Der mitteleuropäische Reinigungskult. Bernhard Moshammer
Lebens, darüber, wie sie und Anton es vielleicht doch noch schaffen und miteinander in die ohnehin schon schwer angeschlagene Zukunft gehen könnten, wie diese Möglichkeit des Friedens, die Möglichkeit einer Insel der Freundschaft, die doch auf lange Sicht der romantischen Liebe bei Weitem überlegen war, in so unerreichbare Ferne gerückt war, machte sie still und traurig. Sie hatten es nicht geschafft, hatten es verbockt, hatten das Geschenk der Liebe abgelehnt, mit Füßen getreten, hatten nicht einmal Danke gesagt. Das tat ihr leid und da tat sie sich selbst leid. Und da, sosehr sie sich auch dagegen wehrte, tat ihr auch Anton leid.
Vor acht Jahren hatte sie einen Artikel von ihm gelesen. Er hatte eine seiner Lieblingsplatten aus den Neunzigern in Erinnerung gerufen: Blackacidevil von Danzig. Sie erinnerte sich noch, dass er die Tatsache, dass so gut wie jedes Signal auf dieser Aufnahme verzerrt war, gepriesen hatte. Dieses Album sei eine mystische Hochzeit, hatte er geschrieben. (Oder war es mythische Hochzeit?) Außerdem habe dieses Album Hans Tellar nachhaltig beeinflusst, dessen Arbeit er den Lesern ausdrücklich ans Herz lege.
»In einem abgedunkelten, schwülen Raum liegen Verzweiflung, Aggressivität und Schönheit miteinander im Bett und verschmelzen zu einem traurigen Monster.«
Dieser Satz hatte Barbara beeindruckt – und tatsächlich lernten sie sich noch am selben Abend in der Theaterkantine kennen, das konnte kein Zufall sein. Er war mit einem ihrer Kollegen bekannt und deswegen in der Vorstellung gewesen. Sie wurden einander vorgestellt, saßen am selben Tisch, tranken mehrere Runden Weißwein, ihr Gespräch war leicht, die Worte kamen von selbst, sie zwang ihn nicht, über das Theaterstück zu sprechen. Rückblickend würde sie das später einmal interessant finden, dass ausschließlich er, der Mann, mitsamt seiner Arbeit bei diesem ersten Aufeinandertreffen von ihr bewundert wurde, ihre kurz davor geleistete, ihr noch ins Gesicht gezeichnete hingegen nicht einmal erwähnt wurde. Wie auch immer, die Diskrepanz zwischen diesem Mann und dem von ihm Geschriebenen war so krass, dass Barbaras Interesse gleich noch viel größer wurde.
Sie sprach ihn also auf seine Kritik an. Seine Freude über ihr Feedback war authentisch und offen und provozierte wiederum ein Strahlen in ihrem Gesicht, ein für sie körperlich spürbares. Dass diesem freundlichen Sonnenschein eine solch offenbar dämonische, animalisch finstere und exzentrische Platte so viel bedeutete, eröffnete einen doch aufregenden und vielversprechenden Blick in seine Abgründe. (Dieselben Abgründe freilich, die sie ihm Jahre später vorhalten würde.)
»Ist dieser Danzig nicht so was wie ein Satanist?«, fragte sie, so unschuldig es ihr möglich war.
»Ich weiß nicht. Ich glaube, das ist nur ein eitles Spiel mit der Dunkelheit. Ich kann so etwas, ehrlich gesagt, nicht ernst nehmen.«
»Das heißt aber nicht, dass es nicht existiert oder praktiziert wird und auch gefährlich ist.«
»Nein, aber diese Gefährlichkeit macht doch einen erheblichen Teil des Reizes aus, oder? Die Negermusik der Fünfziger, das Sinistre und Unchristliche, das Spiel mit dem Höllenfeuer war doch genau, was die Leute schon damals cool und aufregend fanden. Der Bösewicht war immer schon der reizvollere Charakter. Warum sollte sich das geändert haben? Früher reichte eben ein Hüftschwung aus. Ein Schrei, lange Haare oder dunkle Haut. Heute muss man schon andere Kaliber auffahren, den Teufel höchstselbst bemühen, um den Leuten Angst zu machen.«
»Ich mag Dinge, die mir Angst machen.«
»Echt? Haha … Na siehst du …«
Spätestens jetzt, wo die große Verunsicherung einsetzte, war Anton klar geworden, dass sie hier am Flirten waren.
»Und was sind das für Dinge?«
»Weiß nicht. Sag du es mir.« Sie lächelte ihn an, wie ihn noch nie ein Mensch angelächelt hatte, da war es um ihn geschehen. Wäre das nicht passiert, hätte er sich wohl augenblicklich höflich verabschiedet, denn Gespräche dieser Art, die keine Gespräche waren, nur ein gegenseitiges Abchecken und Beschnuppern, ein Ausloten von Möglichkeiten und Grenzen, mochte er nicht. Nicht, weil er sie grundsätzlich ablehnte, sondern weil sie ihn in einen irrationalen, kindlichen, schwammigen Zustand zurückkatapultierten. Sie waren bodenlos, und ein fester Boden unter den Füßen war ihm ganz recht, das Gefühl von Gefährlichkeit in der Kunst ausreichend. Er schätzte Glenn Danzig, wollte aber nicht Glenn Danzig sein. Feuchte Fanträume, diesen doch überzogenen, wahrscheinlich psychopathischen Grad an Identifikation kannte er nicht. Mutig flüsterte er ihr ins Ohr: »In einem Lied singt er übrigens: I want to bathe in the danger of ourselves.«
Für die nächsten Minuten, vielleicht waren es auch nur Sekunden, vielleicht war es aber auch eine Stunde, lächelten sie sich nur an. Ein nettes Lächeln folgte auf ein vorsichtiges, ein schüchternes auf ein spontan ausbrechendes, ein gespieltes auf ein unverstelltes. Barbara verliebte sich in genau diese Unsicherheit, die, wie sie irgendwann sagen würde, im Bett mit der satanischen Gefahr zu dem von ihm erwähnten traurigen Monster werden konnte. Ja, die Zukunft war ein trauriges Monster, das spürte sie in diesem Moment, das war das Gefühl, von dem sie eingenommen wurde und von dem sie mehr wollte, jenes Gefühl, auf welchem sie den nächsten Morgen, die nächsten Wochen, ihr ganzes weiteres Leben aufbauen wollte. Jene ungeschützten Minuten des Lächelns hatten einen Raum eröffnet, einen für sie beide, einen für Barbara und Anton reservierten.
Und hätte der Kantinenbetreiber nicht wiederholt an die Sperrstunde erinnert, sie hätten wohl die ganze Nacht weiter gelächelt.
Nun aber hatte das traurige Monster sie eingeholt, seine Schwingen über sie gebreitet und harrte geduldig aus, wartete auf weitere Befehle. Seine Gefährlichkeit hatte es längst eingebüßt, sie hatten es gezähmt und zum faulen, bequemen, fett gewordenen Haustier degradiert.
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