Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
dem Rudel längst im Nachbarrevier, meldete eifrig und verschwieg ums Tagwerden. Mein Bruder, bar jeder Hoffnung und Erwartung, blieb trotzdem in seinem Durchlaß sitzen. Der heraufziehende Tag versprach ein besonders schöner zu werden, zum Heimgehen noch viel zu früh. Da bleibt man gern noch ein Weilchen sitzen und hängt seinen Gedanken und Träumen nach.
Wie muß da der besinnliche Jäger im Bahndurchlaß zusammengefahren sein, als urplötzlich ein markerschütternder Donnerschrei in den runden Steinbogen hereindröhnte! Beinahe hätte er vor Schreck die dicht neben ihm lehnende Büchse umgestoßen, denn als er den Kopf hob und hinausschaute, stand da, auf kaum vierzig Meter und schon bei recht leidlichem Büchsenlicht der Aurachhirsch und schrie, daß die Erde erbebte. Mächtig hoch, so berichtete mein Bruder später, steilte das enge Korbgeweih mit den armdicken Stangen, deren weiße Spitzen sich oben fast berührten, in die Höhe.
Trotz Schreck und Erregung faßte er sich und fuhr langsam, ohne gefährliche Hast mit der Büchse auf: Aber, o weh, der Gespensterhirsch war im Okular des Zielfernrohrs nicht sichtbar! Kein Wunder, die beiden Linsen waren vom kalten Morgendunst beschlagen. Zwei Wischer mit dem Daumen, ein alter Trick, hätten wahrscheinlich genügt. Was aber tat der Jäger im Bahndurchlaß? Er zog sein blütenweißes Taschentuch aus der Hosentasche und begann damit, die Linsen vom lästigen Morgentau zu befreien. Das natürlich ließ sich der Aurachhirsch nicht mehr gefallen: Mit ein paar mächtigen Fluchten war er über Bahngleis, Straße und Aurachbach hinweggesetzt. Und als der verzweifelte Jäger, die Büchse in der Hand, aus dem Durchlaß sprang, war der Spuk längst entschwunden – aus der Traum!
Was den Hirsch zu diesem ungewöhnlichen Auftritt veranlaßt hatte, wurde nie ergründet. In der Brunft gibt es viele Möglichkeiten. Unsere Falläpfel vom Fischerbauern werden vermutlich nicht viel dazu beigetragen haben!
Als ein völlig gebrochener Weidmann kam mein Bruder an jenem Oktobermorgen zur Hütte zurück. Alle Bemühungen Haralds, ihn mit einem schmackhaften Frühstück zu trösten, blieben vergeblich. „War das ein Hirsch! Bin ich ein Esel!“ Mehr war zunächst nicht aus ihm herauszukriegen. Erst später erzählte er uns den genauen Hergang der großen Tragödie.
Der alte Sechser aber erhielt an diesem Tag einen zweiten Namen. Er hieß fortan auch der „Sacktuchhirsch“!
Die Geschichte im Bahndurchlaß gelangte auf direktem Weg an die Ohren des Benzinger Jagdherrn, der sich darüber halbtotgelacht haben soll und uns schon am nächsten Tag auf der Rhonberghütte besuchte. In einer langen und sehr gemütlichen Plauderstunde wurde – wie könnte es auch anders sein–hauptsächlich über den geheimnisumwitterten „Sacktuchhirsch“ gesprochen. Auch der Nachbar kannte den alten Sechser mit dem Korbgeweih nicht. Seine beiden Jäger hatten ihn nie an einer Fütterung gehabt, keiner besaß einen Abwurf von ihm. Auch in der weiteren Nachbarschaft war er, wie sich später herausstellte, unbekannt. Es wird sich wohl um einen Zuwanderer aus Tirol gehandelt haben, dorthin war es ja nicht allzu weit.
Als sich der Benzinger Nachbar, es ging schon fast gegen Abend, verabschiedete, sagte er zu unserer großen Freude und Überraschung: „Sie haben sich solche Mühe gemacht um den alten Sechser, bitte, schießen Sie ihn ruhig bei mir herüben, wenn immer sie ihn haben können – er ist für Sie frei! Nur kann ich Ihnen dabei nicht behilflich sein, meine Jäger müssen noch Gäste führen. Also – Weidmannsheil auf den ‚Sacktuchhirsch‘!“
Wir konnten uns über soviel Großmut kaum fassen. Die Sache hatte aber schon wieder einen neuen Haken. Die Zeit Haralds und meines Bruders war abgelaufen, schon am nächsten Morgen reisten die beiden ab nach Norwegen, wo Harald eine Elchjagd vorbereitete und meinen Bruder dazu eingeladen hatte. Dieser kämpfte – ich weiß es – einen schweren inneren Kampf, den Elch sausen zu lassen und sich weiter seinem „Sacktuchhirsch“ zu widmen, auf den die Chancen ja jetzt dreimal so günstig standen als jemals zuvor. Und in wenigen Tagen würde die Hirschbrunft zu Ende gehen und der alte Sechser wahrscheinlich die „Rückreise“ ins Heimatland Tirol antreten. Aber die Reise nach Norwegen abzusagen, schien unmöglich. Vom Flug – damals noch ein Ereignis – angefangen, hatte Harald alles aufs beste geplant und vorbereitet. So trat mein Bruder schweren Herzens das uns vom Benzinger Jagdherrn eingeräumte Recht auf den „Sacktuchhirsch“ an mich ab, der allein für den Rest der Hirschbrunft auf der Rhonberghütte zurückblieb und über diese unerwartete Wendung der Dinge nicht gerade traurig war!
