Der mitteleuropäische Reinigungskult. Bernhard Moshammer

Der mitteleuropäische Reinigungskult - Bernhard Moshammer


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dass sie sich einem gewissen Machtgefühl von Mitbestimmung und Kontrolle selbstgefällig hingab und insgeheim von ihm verlangte, so zu schreiben, wie es ihren ganz persönlichen ästhetischen und inhaltlichen literarischen Maßstäben entsprach. Um einigermaßen frei und ungefiltert schreiben zu können, musste er sich also von ihrem Urteil lösen. Das funktionierte ganz gut, und auch Barbara begrüßte diese Entwicklung der Dinge, bald fragte sie ihn gar nicht mehr, woran er denn arbeite, offensichtlich fühlte auch sie sich entlastet und befreit.

      Das Schreiben war sein Ding, sein großer Bubentraum vom Astronauten gewissermaßen, nichts, worum sie sich kümmern musste, sie musste es also auch nicht würdigen oder fördern, für gut oder wertvoll befinden, sie musste gar nichts. Dieses von ihm anfänglich eingeforderte und geschätzte Desinteresse sah er jedoch in weiterer Folge immer wieder aufs Neue gegen ihn persönlich und seine Arbeit gerichtet. Ein auf Dauer ungesundes, selbstgerechtes Ringelspiel, das genau hier, zum exakten Zeitpunkt ihrer Kritik an seiner Rede ins Trudeln und schließlich zum Stoppen kam. In Gedanken ging er ihre Worte noch einmal durch, dann sprach er sie laut aus: »Der Anfang war also ok, der Hauptteil verbittert und der Schluss pathetisch.«

      »Ja.«

      »Das Einzige, was an deinem Urteil nicht stimmig ist, ist der Zusatz: aber gut.«

      »Nein, der Text war gut. Echt.«

      »Blödsinn.«

      »Na wenn dir das so lieber ist.«

      »Was soll daran gut gewesen sein, wenn Anfang, Mitte und Ende scheiße waren? Und findest du ganz im Ernst, dass mein Schwanz –«

      »Das hab ich doch gar nicht gesagt! Kannst du bitte weniger empfindlich sein? Du bist doch heute geehrt worden, du hast einen Preis gekriegt, standst erhoben im Scheinwerferlicht auf einer Bühne, die Leute haben applaudiert – was willst du noch? Muss ich dir als Zugabe sagen, dass dein Ding riesig ist und du in Wahrheit den Nobelpreis verdienst?«

      »Wow.«

      »Was?«

      »Nichts.«

      »Jetzt reiß dich zusammen, Anton! Dein Narzissmus nervt. Ich flippe auch nicht aus, nur weil du gesagt hast: ›Meine Kinder, die ich Gott sei Dank nicht habe.‹«

      »Wie bitte?«

      »Du hast mich genau verstanden.«

      »Aber –«

      »Ach, hau ab.«

      »Hau ab? Bitte sehr, ich bin schon weg.«

      Wütend machte er sich auf, das nächste Bier zu besorgen. Er hatte das alles satt. Auch Barbara. Sie tat gerade so, als ob sie die geborene Mutter wäre und er der unsensible Karrierist. Als ob nicht im Gegenteil sie selbst es gewesen war, die immer vom falschen Zeitpunkt gesprochen hatte, die den guten Lauf ihrer großen Theaterkarriere nicht unterbrechen wollte. Welchen guten Lauf?, fragte er sich dann im Stillen – und welche Karriere? Sie hantelte sich doch von einer frustrierenden Erfahrung zur nächsten, hätte jederzeit unterbrechen können, um etwas wirklich Bedeutendes wie ein Kind zu schaffen, aber bitte, das Theater, immer das Theater, wie er das hasste.

      Über Jahre war es nämlich so gelaufen: Wenn er mit dem Kindsthema angefangen hatte, weil eine Freundin oder Bekannte wieder einmal Mutter geworden war, endete es für gewöhnlich in einem Riesenstreit, und es hatte offenbar nichts mit ihm zu tun. Allein die biologische Möglichkeit der Mutterschaft löste eine dunkle Kette von Gefühlen, irrationalen Projektionen und Ängsten in ihr aus, die sie nicht im Griff hatte, die im Gegenteil die Kontrolle über sie und in weiterer Folge selbstverständlich auch über ihn hatten. Mag sein, dass ihre eigene Mutter die Schwangerschaft mit ihr verflucht oder sie nicht gestillt hatte, mag sein, dass ihre Kindheit freudlos gewesen war – was wusste er schon. Aber ihre Mutter war doch eigentlich ganz nett, die wäre doch sicher eine liebevolle, sich aufopfernde Oma, oder? Die würde sich über ein Enkelkind bestimmt total freuen, da war sich Anton ganz sicher. Oder täuschte er sich in der Frau? War es so schlimm um seine Menschenkenntnis bestellt? Ach was, die spinnt ja, sagte er sich jetzt. Immer schön die Toughe geben, immer schön in alle Richtungen austeilen, gesellschaftskritisch, feministisch, verbittert und zynisch sein, aber umkippen wie ein Kartenhaus, wenn ein süßes Kind vor ihr die Straße überquerte oder wenn er, Anton, einen doch wohl eindeutig literarisch motivierten Satz von sich gab. Und wie gern hätte er ihr ihre sogenannte Karriere vor die Füße geworfen. Wie gern hätte er ihr die harte Wahrheit als Spiegel vorgehalten. Er hielt diese Wahrheit in Händen, hatte sie immerzu vor Augen, drängte sie jedoch stets zur Seite und deckte sie zu. Um ihretwillen, um des Friedens willen, um nur ja die große Höllenpforte nicht zu öffnen. Nur so konnte das Friedensprojekt Liebe funktionieren, nur auf festem Lügengrund konnte menschliches Miteinander funktionieren, alles andere bedeutete Krieg, davon war Anton überzeugt.

