Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
mit unseren Eschenholzskiern und Haselnußstöcken den tief verschneiten Holzabfuhrweg in Richtung Fischbachau hinabfuhren! Übrigens, betrachtete man die Berge ringsum, gleichgültig ob das Wendelsteinmassiv im Süden oder die Bayrischzeller Berge und das Spitzinggebiet im Westen und Norden, dann wurde man sich sehr schnell bewußt: Der Rhonberg war kein Berg wie seine Brüder ringsum, ja nicht einmal ein richtiger Vorberg, sondern eigentlich nur ein großer, dichtbewaldeter Höhenzug, ein stattlicher, langgestreckter Waldhügel. Aber Harald und mein Bruder als Pächter und ich als oftmaliger Jagdgast mit freier Büchse liebten ihn, jedesmal wenn wir wieder in der Hütte eintrafen, mehr.
Als kleine, doch nicht zu unterschätzende „Schattenseite“ erwies sich alsbald der alte Jagdaufseher, den die beiden laut Vertrag für die noch laufende Pachtzeit hatten übernehmen müssen. Jeder Bergjäger weiß, von welcher Bedeutung ein gutes Verhältnis zwischen Jagdherrn, Jagdgästen und dem das Revier betreuenden Berufsjäger sowohl draußen im Wald wie auch ganz besonders drinnen in der Hütte ist. Eine solche Verbindung, ja Freundschaft ergibt sich in der Regel von selbst, dafür sorgt schon der erhabene, stille Bereich, in dem man sich bewegt. Ich glaube, ohne Übertreibung sagen zu dürfen, daß weder mein Bruder noch ich noch unser Freund Harald – mit ihm auf schlechtem Fuß zu stehen, war ohnehin undenkbar – auch nur einen einzigen Berufsjäger kannten, mit dem wir nicht mehr oder minder gern wieder auf die Pirsch gegangen oder abends in der Hütte am knisternden Herd beisammengesessen wären. Nur zu diesem einen führte kein rechter Weg. Ob es unsere oder seine Schuld war, soll hier gar nicht erst untersucht werden. Man kann auch nicht behaupten, der mürrische Sonderling hätte seine Pflichten als Jagdaufseher – er war kein geprüfter Berufsjäger – wesentlich vernachlässigt. Wir paßten einfach nicht zusammen, man begegnete sich nur, wenn es unumgänglich notwendig war, und ich erinnere mich an keinen einzigen gemütlichen Hüttenabend mit ihm.
Trotzdem fanden wir uns auch so am Rhonberg bald zurecht, und das, obwohl wir alle drei zur damaligen Zeit noch nicht über eine allzu große Erfahrung im Bergrevier verfügten. Wer ein paar Hirsche und Gamsböcke geschossen hat, ist deshalb noch lange kein hirschgerechter Bergjäger. Aus diesem Grund war die fehlende Verbindung mit der „vertraglich übernommenen Schattenseite“ doppelt bedauerlich.
Wie es in solchen Fällen oftmals geschieht, ergab sich auch am Rhonberg gleich im ersten Jagdjahr ganz von selbst und ohne besondere Abreden eine erfreuliche und allseits befriedigende Reviereinteilung.
Harald, der älteste von uns dreien, erkor sich schon bald den „Hochgraben“ als sein Leibgehege. Dieser war ein wunderschöner, ruhiger Waldkessel, mit einigen großen Schlägen und herrlicher Sicht. Was nicht weniger wichtig war, er ließ sich von der Hütte aus auf ziemlich bequemem und ebenem Weg in ungefähr einer halben Stunde erreichen. Wer den „Hochgraben“ damals selbst gesehen hat, der hätte leicht glauben können, Harald hätte von dort im Lauf der vier oder fünf Jahre, in denen er ihn bejagte, so manchen guten Hirsch oder Rehbock „liefern“ müssen. Dem war aber nicht so. Viele Plätze, die auf Anhieb als besonders „g’fangig“ ins Auge stechen, täuschen und halten nicht das, was sie versprechen. So auch der „Hochgraben“. Wie oft kam Harald spät abends zur Hütte zurück, hängte Büchse und Hut an den Holzhaken und sagte nur „nichts gesehen“! Doch kein einziges Mal sah ich, daß er ein finsteres oder unzufriedenes Gesicht dabei machte. Wenn er Anblick hatte, war er restlos glücklich, gleich, ob es eine Rehgeiß, ein Fuchs, manchmal ein Tier mit Kalb – oder auch nur ein Waldkauz war, dem er auf dem Heimweg begegnete. Seine Jagdbeute, die er in der doch ziemlich langen Zeit heimbrachte, an einer Hand abzuzählen, wäre ein müßiges Unterfangen, sie hätte zu viele Finger! Den einzigen guten Rehbock schoß er im Juni unten in den Leitzachwiesen. Ich hatte ihn ausgemacht und, da er beim Abendansitz schwer zu haben war, Harald zu einer Frühpirsch von der Hütte ins Tal hinab überredet. Wie froh war ich, daß die Unternehmung, die lang vor Tau und Tag beginnen mußte, geradezu glänzend gelang!
