Monsieur Vénus. Rachilde

Monsieur Vénus - Rachilde


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Grisette4 ihre Resedatöpfe in der Dachrinne aufreiht. Ab und zu stieß er kleine Freudenschreie aus, wenn er die Moosfrüchte in den Majolika-Keramiken oder die glänzenden Blätter der Palme streichelte, die aus einem Puff in der Mitte des Ateliers herausragte. Sogar die Schemel, die auf dem Fußteppich verteilt herumstanden, prüfte er, indem er mit der Faust darauf schlug oder sie hoch in die Luft warf.

      Die Fensterfront wies auf den offensten Teil des Boulevard Montparnasse hinaus, gegenüber von Notre-Dame-des-Champs. Über den Fenstern hatte man einen Baldachin aus grauem Satin angebracht, verziert mit schwarzem, goldbesticktem Samt. Die gesamte Wandbespannung griff diese Farbnuancen auf, und die mit lebhaften fremdartigen Motiven verzierten ägyptischen Türvorhänge erstrahlten vor diesem Frühlingswolkengrau ganz besonders.

      Nach einer Stunde sah das Atelier fast aus wie das Mansardenzimmer in der Rue de la Lune, ohne die Fettflecken und die löchrigen Stühle, aber man spürte, dass diese Ergänzung nicht lange auf sich würde warten lassen. Marie beschloss, zwei eiserne Bettgestelle in die Garderobe für die Modelle zu stellen, denn in dem Atelier war mit breiten Vorhängen ein Halbkreis abgeteilt, vor dem ein rosa und blau lackierter japanischer Paravent stand. Man würde sich so gut es ging umkleiden und dann die beiden Behälter hinter den Paravent schieben. Ihr kam sogar in den Sinn, einen großen Spucknapf aus ziseliertem Kupfer als Abfalleimer zu verwenden. Sie dachten überhaupt nicht daran, die Türvorhänge, die sie zusammen mit den alten Waffentrophäen für einen Teil der Dekoration hielten, zur Seite zu schieben.

      »Wir werden diese Töpfe abwaschen«, sagte Marie, ganz in ihrem Element, »dann haben wir günstiges Kochgeschirr. Schmorgerichte sind doch das Beste« – sie zeigte auf die Römerhelme, von denen ihr Bruder immer wieder einen aufprobierte.

      »Ja, ja«, antwortete Jacques und setzte sich vor den Spiegel, der ihm den Glanz seines Paradieses vielfach zurückwarf, »mach, was du willst, aber übernimm dich nicht. Es wäre zu dumm, wenn du hier wieder Fieber bekämst … wir haben Wichtigeres zu tun. Fühl dich wie zuhause, kleckere Suppe auf die Sofas, wenn du magst. Ich bin doch der Hausherr, nicht wahr? Hör mal, ich muss an die Arbeit. Von den Blumen sind meine Finger ganz ungelenk geworden, ich muss sehen, dass sie flott wieder beweglich werden. Und dann … das Porträt der Tante, das Porträt ihrer Bedienten, wenn sie darauf besteht. Ich bin ja nicht undankbar … Ich würde alles tun für diese Frau. Entweder gibt es den lieben Gott nicht, oder sie ist einer. Ach ja, gleich schlägt unsere Uhr, pass mal auf!«

      Die Standuhr in Form eines Leuchtturms, auf der oben eine Kugel schimmerte, schlug sechs, und plötzlich flammte die Kugel auf, ein opalenes Leuchten, das alles in köstlichem Dämmerlicht erscheinen ließ.

      »Das ist doch nicht möglich«, rief Jacques, dem ganz schwindelig wurde von dieser neuerlichen Verwandlung, »es ist Zeit für das Licht, und das Licht kommt von ganz allein. Allmählich glaube ich, wir sind in einem Theaterstück im Châtelet.«

      »Dafür reicht’s nicht an Lastern«, murmelte Marie als Antwort auf ihre schlüpfrigen Gedanken.

      »Für die Uhr?«, erwiderte Jacques mit kindlicher Arglosigkeit.

      In der Tat erlosch das Licht der Lampe nicht und verbreitete so erst das Laster. Die Vorhänge schillerten sanft in allen Farben und waren voller reizender Geheimnisse. Die chinesischen Figürchen spreizten ihre prallen Stoffbeinchen; die Terrakottanymphen schwangen sich ungreifbar aus einer Art schwebendem Dunst hervor, streckten wie lebendig die Arme und sandten ein menschliches Lächeln aus, und die Schneiderpuppen mit ihren verrenkten Gliedern machten zur keuschen Tunika der erhabenen Venus hin sehr rüde Gesten.

      »Hör mal, ich habe noch vierzig Sous. Ich gehe Wein und italienischen Käse kaufen, ja?«

      »Bei Gott, ich sterbe vor Hunger!«

      In seinem Überschwang schob Jacques seine Schwester zur Tür, und kurz darauf verhallten ihre Schritte im Treppenhaus.