      Das letzte Stück zum Beispiel, in dem sie gespielt hatte: Irgendein russischer Klassiker – war es Gogol oder Gorki? – in St. Pölten. Er saß mitten im Publikum, zwischen diesen St. Pöltner Abonnenten, hauptsächlich freundliche, dem Anlass entsprechend gekleidete und herausgeputzte, bürgerliche Pensionisten, und kämpfte sich mit ihnen durch die zweieinhalb Stunden wie durch ein trockenes Wüstenstück. Es war eine klassische Verwechslungskomödie und hätte demnach wohl sehr lustig sein sollen, allein keiner der immerhin dreihundert Zuschauer konnte dem behaupteten Humor folgen. Das Ganze war einfach nur hysterisch. Anton verbrüderte sich instinktiv mit den ihm fremden St. Pöltnern und respektierte ihre Ehrlichkeit. Das sogenannte Provinzpublikum war also nicht etwa blöd, kunstfeindlich oder bloß altmodisch, nein, es war offen für Neues – warum sonst hätte es ein Theater-Abo erworben? –, und schlicht und ergreifend ehrlich. Wie Kinder. Das forderte seinen Respekt ein. Wo das kunstaffine Wiener Publikum in die Knie gegangen wäre, den Abend für total geil befunden, aus Prinzip gelacht und gejubelt hätte, weil es sich nicht die Blöße geben wollte, den Humor des Theatermachers nicht zu verstehen oder seine politischen Metaphern und Anspielungen nicht zu erkennen, war das provinzielle Publikum selbstbewusst und direkt in seinen Reaktionen. Ein Witz war immer noch ein Witz und was sie hier geboten bekamen, war nun einmal nicht witzig.

      Und so reagierten sie eben gar nicht, verharrten in ihren unbequemen Stühlen, lediglich ein paar gutturale Kicherlaute erhoben sich neben dem üblichen Hüsteln von Zeit zu Zeit aus der Stille des Zuschauerraums. Die hier versammelten Menschen hatten sich ohne Worte geeinigt, diesen nächsten krampfhaft bemühten Kunstangriff, der ihnen wieder einmal keine Geschichte erzählte, sondern nur die nächste krampfhaft bemühte Welt- und Gegenwartserklärung vorhielt, einfach auszusitzen. Anton überlegte währenddessen ebenso krampfhaft bemüht, wie verdammt noch mal er sich nach der Vorstellung verhalten sollte. Natürlich würde er Barbara und ihren Kollegen gratulieren, natürlich würde er ihr später sagen, dass sie die Beste war, die Talentierteste der Truppe, dass es eine Frechheit sei, dass sie hier in St. Pölten spielen müsse und nicht im Burgtheater oder in Berlin mit den ersten Regisseuren arbeite und gefeiert werde.

      Dass Barbara dieses Spiel bewusst spielte – mit ihm und er mit ihr, über so viele Jahre hindurch! –, war so lächerlich verlogen und würdelos, dass er kotzen mochte, nicht nur im Theater, auch zuhause, nicht nur nach den Vorstellungen, sondern immerzu, jeden Tag, hier und jetzt.

      Aufgebracht reihte er sich in die Schlange vor der Bar ein und blickte zurück auf Barbara, auf sein Mädchen, seine Frau, seine Gefährtin, seine Liebe. Das war sie doch. Sie gehörte zu ihm, wie er zu ihr gehörte, das war unbestritten. Sie war seine große Liebe, oder? Die Schauspielerin, auf die er doch auch stolz war. Auch das war die Wahrheit.

      Sie unterhielt sich schon wieder ganz locker mit so einem Hipster mit stylisch gepflegtem Vollbart, lachte laut und hatte wie immer kein Problem mit Situationen wie dieser, hatte das fürchterliche Gesagte umgehend wieder vergessen und eine Sekunde später weitergemacht, wohingegen Anton sich fragte, wie es so weit hatte kommen können, sofort das Ende ihrer Beziehung vor sich sah, sich allein gelassen fühlte und seine oder besser ihre gemeinsame, ja die gesamte Zukunft infrage stellte. Ihr Lachen beleidigte ihn. Wie konnte sie ihn so wegwerfen, beiseiteschieben, sich dem Nächstbesten an den Hals werfen und lachen? Also holte er sich eine neue Flasche Ottakringer Helles, trank sie halb leer und ging wieder zurück, packte sie am Oberarm,


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