Eines Septemberabends kam Harald nicht zur gewohnten Zeit vom „Hochgraben“ zurück. Mein Bruder und ich waren, obwohl wir einen viel weiteren Heimweg hatten, schon eine ganze Weile in der Hütte. Harald kam nicht. Draußen war es längst stockfinster. Mit wachsender Besorgnis schauten wir auf die Uhr und waren schon fast daran, zur Suche aufzubrechen, als wir ihn draußen vor der Hütte poltern hörten. Die Tür flog auf, im Rahmen stand Harald mit undefinierbarem, beinahe verstört wirkendem Gesicht – einen Fichtenbruch auf dem Hut! „Du hast was geschossen?“ riefen wir wie aus einem Mund. „Ja, einen Achterhirsch!“ Der glückliche Jäger stand noch so stark unter dem Eindruck des Erfolgs, daß seine todernste Miene beinahe komisch war.
Sofort brachen wir zum Ort der Tat auf. Da der Weg nicht weit war, beschlossen wir, den Hirsch noch zu bergen und zur Hütte zu liefern. Es war ein im Wildbret starker, ungefähr siebenjähriger Achter von mittelmäßigem, aber nicht unschönem Geweih, ein echter, karger Berghirsch. Er war suchend durch den Hochgraben gezogen, wobei ihn Haralds saubere Kugel ereilte. Die Freude kannte einfach keine Grenzen!
Viele, viele Jahre später besuchte ich Harald in Bad Aussee. Er hatte inzwischen viel und in manchen Erdteilen gejagt, und begehrenswerte Jagdtrophäen hingen in seinem schönen Haus. Ich suchte aber nur eine, fand sie schnell und blieb vor ihr stehen: dem „Achter vom Hochgraben“! Wie lange war das her, zehn Jahre, zwanzig oder gar dreißig? Ich las die Aufschrift auf der Hirnschale. Dann stand ich lange vor dem kargen Fünfpfundgeweih, in Gedanken vertieft. Es fiel mir auf, daß es auf einem besonders hübschen Schild montiert war. Erst nach einer Weile sagte Harald in seiner unbeschreiblich netten, ruhigen Art: „Du hast schon recht, auch mir ist er heute noch von allen bei weitem der liebste!“ Dabei hingen um ihn herum nicht wenige von der Steiermark, den Karpaten und vielleicht noch von weiter her, stolz an der weißen Wand, die an Gewicht und Punkten ihn alle gut um das Dreifache und mehr übertrafen, den schlichten Achter vom „Hochgraben“, vom Rhonbergrevier bei Fischbachau.
Mir selbst war der entlegene Revierteil „am Kobel“ vorbehalten. Doch darüber wird später noch ausführlich zu berichten sein.
Die zwei jagdbaren Hirsche pro Jahr standen natürlich den zwei Pächtern, Harald und meinem Bruder zu. Geschossen wurden sie nie, sie standen praktisch nur auf dem Papier – und im Winter an der Fütterung! Das freute uns zwar sehr, aber ansonsten glänzten sie zumeist durch Abwesenheit. Mein Bruder bevorzugte im Herbst die westliche Schmalseite des Rhonberges für seine jagdliche Tätigkeit, und das mit einer Ausdauer, welche diejenige Haralds am „Hochgraben“ beinahe noch übertraf. Das hatte aber auch einen besonderen Grund, und mit der Stelle, die er immer wieder mit an Verbissenheit grenzender Unverdrossenheit und Zuversicht aufsuchte, eine ganz besondere Bewandtnis.
Wenn ich heute an dem Platz stehe – das kommt zuweilen vor, denn mein Wohnsitz am Tegernsee ist nur fünfzehn Kilometer davon entfernt –, dann mag ich es kaum glauben, und es will mir einfach nicht mehr in den Kopf hinein, daß hier mein Bruder damals viele Morgen auf jenen Hirsch gelauert hat, von dem ich jetzt so einiges berichten will. Doch ich war selbst einige Male mit dabei und irre mich nicht: Es war fast genau da, wo heute die große, supermoderne Straßenkreuzung außerhalb des Ortes Neuhaus bei Schliersee das Haupteinfallstor in die bekannten, von München aus am schnellsten zu erreichenden Skigebiete bildet: Rechts Spitzing-Suttengebiet, geradeaus Bayrischzell, Sudelfeld, und wie sie alle heißen.
Abertausende von Autos ergießen sich jedes Wochenende aus der Großstadt in diese Gegend. Wer dort einen richtigen Autostau selbst erlebt oder auch nur mit eigenen Augen gesehen hat, und ein solcher ereignet sich beileibe nicht selten, der hat einen Vorgeschmack vom Skiwochenende von heute.
Aber nicht nur vom eigenen Auto ist der Skifahrer aus der Großstadt, der da draußen auf vierundzwanzig Stunden Erholung hofft, gefangen. Er ist weiter ein Gefangener der Bergbahn, des Skilifts – wie lange dauert es, zwei Stunden oder drei, bis man an der Reihe ist – und dann vor allem der Piste! Ein Gefesselter, nicht zuletzt auch an die Ungetüme seiner Skistiefel, natürlich dem letzten Schrei der Industrie, mit denen aber ein vernünftiger Mensch keine zwanzig Meter weit normal gehen kann. Doch das braucht man ja auch nicht mehr!
Zu meiner Zeit gab es auch gute Skistiefel, die waren noch aus Leder gemacht. Man konnte mit ihnen aufsteigen – das Wichtigste und Erholsamste von allem – man konnte abfahren, ohne Scheu richtig gehen und abends sogar tanzen!