Monsieur Vénus. Rachilde
»Lassen Sie dieses arme Geschöpf eintreten«, fuhr sie locker fort, »ich möchte ihm gleich geben, was es verlangt.«
»Aber mir die geforderte Erklärung verweigern!«, grummelte der Offizier außer sich.
In aller Ruhe schloss Raoule ihn im Wintergarten ein und setzte sich wieder, totenbleich. Ihre Stirn sank herab, sie grub ihre langen Fingernägel in das mit blauer Tinte bedeckte Papier.
»Geld! Oh! Nein, ich darf der Versuchung nicht nachgeben! Ich werde ihm schicken, was er will, umbringen werde ich ihn nicht! … Kann er überhaupt etwas dafür? Wird ein Mann aus dem Volk, weil er schön ist, nicht auch niederträchtig sein können? Lassen wir das! Es ist nur gut, dass mir dieser Kelch dargeboten wird: Ich weise ihn nicht zurück … im Gegenteil, ich werde neues Leben aus ihm schöpfen.«
Der kehlige Husten von Marie Silvert ließ sie den Kopf wieder heben. Raoule stand ganz plötzlich auf, drohend und hochmütiger als eine Göttin, die aus dem Empyreum5 spricht.
»Wie viel?«, fragte sie, während sie die riesige Schleppe ihrer Samtrobe ausbreitete.
Marie brachte ihren Hustenanfall zu Ende … auf diese unvermittelte Ansprache war sie nicht gefasst … Teufel auch! das lief schief … man hätte etwas milder einsteigen können, mit Gefühl, sanften Fragen … So ein Manöver lässt man doch auf kleiner Flamme köcheln, wie ein Ragout, und fügt erst ganz am Ende den Pfeffer hinzu.
»Wissen Sie was? der Kleine langweilt sich«, erklärte sie mit anzüglichem Lächeln.
»Wie viel?«, wiederholte Raoule voll blinder Wut und blickte sich nach einem Messer um.
»Seien Sie nicht wütend, Mademoiselle, das Geld spielt nur in seinem Brief eine Rolle; vor allem möchte er Sie sehen, das gute Kind … Er ist doch nur ein Baby ohne jede Vernunft, ein viel zu empfindlicher Heulpeter! Er hat sich eingebildet, dass Sie schon nicht mehr in ihn verknallt sind, da kann man nichts mehr machen! Ich kann zu Ihren Gunsten sagen, was ich will. Sieht er Sie nicht wieder, gibt er sich den Tod, das macht mir schreckliche Angst. Heute Morgen, da hat er sein Glas angeguckt und zu mir gesagt, dass er sich bald Gift reintun wird. Armes Kätzchen! Wenn das nicht den Seelenfrieden zunichte macht! In seinem Alter! Und so blond, so unschuldig! Na, Sie kennen ihn ja? Also hab ich mir meinen Sonntagsrock angezogen … Lass deinen Bruder nicht hinsiechen, hab ich mir gesagt. Und da bin ich! Was das Geld anlangt, wir sind arm, aber stolz. Darüber sprechen wir später! …«
Sie rieb ihren Fuß auf dem Teppich des Boudoirs hin und her und empfand eine stille Freude, dass sie die von da oben ein bisschen mit Dreck bewerfen konnte, und schüttelte ihren ausgeblichenen Regenschirm, den sie nicht aus der Hand hatte geben wollen.
Raoule ging geradewegs zu ihrem Bonheur-du-jour6 auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers; mit dem Handrücken schob sie das Mädchen beiseite wie einen Lappen, der einem ins Gesicht schlägt.
»Da sind 1000 Franc … heute Abend schicke ich Ihnen weitere 1000 … aber bleiben Sie keine Sekunde länger … ich kenne Ihren Bruder nicht … ich habe keine Ahnung, wo er wohnt … Sie … ich weiß nicht, wie Sie heißen. Nehmen Sie das und verschwinden Sie!«
Sie legte die Geldscheine auf einen Sessel und gab ihr ein Zeichen, sie an sich zu nehmen. Dann klingelte sie …
»Jeanne«, sagte sie zu ihrer Kammerzofe, »begleiten Sie Madame hinaus.«
»Ah! Aber …«, grollte die verblüffte Blumenmacherin.
Sie wurde von Jeanne mit fast durchgestreckten Armen abgeführt. Die Faust des Concierge schubste sie auf die Avenue, der kleine Hund lief die Freitreppe hinunter und unterstützte das Geschehen mit schrillem Geheul.
»Langweilt Ihr Euch, Baron?«, fragte Raoule, als sie lächelnd wieder in den Wintergarten trat.
