Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
dasselbe tut – die Sennerin ist im Oktober zum Glück längst abgezogen –, der schießt mit der modernsten Fernrohrbüchse im vollen Licht der Luna zum Kammerfenster auf den Hochgeweihten hinaus, und meint dann noch, so etwas sei schönes, edles Weidwerk. Nun, da scheiden sich, so will es mir scheinen, die Geister.
Der Aurachhirsch stand mit seinem zehnköpfigen Rudel droben auf den weißen Buckelwiesen unterm Rhonbergwald und sandte Schrei um Schrei durch die helle Mondnacht zu uns herab. Das Rudel war in ständiger Bewegung, in dauernder Unruhe, die Brunft im vollen Gang. Zwei Beihirsche umkreisten es in respektvoller Entfernung. Und inmitten des Geschehens „er“, der Aurachhirsch! Zweimal kam er beim Treiben ziemlich weit herunter, so weit, daß es für die Kugel wohl gereicht hätte. Aber wir saßen nur still, mit den Rücken an die Bretterwand des Stadels gelehnt, schauten mit Glas und sogar Spektiv – so hell war die Nacht – hinauf, über den Bahnkörper und den „Durchlaß“ hinweg, und genossen den überwältigend schönen Anblick. Und zum ersten Male gelang es uns dabei, den Hirsch genau anzusprechen. Er trug ein unheimlich hohes, ziemlich enggestelltes, aber schön korbförmiges Geweih von nur sechs Enden auf dem Haupt, dessen Spitzen sich oben zu berühren schienen. Und diese Stangen mußten stark sein wie armdicke Prügel, sonst hätten sie sich im trügerischen Mondlicht bei Schnee nicht derart präventiert und abgehoben. Im Wildbret ein Koloß. Ein Haupthirsch also, wenn auch einer von nur sechs Enden!
Wir nahmen die Kälte nicht wahr, die uns durch die Kleider kroch und die Finger an den Jagdgläsern klamm machte.
Die Kugel blieb – mit oder ohne eigenes Verdienst – im Lauf.
Und der Geisterhirsch bedankte sich dafür, indem er uns nicht länger in der Kälte sitzen ließ. Statt um halb vier, wie gewöhnlich, verließ er mit dem Rudel schon kurz nach drei die Walstatt an der Rhonbergleite. Der erste Schnee und der volle Mond trugen wohl Schuld daran. Knirschender Bahngleisschotter, gedämpftes Schalenklappern über die Straße, aber kein Laut, kein Platscher beim Übersetzen über die Aurach.
„Ist das ein Hirsch!“ Viel mehr sagte keiner von uns auf dem langen Heimweg. Harald war schon in der Hütte, der Tee fertig. „Hast du was gesehen oder gehört im Hochgraben?“ – „Ja, einen Auerhahn, der hat fast eine Stunde lang achtzig Schritt unter mir auf einer Föhre genadelt, es war wunderbar!“
Den Aurachhirsch hörten wir um sieben nach dem Frühstück von der Hütte aus drüben im Benzingrevier aus vollem Hals melden.
Wie könnte man ihn nur überlisten? So wie bisher haben wir nicht die geringste Aussicht. Wir saßen bei der Morgenzigarre in der warmen Stube und hielten Kriegsrat. Und ein ganz neuer und, wie wir dachten, teuflisch schlauer Plan begann in unseren Jägerhirnen zu reifen.
Schon vor Tagen hatten wir im Vorübergehen bemerkt, daß der Obstgarten des Fischerbauern voll von Fallobst lag. Fast unter jedem Baum war am Boden ein hellgrüner Kreis, so dicht lagen da die Äpfel und Birnen. Keiner hob sie auf. Und dem Kundigen blieb es nicht verborgen, daß sie zum Teil schon gut vom Wild angenommen waren. Wie wäre es eigentlich – so meinten wir jetzt am Frühstückstisch –, wenn wir mit Erlaubnis des Fischerbauern, mit dem wir gut Freund waren, einen großen Henkelkorb, oder deren zwei, mit den kleinen grünen Äpfeln füllten und hinaufschleppten bis zum Waldrand des Rhonberges, um sie dort weiträumig auf der Wiesenleite zu verstreuen? „Mit anderen Worten, ihr wollt versuchen, den Aurachhirsch mit eurem Fallobst anzukirren, was für eine verrückte Idee! Aber wenn schon, dann erspart euch wenigstens die langweilige Arbeit des Sammeins, wir fahren dann sowieso nach Schliersee und bei dieser Gelegenheit kaufen wir das, was ihr braucht, im Obstladen. Zum Beispiel eine Steige voll Boskop. Oder wie wäre es mit dem ‚Cox Orange‘, den frißt der Hirsch sicher lieber als eure sauren Holzäpfel vom Fischerbauern, sofern er in der Brunft überhaupt Interesse an Äpfeln zeigt!“ So Harald mit gutmütigem Spott, aber doch unüberhörbar mit leichter Geringschätzung.
