Der mitteleuropäische Reinigungskult. Bernhard Moshammer

Der mitteleuropäische Reinigungskult - Bernhard Moshammer


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ich eigentlich hier, du weißt schon …« Und weg war er.

      Hans hatte recht. Hier ging es um nichts, um gar nichts, nur um Karrieren. Zwischen Anton und dieser Welt hier tat sich ein Spalt auf, eine nicht mehr überwindbare Kluft, ein Riss im Eis, das früher ewig, mittlerweile aber zum Schmelzen verurteilt war. Alles war nur eine Frage der Zeit, und das Ende vorprogrammiert. Den Jungen schien ihre Sprache angeboren zu sein, all die Übriggebliebenen seiner eigenen Generation jedoch, die auf den guten, alten Rock ’n’ Roll Verweisenden und auf ihre persönliche Relevanz Bestehenden erschienen ihm lächerlich. Sie waren nicht Hans. Zwar war ihm gerade aufgefallen, dass, wenn er mit Hans sprach, eine ganze Menge an Fäkalbegriffen gewechselt wurde, was womöglich einem Außenstehenden ebenso lächerlich oder männlich überzogen erscheinen mochte, aber, nun ja, so war das eben – sie biederten sich wenigstens niemandem an. Den alten Typen hier bei der traditionell fragwürdigen Award-Show aber konnte ihre Sprache nicht abhandengekommen sein, sie mussten sie bewusst unterdrücken oder modifizieren, um auf diesem Parkett einigermaßen mittanzen zu können. Ihre Lächerlichkeit war ihnen wohl nicht bewusst.

      Dass einer mehr sein, etwas Größeres darstellen wollte, als er war, war ja noch verständlich, aber seine sprachlichen Grundfertigkeiten unter den Scheffel zu stellen, um den AGBs einer dämlichen, in klein geschriebenen Abkürzungen kommunizierenden VIP-WhatsApp-Gruppe zu entsprechen, leuchtete Anton nicht ein. Sicher, es sollte ihm egal sein, sollte keine Rolle spielen, er sollte über diesen Dingen stehen. Tat er aber nicht. Insgeheim ärgerte er sich über sich selbst, ärgerte sich über die Tatsache, dass er sich ärgerte, dass das Auftreten dieser Buben und Mädchen ihn störte und provozierte. Er empfand es als gegen ihn persönlich gerichtet. Er wusste, dass das unsinnig, vermutlich verrückt war. Es war kein gutes, ein von einer Mischung aus Neid und Mangel an Selbstvertrauen erfülltes Gefühl, das sich da in ihm ausbreitete, von der Magengrube ausgehend durch sein Gehirn und die Kopfhaut, durch die Haarwurzeln nach außen drang und eine Art Glocke oder Kuppel über ihn stülpte, die ihn absonderte und ihn sich fehl am Platz fühlen ließ. Hans hatte ihn nicht beruhigt, er hatte sein Gefühl nur intensiviert, auf den Punkt gebracht.

      Anton und seine Rede dienten den noch nicht besoffenen, also verunsicherten, um Kontakt und Gesprächsstoff bemühten Partygästen als Konversations- oder Diskursfläche. Im Grunde war die CD-Frage nicht mehr als ein probater Gesprächseinstieg. Ernst zu nehmende Pros oder Kontras mag es gegeben haben, Antons Ohr erreichten sie nicht. Die CD, so schien es, war freilich Geschichte. Er selbst sagte nichts, kein Wort der Rechtfertigung oder Relativierung fiel von seinen Lippen, dennoch fühlte er sich missverstanden, geradezu unverstanden, ein Zustand, der ihm beinahe zur Heimat geworden war.

      Im Grunde war ihm das Thema auch egal. Vielleicht hatte es tatsächlich mit Sprache zu tun, mit der von ihm gewählten, nein, seiner ihm natürlichen, einer möglicherweise altmodischen, herkömmlichen und unzeitgemäßen Sprache, er wusste es nicht. Er wusste auch nicht, dass es genau dieses Gefühl des Unverstandenseins war, das ihm eine paradoxe Befriedigung verschaffte. Er suchte dieses Gefühl, es gab ihm Sicherheit, und selbstverständlich fand er es auch stets verlässlich. Er war kein Mobbingopfer, nicht das Ziel einer perfiden Ausgrenzung, er war vielmehr ihr Initiator. Die Handlungen, die er setzte, die Meinungen, die er vertrat, die Sprache, die er sprach – alles, er selbst, sein Effekt auf die Welt provozierte seine Einzelstellung. In ihr fühlte er sich wohl und losgelöst, gleichsam verloren.

