Der mitteleuropäische Reinigungskult. Bernhard Moshammer

Der mitteleuropäische Reinigungskult - Bernhard Moshammer


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hatte wie an andere Naturphänomene wie die unerträglich heißen Sommer, Pollenallergien oder seine nicht mehr zu kaschierende Glatze. Barbara war einfach so, ließ alles an ihm aus, missbrauchte seine Gutmütigkeit, war stets genervt von seiner positiven, naiven Grundhaltung. Die Welt sei nicht mehr als eine Kloake, sagte sie gern, der Mensch der Abschaum der Evolution, wohingegen er, der personifizierte Sonnenschein, das ewige Kindsgemüt, das morgendliche Erwachen bereits als Geschenk betrachtete. So sah sie ihn. Freilich waren das nur ihre immer wiederkehrenden Worte, Anton nahm sich selbst ganz anders wahr. Hier aber, in diesem gestelzten Biotop der urbanen Coolness, die doch nicht mehr als eine arrogante Behauptung war, hatte er sich ihrem Naturell aufs Selbstverständlichste angenähert, hier bedurfte es ihrer Härte, um auf Distanz bleiben zu können.

      Barbara war immer schon so gewesen, aber des einen Schwäche ist des anderen Halt, und so hatte Anton von ihrer augenscheinlichen Herzlosigkeit auch immer profitiert, ihre Kälte war ihm Erleichterung, ihr Abstand gab ihm Freiraum. Was auch immer sie in ihrer Entwicklung geprägt hatte, die anarchistische Idealistin schien sie ausgelassen und sich schon in jungen Jahren für die vielleicht nicht gerade bürgerliche, auf jeden Fall aber gefestigte Zynikerin entschieden zu haben, auch wenn sie gleichzeitig stets ums Gegenteil bemüht war.

      Wie jeder Mensch mittleren Alters hatte sie sich längst an ihre Haltung gewöhnt, es sich in ihr gemütlich gemacht und sich selbst davon überzeugt, dass sie ihr angeboren war, dass diese Haltung die ihr einzig mögliche war, also ihrer wahren Natur entsprach. Sie erstaunte Anton täglich aufs Neue, denn freilich wollte sie ihrem Milieu entsprechend liberal, weltoffen und modern sein. Ihr Wesen war jedoch wirr, flexibel und unentschieden, zu komplex, um es durchschauen zu können, was Anton wiederum faszinierte.

      Ach ja, Barbara war Schauspielerin.

      »Alles ok?«

      »Nein«, grummelte sie. Anton ging nicht darauf ein, ihn kümmerte momentan nur seine eigene Befindlichkeit. Immerhin hatte er gerade einen Preis gekriegt, das sollte doch auch gewürdigt werden, oder?

      »Mir geht das alles auf den Sack«, sagte er. »Wollen wir abhauen?«

      »Nein, ich will hierbleiben und trinken, ich stehe hier seit zehn Minuten an.«

      »Okay, Schatz. Nimmst du mir ein Bier mit?«

      »Muss man hier fürs Saufen etwa bezahlen?«

      »Natürlich nicht.«

      Wieder tauchte sie ab in ihr Handy. Anton wurde sogleich von einer jungen Sängerin vereinnahmt, einem blondierten, pummeligen Mädchen in einem viel zu engen, schwarzen Kleid und bunten Vans. Sie war fast stoisch. Wortlos, nur mit einem Nicken, nahm sie Kontakt auf. Ihr Kiefer war mit einem übermäßig großen Kaugummi beschäftigt. Die tiefroten Lippen wirkten wie eine sich bewegende Maraschinokirsche auf einem festen Muffin aus dunkler, hochprozentiger Schokolade.

      »Ich mochte Ihre Rede.«

      Sie siezte ihn, was zum Gefühl dieses Abends passte, ihm aber aus irgendeinem Grund auch sympathisch war. Es war, wie er dachte, nur angemessen. Ihr Lächeln wirkte ernst gemeint und authentisch. Anton schätzte ihre Höflichkeit, dieses Gegenteil von Coolness und Arroganz, fühlte sich aber augenblicklich auch um ein paar weitere Jahre gealtert.

      »Danke.«

      »Man hat Ihre Leidenschaft gespürt, das ist in einem Umfeld wie diesem, das pausenlos von Dedication und Passion labert, ziemlich bemerkenswert.«

      »Danke, das ist sehr nett«, fühlte er sich bestätigt.