»Mademoiselle«, erwiderte Raittolbe in höchster Ungeduld, »Sie sind eine liebliche Bestie, allerdings entfaltet das Studium der Raubtiere seinen wahren Reiz nur in Algerien …, deshalb verabschiede ich mich für heute Abend; morgen früh hisse ich die Segel in Richtung Constantine. Soll Euch doch wer auch immer den Steigbügel halten. Was mich anbelangt, ich lege darauf keinen Wert mehr.«
»Ach, ach! Dabei war mir doch gerade, als hättet Ihr mir angeboten, Euren Namen zu tragen! …«
De Raittolbe ballte die Fäuste.
»Wenn man bedenkt, dass ich meinen Abschied genommen habe, um Tiger zu jagen!«, fuhr er fort, ohne ihr überhaupt zuzuhören.
»… als hättet Ihr klipp und klar um meine Hand angehalten! …«
»… um im Park der Familie de Vénérande einen als Amazone ausstaffierten Tiger zu jagen.«
»… unter Umgehung meiner Tante und aller Regeln der Etikette, Monsieur!«
»… Ich finde mich grotesk, Mademoiselle!«
»Ganz meine Meinung«, fügte Raoule philosophisch hinzu.
Baron de Raittolbe hielt inne. Einen Augenblick lang sahen sie sich an, dann lachten sie aus vollem Halse.
Mit neuem Mut ergriff der junge Mann die Hände der jungen Frau: Sie setzten sich auf einen Diwan im Gewächshaus, hinter sich eine Magnolie.
»Hören Sie, aufrichtige Liebe kann niemals grotesk sein. Raoule, ich liebe Sie aufrichtig.«
Er beugte sich vor. Seine Augen mit dem leicht spöttischen Blick wurden feucht, was von einer schlichten Anspannung der Gesichtsnerven herrührte, nicht von der Zärtlichkeit, die er ihr vorführen wollte, dann küsste er ihr alle Finger einzeln, wobei er zwischen jeder Liebkosung kurz innehielt.
»Raoule … ich habe Euch mein Herz dargebracht … ich werde nicht gehen, ohne es Ihnen wieder zu nehmen, und da es direkt neben dem Ihren liegt, hoffe ich, dass Ihr Euch irrt … zwei Jungmännerherzen, zwei Husarenherzen müssen doch vom gleichen Rot sein … gebt mir das Eure … behaltet das meine … In einem Monat jagen wir gemeinsam echte Löwen in einem wirklichen Afrika.«
»Ich schlage ein!« antwortete Raoule, und in ihrem düsteren Blick, der des Weinens nicht fähig war, lag schwermütige Trauer.
»Worin schlagen Sie ein? …«, fragte de Raittolbe beklommen.
Die junge Frau schob höchst würdevoll seine ausgestreckten Hände beiseite.
»Sie zum Geliebten zu nehmen, mein Lieber, Sie werden nicht der erste sein, und ich bin ein Ehrenmann! …«
»Wusste ich’s doch«, erwiderte de Raittolbe leise; »gerade denke ich, ich bete Sie an!«
Am Abend dinierte der junge Offizier im Hôtel de Vénérande. Tante Ermengarde gegenüber benahm er sich überaus ritterlich. Er erging sich in einer Tirade über die Frömmigkeit, die die Frau menschlichem Elend gegenüber blind macht und sie über die unreine Erde erhebt. Tante Ermengarde musste zugeben, dass die Husaren doch gute Kerle waren. Als er sich verabschiedete, flüsterte de Raittolbe etwas in Raoules Ohr.
»Ich warte …«
»Morgen«, murmelte sie, »Hotel Continental. Mein braunes Coupé wird gegen zehn Uhr morgens durch das linke Tor hereinrollen.«
»Das genügt mir.«
Und der Lebemann zog sich beruhigt zurück.
Das braune Coupé wurde am nächsten Tag auf zehn Uhr bestellt, und Raoule ließ sich mit fiebriger Freude in den Wagen fallen. So sollte es jetzt sein, das hatte sie sich geschworen, und da er letztlich besser war als die anderen, würde sie sich mit ihm vielleicht besser vergnügen. Sinnesverwirrung bedeutet nicht die höchste Entfaltung der Seele, und die Schönheit eines menschlichen Körpers ist nicht geeignet, den Wunsch zu erwecken, sich in ewigem Wahn an ihn zu binden.
Während sie ihre Handschuhe zuknöpfte, summte sie ein Liedchen. Das Coupéfenster spiegelte ihr Gesicht, ihre spitzenbesetzte Corsage stand ihr gut, sie genoss es, sich mit Wonne als Frau zu fühlen.
»Möchte