Der Rest ist schnell erzählt: Den ersten Tag nach der Abreise der Hüttengenossen benützte ich zur vorsichtigen Erkundung des Geländes im Benzinger Revier. Denn, außer daß der Hirsch mit seinem Rudel nach Überquerung der Aurach sehr früh steilbergan seinem Einstand entgegenzog, kannte und wußte ich dort drüben noch so gut wie nichts. Und selbst das wenige hatte er uns nur durch seine Stimme verraten.
Zu einer meiner neu gesammelten Erkenntnisse gehörte der Umstand, daß der einzige Steg, der über die Aurach führte, für mich einen Umweg von mindestens einer halben Stunde bedeutete. Zum Glück lag er für mich, der von der Rhonberghütte herunterkam, bachabwärts, so daß eine nächtliche Störung des auf den Wiesenleiten stehenden Wildes nicht zu befürchten war.
Der zweite Morgen brachte den ersten ernsthaften Versuch im Benzinger Revier. Das Rudel stand, genau wie ich vermutet hatte, schon vor Büchsenlicht nach Durchquerung des schmalen Hochmoors im Bergwald und zog langsam aufwärts. Der Hirsch meldete gut, aber ich kam, wohl infolge zu großer Vorsicht, zu spät an die entscheidende Stelle, einen Streifen Altholz und einen anschließenden schmalen Schlag. Als ich dort anlangte, fand ich alles leer. Die große, gleich oberhalb gelegene Dickung hatte den Hirsch samt seinem ganzen Rudel bereits verschluckt!
Auch am dritten Tag meines paradiesischen Jagens auf den „Sacktuchhirsch“ brach ein Morgen an, wie man ihn sich schöner nicht denken kann. Es gab einen starken Reif, bestes aller Vorzeichen. Mit dem Berg im Benzinger Revier fühlte ich mich schon ein wenig vertraut, aber natürlich noch längst nicht genug. Immerhin, mein Hoffnungsbarometer stand auf schön. Wie oft mag ich im Zwielicht des grauenden Morgens den Mittelfinger in den Mund gesteckt, wieviele Gräslein bei Tagesanbruch fliegen lassen haben, um nur ja keine mögliche Laune des Windes zu übersehen.
Es war noch sehr früh. Drüben, noch jenseits der Aurach, schrie der Hirsch auf „unserer“ Rhonbergleite, aber wie es mir, besonders im Angesicht des ideal schönen Morgens vorkam, bei weitem nicht mehr so eifrig wie an den Vortagen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen zwischen dem Zeitpunkt, als er drüben verschwieg, bis zu jenem, da er endlich herüben den ersten Schrei im Benzinger Bergwald hören ließ.
So gut wie lautlos war das Rudel, wie alltäglich noch lang vor Büchsenlicht durch das kleine Moor wechselnd, eingezogen. Als es grau wurde, meldete der Hirsch, ließ aber an Eifer stark zu wünschen übrig. Immerhin erzählte er mir genug, um daraus zu schließen, daß das Rudel voraussichtlich den gleichen Wechsel annahm wie am Vortag.
Ich hatte nicht weit bis zu der Stelle, wo der bewußte Hochwaldstreifen anfing. Nur eine gute Viertelstunde früher als gestern mußte ich oben sein, darauf hatte ich meinen Plan genau aufgebaut. Heute wird es gelingen, das hatte ich, so, wie alles von Anfang an abrollte, fest im Gefühl. Es war der neunte Oktober, also auch insofern allerhöchste Zeit!
Ich erreichte ohne Zwischenfall, nur ein wenig atemlos, den vorgesehenen Platz und kauerte mich am Stamm einer alten Wetterfichte nieder.
Durch sein abermaliges Verschweigen stellt mich der Hirsch auf eine lange, bitterharte Probe. Sollte das Rudel wider Erwarten doch schon durchgezogen sein? Es ist schon lange gutes Büchsenlicht. Ein schneller Blick auf die Uhr. Da – ein deutliches Steineln zu meiner Rechten, etwas ober mir. Der Wind steht vorzüglich gerade auf mich herab, genau aus der Richtung, von wo das erregende Geräusch herkam. Nach kurzer Stille ein mürrisch tiefer Brummer, gar nicht weit. Sie kommen!
Das Herz schlägt mir bis über die Schläfen herauf, als das Leittier, nicht weiter als achtzig Schritt entfernt, mit unheimlich hochgestellt erscheinenden Lauschern den Hochwaldstreifen betritt. Dann geht es wie an einer Perlenschnur aufgereiht, Tier – Kalb – Tier – Kalb – Schmaltier – Tier, in solcher Reihenfolge ziehen sie zügig, aber vertraut durch den Bestand. Wieviele mochten es sein? Es ist wahrlich keine Zeit, sie zu zählen. Denn jetzt müßte der Hirsch kommen!
Er