Antinoos ist einer deiner Vorfahren?«, murmelte Raoule, schlang die Arme um seinen Hals und lehnte sich, weil er so groß war, an seine Schultern.
»Ich habe ihn nie kennengelernt!«, antwortete der gedemütigte Sieger und senkte den Kopf.
Ach! All das Holz, das er für reiche Häuser gehackt, all die Brotrinden, die er aus der Gosse gesammelt, all das Elend, das er tapfer ertragen hatte trotz der niederträchtigen Ratschläge seiner Schwester, der Dirne! … Diese so gekonnt gespielte Arbeiterinnenrolle, diese lächerlichen kleinen Hilfsmittel, deren Beharrlichkeit sein Schicksal müde gemacht hatten, wo war das alles hin? Und wie viel besser das alles gewesen war! Ehrbarkeit war nicht seine Stärke, aber man hätte doch vollends gut sein können, ihm seine Illusionen und die Zeit lassen, ein Vermögen zu machen, um eines Tages alles zurückzuzahlen …
»Wirst du mich lieben?«, fragte Raoule und erschauerte beim Berühren dieses nackten Körpers, den das Grauen über den Fall bis ins Mark hatte erstarren lassen.
Jacques kniete