      Er ging zurück und warf sich auf den breiten Diwan hinter der Uhr. Einen Moment lang hatte sein ganzer Körper schon gekribbelt vor Verlangen nach der Seide, dieser Seide, die dicht wie ein Vlies fast alle Möbel des Ateliers überzog. Er wälzte sich herum, küsste die Quasten und die Polster, presste sich an die Rückenlehne, rieb seine Stirn an den Kissen und zog mit dem Zeigefinger die orientalischen Muster nach.

      Toll wie eine Braut im Angesicht ihrer Aussteuer leckte er sogar durch die bunten Fransen hindurch die Rollen des Diwans.

      Er hätte das Abendessen völlig vergessen, wenn nicht eine gebieterische Hand seine glückliche Raserei durchbrochen und ihn kräftig geschüttelt hätte. Er schnellte hoch und zitterte schon vor dem bitteren Hohn Maries, dieser ewig Unzufriedenen. Dann erkannte er Mademoiselle de Vénérande. Sie war lautlos eingetreten und hatte wahrscheinlich erwartet, den Künstler voller Bewunderung vor dem Sockel einer Statue zu überraschen. Oder sie hatte angenommen, der Pinsel sei schon eingetunkt, die Leinwand grundiert, die Vorzeichnung fertig … Sie traf ein Kind an, das sich mit neuem Schwung in Clownerien erging. Zuerst betrübte es sie … dann musste sie darüber lachen und dachte sich schließlich, dass es so doch genau richtig wäre.

      »Jetzt aber«, sagte sie im kurzangebundenen Ton einer Hausherrin, die einen Befehl erteilt, »jetzt aber, versuchen Sie mal, ein vernünftiger Mensch zu sein, mein lieber Silvert; ich komme, um Ihnen zu helfen, das macht Ihnen ja wohl nichts aus.«

      Sie musterte ihn.

      »Was ist denn mit Ihrer Arbeitskleidung? Ich hatte gehofft, Sie wären von selbst imstande, sich angemessen zu kleiden?«

      »Ach Mademoiselle, meine liebe Wohltäterin«, begann, dem Rat Maries folgend, der junge Mann, der aufgestanden war und sich mit den Fingern durchs Haar fuhr, »dieser feierliche Tag entscheidet über mein ganzes Leben; ich schulde Ihnen Ruhm, Reichtum, … «

      Er hielt inne, eingeschüchtert von Raoules prachtvoll funkelnden dunklen Augen.

      »Monsieur Silvert«, antwortete sie und imitierte dabei seinen Theaterton, »Sie sind ein Narr, das denke ich wohl … Sie schulden mir gar nichts … aber Sie besitzen nicht eine Spur gesunden Menschenverstand, und ich fürchte, Sie werden verdammt sein zu überaus steifbeinigen Schafen auf überaus zarten Wiesen. Ich bin ein Jahr älter als Sie, und in der Zeit, in der Sie eine Pfingstrose drehen, habe ich schon einen annehmbaren Akt gezeichnet. Ich darf mir also eine scharfe Kritik Ihrer Werke erlauben.«

      Sie packte ihn an der Schulter und führte ihn durchs Atelier.

      »So bringen Sie also Ordnung ins Chaos? Wo ist denn Ihr Sinn für das Schöne geblieben? Antworten Sie … Ich würde Sie am liebsten erwürgen.«

      Sie schleuderte ihren Mantel auf einen Sessel und kam zurück, schlank und mit hochgestecktem Haarknoten, in einem hautengen schwarzen Kleid mit Schwalbenschwanz, das über und über mit Schnüren besetzt war.

      Diesmal funkelte an ihr kein Schmuckstück, das diese fast männliche Garderobe hätte auflockern können. Nur am linken Ringfinger trug sie einen Siegelring mit einer Kamee, die in zwei Löwentatzen gefasst war.

      Als sie Jacques’ Hand wieder ergriff, bekam er einen Kratzer ab. Unwillkürlich durchfuhr ihn ein Gefühl des Schreckens. Dieses Wesen war der Teufel.

      Sie versetzte alles um sich herum in das schamloseste Treiben. Jacques verzog das Gesicht … Die Nymphen stützten sich auf den Rücken der chinesischen Satyrn ab, die Helme saßen auf den Büsten, die Spiegel kippten um und reflektierten die Decke, die Puffs rollten zwischen die dürren Beine der Staffeleien, und die Trophäen nahmen prahlerische Posen ein.

      »Wir sind verloren«, dachte der Blumenmacher aus der Rue de la Lune.

      »Jetzt kommen Sie aber; Sie müssen sich schon selbst anziehen, ich zweifle jedoch sehr an dem Erfolg.«

      Raoule lachte spöttisch und sagte sich, dass man aus diesem plumpen Kerl nichts würde machen können.

      Sie zog einen der Türvorhänge beiseite. Jacques schrie auf.

      »Ah, ich verstehe! Auf den Gedanken eines Schlafzimmers sind Sie nicht gekommen: Das übersteigt Ihre Vorstellungskraft.«

      Sie


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