      »Ich meine es ernst.«

      »Ja klar, also … das, äh, freut mich. Sie haben übrigens gut gesungen. Nicht ganz meine Musik, aber Sie waren richtig gut. Wie war noch mal Ihr Name?«

      »Anna.«

      »Ah ja, genau. Anna. Ich bin Anton.«

      »Okay. Wollte ich nur gesagt haben.«

      Anton nickte verlegen, die Sängerin zog weiter. Herrje, dachte er, was für ein sinnloses Gespräch! Hatte er etwas Falsches gesagt? Oder Mundgeruch? Eine Grenze überschritten? Hatte er sie, die natürlich seine Tochter sein könnte, etwa komisch angestarrt wie ein schamloser, verzweifelter, perverser, alter Sack, der er in gewisser Weise zweifelsohne auch war? Er war nicht geschaffen für so etwas, für solche Veranstaltungen, hatte kein Talent für die Kunst der spontanen Konversation. Selbst der Gesellschaft dieser netten jungen Frau, an der überhaupt nichts auszusetzen war und die ihm die offenherzigste Höflichkeit entgegengebracht hatte, vermochte er sich nicht anzupassen. Was war eigentlich sein Problem? Er wusste es nicht, er wollte einfach nur weg, runter von dieser verlängerten Bühne, diesem eitlen Eislaufplatz der Eitelkeiten, auf welchem der reinste Infantilismus herrschte, entfliehen. Wenn wenigstens Hans hier wäre, aber der war bestimmt am Witwentrösten. Da kam Barbara mit zwei Flaschen Bier.

      »Die haben nur Ottakringer.«

      »Ja, sicher. Das ist einer der Hauptsponsoren.«

      »Es ist einfach nicht gut.«

      »Wieso?«

      »Es schmeckt grauslich.«

      »Blödsinn, es ist einfach … ein Ottakringer.«

      »Ja, eben. Es ist schlecht.«

      »Findest du? Ich mag es eigentlich recht gern.«

      »Natürlich, weil du es gar nicht hinterfragst.«

      »Aber warum sollte ich mein Bier hinterfragen?«

      »Weil das denkende Stadtbewohner nun einmal tun.«

      »Denkende Stadtbewohner?«

      »Das Gesöff ist nichts wert, Anton.«

      »Du spinnst ja.«

      »Es ist ekelhaft.«

      »Es ist aus Ottakring!«

      »Na und? Es schmeckt nach nichts.«

      »Das stimmt nicht, das ist definitiv falsch. Du trinkst es doch auch.«

      »Mir ist nichts anderes eingefallen, ich hatte Lust auf Bier und die hatten kein ordentliches.«

      »Hör auf.«

      »Sei ehrlich, es ist langweilig, geschmacklos, fahl.«

      »Blödsinn. Jetzt sei kein Schnösel, Babs. Das sagen nur diese Schnösel hier, all die Artists und VIPs finden das Ottakringer minderwertig, dabei ist es ein ganz normales, anständiges Wiener Bier. Die zahlen lieber das Doppelte für ein Budweiser oder saufen irgendein wirklich schrottiges Gebräu, weil sie das dann schön proletarisch oder antikapitalistisch dastehen lässt. Das ist so verlogen und heuchlerisch, ich hasse das alles. Prost.« Demonstrativ trank er die ganze Flasche leer.

      »Wer war die Kleine?«

      »So eine Sängerin. Anna. Ist vorhin bei der Show aufgetreten. Hast du sie nicht gesehen?«

      »Ich hab, ehrlich gesagt, nicht so aufgepasst.«

      »Hast du mich gesehen?«

      »Ja, sicher.«

      »Und? Hast du aufgepasst?«

      »Na ja. Der Anfang war ok, das mit Zappa und so, da konnte man dir nicht widersprechen, der Hauptteil aber wirkte recht verbittert und der Schluss ein bisschen pathetisch. Aber insgesamt gut. Ach ja, das mit dem kleinen Schwanz war mutig und witzig.«

      Das war typisch Barbara. Eiskalt und pointiert. Mittlerweile gab er ihr die Sachen, die er schrieb, gar nicht mehr zum Lesen. Sie hatte ein gnadenloses Gespür für seine Fehler und Mängel, und kein Problem damit – so wie er es sah, schien es ihr eine geradezu böswillige Lust zu bereiten –, ihn ohne Umschweife auf diese hinzuweisen. Wahrscheinlich war sie ihm ein richtig gutes Korrektiv, womöglich genau das, was er brauchte, aber er konnte sich nicht helfen, alles, was sie sagte, empfand er als unqualifizierte Kritik an seiner Person. Als unheilvolle Mischung aus Persönlichem und Beruflichem. Nicht, dass er unprofessionell war, aber ihr Verhältnis war eben privater, ursprünglich


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