Mein Bruder und ich, davon keineswegs unbetroffen, lehnten einmütig und entrüstet ab: Tafeläpfel in der Steige vom Obstgeschäft kaufen, um sie dann am Rhonberg auszulegen, niemals, das hätten wir als abgrundtief „unweidmännisch“ empfunden. Uns im Obstgarten des Fischerbauern dreihundertmal zu bücken, um dann genau dasselbe zu tun, ja, das war etwas ganz anderes, das schien uns – beinahe – völlig in Ordnung zu sein. Wir Jäger haben manchmal schon etwas seltsame Moralbegriffe! Ja, und dann der ganze Plan überhaupt! Wenn jetzt einer hergeht und uns an den Kopf wirft: Hinsichtlich der Mondscheinjagd legt ihr edle, vor Weidgerechtigkeit triefende Enthaltsamkeit, ja Entrüstung an den Tag. Und zur gleichen Zeit verkriecht ihr euch nicht vor Scham beim Versuch, einen Brunfthirsch und sein Rudel mit Äpfeln anzulocken?
Auf Anhieb müßte ich vielleicht eine gescheite Antwort schuldig bleiben. Bei näherer Betrachtung schaut die Sache – so hoffe ich wenigstens im Vertrauen zu St. Hubertus – doch vielleicht ein wenig anders aus. Keiner von uns war natürlich so dumm und unerfahren, um zu glauben, das Rudel würde wegen unserer oben auf der Leite verstreuten Äpfel statt um zehn Uhr abends schon um sechs Uhr auftauchen, um mit der Apfelmahlzeit zu beginnen. Und ebensowenig würde der Aurachhirsch am Morgen unserer dummen Äpfel wegen bis zum Anbruch des Büchsenlichts zuwarten, um sein Rudel über die „drei Linien“ hinweg zurück in den Einstand zu treiben. Oder vielleicht doch? Könnte es nicht sein, daß das eine oder andere Stück, an dem der Hirsch irgendein Interesse hat, sich doch beim „Äpfelklauben“ ein wenig verspäten könnte, nur ein vorlauter Beihirsch vielleicht, und der alte Gespensterhirsch kommt im Morgengrauen wutentbrannt zurück, wenn auch nur für ein paar entscheidende Augenblicke?
Man wird also sagen dürfen, unsere Tat war keine „Kirrung“ im üblichen und üblen Sinn, wie sie leider so oft angewendet wird. Sie war mehr ein Verzweiflungsakt ohne Erfolgsaussichten, geboren aus der Erkenntnis, daß so, wie die Dinge einmal lagen, mein Bruder trotz aller Ausdauer den Aurachhirsch nie und nimmer vors Rohr kriegen konnte. Aber das soll keineswegs eine Entschuldigung sein. Auch wir waren keine Engel – und etwas mehr als das, was die Rechtsgelehrten „dolus eventualis“ nennen, war auf jeden Fall dabei!
Die grünen Falläpfel des Fischerbauern wurden also mühsam gesammelt und mittags oben auf der Rhonbergleite verstreut. Viele von ihnen kugelten lustig über die Buckelwiesen bis zum Bahngleis hinunter. Wir erhofften uns nicht viel davon, aber doch immerhin etwas.
An den nächsten Morgen begleitete ich meinen Bruder nicht mehr bei seinen dem Aurachhirsch geltenden Unternehmungen. Ich konnte ihm dabei nicht viel helfen, eher nur hinderlich sein. So ging ich auf anderweitige Erkundung im Rhonbergrevier.
Mein Bruder verlegte seinen Ansitzplatz nach den vielen vergeblichen Versuchen am Heustadel in die Eisenbahnunterführung, wo er sich eine einfache Sitzgelegenheit herrichtete. Von hier aus war es viel näher bis zu jener Stelle, wo das Rudel spätabends und frühmorgens über den Bahnkörper wechselte. Durch den „Durchlaß“, den er sich als neuen Lauerposten erkor, zog das Wild, wie schon erwähnt, sehr ungern, wie sich auch am Fehlen von Trittsiegeln im feuchten Boden unschwer feststellen ließ.
In den nächsten Tagen veränderte sich trotz der ausgelegten Äpfel so gut wie nichts. Mein Bruder behauptete zwar, er habe wiederholt ein auffälliges Knacken von Wildäsern vernommen, das nur von der Aufnahme der Äpfel herrühren konnte. Aber dazu hatten sie während der Nachtstunden, die sie auf der Rhonbergleite verbrachten, ja Zeit genug. Und pünktlich vor vier Uhr früh empfahlen sie sich, wie jeden anderen Morgen auch, über Bahngleis, Straße, Aurach und Jagdgrenze. Nur die erregenden Geräusche konnte der in der Bahnunterführung lauernde und frierende Jäger besser hören, denn er befand sich ein gutes Stück näher am Hauptwechsel, als dies beim Heustadel an der Straße der Fall war.
Abends ging mein Bruder gar nicht mehr an die Aurach hinunter. Die Straße war doch zu belebt, und das Rudel kam erst zu später Nachtstunde herüber. Aber am Morgen ließ er nicht locker. Mochte ein Erfolg auf den Gespensterhirsch auch in noch so weiter Ferne liegen, jeden Tag saß er noch zu nachtschlafender Zeit in seinem Bahndurchlaß, der infolge des kalten Luftzugs vom Rhonberg herab alles andere als ein gemütlicher Ansitzplatz war. Dafür durfte er sich an der gewaltigen Baßstimme des alten Aurach-Sechsers erfreuen, die dieser, oft sogar aus ziemlicher Nähe, auf den noch nächtlichen Buckelwiesen erschallen ließ.
Eines Morgens, es muß