      Er beobachtete einen ungefähr Fünfzigjährigen mit grauem Vollbart und ebenso grauem Bun auf dem Scheitel – er wollte wohl wie Bale, der walisische Fußballer, aussehen, dachte Anton, außerdem schien ihm sehr daran gelegen, seine wahrscheinlich um fünfundzwanzig Jahre jüngere, ziemlich herausgeputzte Gesprächspartnerin zu beeindrucken, das war allein seiner lässigen Körperhaltung und seinem aufgesetzten Dauergrinsen abzulesen. Sein Bemühen um eine abgebrühte, aber auch über den Dingen stehende, Gelassenheit ausstrahlende Wirkung war offensichtlich. Anton erkannte die junge Frau wieder, sie hatte bei der Show gesungen, sehr mädchenhaft introvertiert, mit mehr Luft als Stimme, und antipatriarchalische Floskeln gesäuselt, wenn er sich richtig erinnerte. Ja, er hatte noch gedacht, diese Mischung aus sexy Lolita und feministischer Drohgebärde sei irgendwie unpassend, wenn auch gefeierter Ausdruck des vorherrschenden Zeitgeists. Er machte ein paar Schritte auf die beiden zu, um sie zu belauschen. Natürlich war der Typ Musiker oder Produzent oder Head of irgendwas.

      »Da ist so etwas Altes, Archetypisches an dir, ich weiß nicht, ob dir das bewusst ist. Versteh mich nicht falsch, das ist natürlich ein Kompliment. Du bist eine zum Singen Geborene. In deiner Stimme ist so was Rohes, wenn auch Feines, Smoothes versteckt, etwas Nikotinhaltiges, aber so natürlich und unverfälscht, etwas, das die großen Sängerinnen der Fünfzigerjahre hatten, verstehst du? In deiner Stimme ist viel zu viel Leben für dein Alter … deine Seele muss uralt sein.«

      Die Kleine kicherte.

      »Hast du eigentlich Jazz studiert? Du klingst wie eine, die den Jazz atmet, ihn aufgesogen und voll drauf hat, aber ihre Skills nicht wirklich preisgeben will, weißt du, was ich meine?«

      »Ich glaube schon.«

      »Ich glaube, du weißt genau, was ich meine. Deine Präsenz ist einfach unglaublich. Da oben auf der Bühne – und auch hier, wenn ich ehrlich sein darf. Du erfüllst gewissermaßen den ganzen Raum, jeden Raum, wie ich annehme. Das ist eine Gabe, ein Geschenk, eine Superkraft, die du nutzen solltest. Die du nutzen musst! Alles andere wäre unverantwortlich. Du hast das Zeug zur Heldin, verstehst du?«

      »Echt?«

      »Ja, klar«, lächelte der Mann und nahm einen Schluck Bier, ohne sein Lächeln zu beenden, was im Grunde unmöglich war, dachte Anton, vielleicht war es eine Nebenwirkung seines die Blutgefäße im Penis entspannenden Präparats, mit der er mittlerweile gelernt hatte umzugehen. Anton versuchte es selbst, das Bier rann ihm übers Kinn, er wischte schnell darüber, blickte nach rechts und links, keiner schien ihn gesehen zu haben.

      »Wie die Callas«, setzte der Typ nach. »Nein, Sarah Vaughan. Oder Nina Simone.«

      »Oh, ich liebe Nina Simone. It’s a new day, it’s a new life …«

      »Yeah! Das verstehe ich, sie war zweifelsohne fantastisch, auch wenn ihr Klavierspiel ziemlich überbewertet ist, findest du nicht?«

      »Äh … ich weiß nicht.«

      Die Kleine zwirbelte ihre Locken zwischen den Fingern und stakste verlegen von einem High Heel auf den andern. Anton dachte, die Arme sollte erlöst werden, aber selbstverständlich nicht von ihm, Gott bewahre – aus dieser Spirale musste sie sich schon selbst rauswinden. Hier hatte sie ihr Patriarchat, und was tat sie? Ließ sich einlullen. Der Alte fuhr lächelnd fort.

      »Nina war dann doch zu wenig, wie soll ich sagen, konzentriert. Irgendetwas schien zwischen ihren Fingern und den Tasten des Klaviers zu hängen. Eine Ebene, die sie nicht durchbrechen konnte, eine gewisse Hemmung, vielleicht waren es auch nur die scheiß Drogen. Wahrscheinlich. Letztendlich muss man sagen, die Frau war einfach verrückt, ein armseliger Junkie, oder?«

      »Hm …«

      »Apropos – ewig schade um Amy, was?«

      »Ja, voll. Amy war genial.«

      »Und Whitney erst …«

      Anton hatte genug gehört. Am liebsten hätte er dem Typ seine Bierflasche zwischen die Zähne gerammt, gleichzeitig bewunderte er ihn für seine, nun ja, Lockerheit, seine Grenzenlosigkeit oder seinen Mut, was immer es war, das er hatte, und ihm, Anton, fehlte.

      Als er Barbara endlich erblickte, glaubte er augenblicklich an Engelserscheinungen. Sie stand in einem, wie er fand, sehr hübschen, grauen, eng anliegenden Kleid und mit angestrengtem Blick, wahrscheinlich hatte sie ihre Brille nicht dabei, in ihr Smartphone vertieft, in einer Schlange an der Bar. Erleichtert wackelte er auf sie zu, hielt inne. Er mochte es, wenn sie sich unbeobachtet und sicher wähnte. Ihr Parfüm hatte eine augenblicklich beruhigende Wirkung auf ihn, er berührte ihre Schulter, küsste sie auf die Wange, die sie ihm roboterhaft entgegenhielt, damit er ihr den Lippenstift nicht versaute, und sagte: »Gott sei Dank, du bist meine Rettung.«

      Sie schenkte ihm einen


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