Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
vergehen. Es ist mäuschenstill. Enttäuschung, ja Wut will mich überfallen.
Eine rasche Bewegung etwas oberhalb der Stelle, wo das Rudel eben durchzog. Ein kleines, fast schwaches Schmaltier erscheint, verhält und äugt zurück: Und da steht „er“, frei und breit in einer Baumlücke, das Haupt mit dem steilen Korbgeweih, dessen helle Spitzen sich fast berühren, hoch erhoben, der alte Sechser mit den armdicken Stangen, der Aurachhirsch, der Sacktuchhirsch! Unbemerkt bringe ich die Büchse hoch, will ihm gerade ins Leben fahren – da, ein markerschütternder Schrecklaut aus unmittelbarer Nähe dicht hinter und unter mir: Leer ist die Bühne! Hirsch und Schmaltier sind verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, zwei Sekunden, bevor mein Schuß brach.
Ein anderes, verspätetes Stück Hochwild wollte unter mir durchziehen und bekam mich voll in den Wind!
Ganz ähnlich, wenn nicht ganz gleich, muß mein Bruder sich gefühlt haben, als er vor ein paar Tagen nach seiner Niederlage mit dem „Sacktuchhirsch“ den Bahndurchlaß verließ. Bis zum heutigen Tag habe ich die meine nicht verwunden. Dieser alte, freie Berghirsch von „nur“ sechs Enden wäre für mich der „Hirsch des Lebens“ gewesen!
Von jenem Morgen des 9. Oktober an war er fort und wurde nie mehr in der Gegend gesichtet. War er, ein unsteter freier Wanderer, abgebrunftet und weggezogen, oder war jener furchtbare Schrecklaut ihm vielleicht ebenso stark in alle Glieder gefahren wie mir, seinem Verfolger, und hatte ihn vergrämt? Niemand hat es je ergründet. Der „Aurachhirsch“ blieb für immer verschollen.
Heute noch bin ich dem Benzinger Jagdherrn tief dankbar für jene drei Jagdtage in seinem schönen Revier. Würde er aus dem Grab aufstehen und zu mir sagen: „Los, auf –, versuch’ es noch einmal mit dem alten Sechser an der Aurach!“ – mit tausend Freuden würde ich hinziehen, würde mir liebend gern, genauso wie damals, ein Dutzend Nächte auf der Rhonberghütte – ob sie wohl noch steht? – für ihn um die Ohren schlagen, und würde ihn wahrscheinlich eines schönen Morgens schießen. Danach würde ich sein Haupt mit dem engen Korbgeweih hinauf zur Hütte schleppen.
Ich würde es im Brunnentrog wässern und zuschauen, wie gelbe Blätter in das glasklare Wasser des eintönig murmelnden Brunnens fallen, aus dem die Geweihspitzen, die sich oben fast berühren, und wahrscheinlich auch die halbarmlangen Augenenden herausragen.
Ich würde das endenarme Geweih mit den prügeldicken Stangen in der Hütte selber auskochen und genauso eifersüchtig wie der rote Schweißhund darüber wachen, daß ja kein anderer zu nahe daran kommt oder mir beim herrlichen Tun helfend und werkend zur Seite steht.
Ich würde nicht müde werden, es zu betrachten, zu befühlen, zu wägen. Ich würde den unvergleichlichen Duft, jene einmalige Mischung aus Regen und Erde, Baum und Wild durch die Nase einsaugen.
Und ich würde lachen über alles, was man heute unter vielerlei Vorwand und grauer Theorie mit dem Hirsch und dem Rehbock der kargen Berglandschaft anstellt. Ich würde alle vielendigen Kapitalgeweihe, die man dem armen Berghirsch angemästet und anbiologisiert hat, diese Rekordgebilde, welche die Natur dem Hirsch und dem Rehbock nie und nimmer hätte wachsen lassen, ich würde das alles im Angesicht des starken Sechsergeweihs im Brunnen froh und guten Gewissens dahin wünschen, wo es hingehört!
Daß wir dem Wild ersetzen müssen, was wir ihm aus Profitgier im Wald und auf dem Feld weggenommen haben, ist doch eigentlich nichts anderes als eine selbstverständliche Pflicht. Eine Anstandspflicht, nicht nur des Jägers allein, sondern aller, die mit dem Wald und mit dem Acker noch etwas zu tun haben. Es ist eine schwerwiegende Frage menschlicher Moral, für uns Jäger ein Prüfstein jagdlicher Gesittung und Kultur. Gerade darum aber sind ungesunde Übertreibungen, wie sie heute so oft vorkommen, besonders gefährlich. Denn sie kommen gerade denen so schön zupaß, bei denen Anstand und Moral schon lange nicht mehr an erster Stelle stehen. Also – alles mit Maß und nie zur Unzeit!
Die Geschichte vom „Aurachhirsch“ sollte auch zeigen, wie ich mir einen „Trophäenkult“ vorstelle. Ein Berghirsch von „nur“ sechs Enden und vermutlich mit nicht viel mehr Pfunden im Geweih – für mich Traum und Erinnerung eines Jägerlebens, Inhalt und Inbegriff der Jagdtrophäe –, ihm hätte vielleicht einmal mein letzter Blick auf Erden gegolten. Aber er blieb für mich nur ein Traum. Doch was das Ärgste ist, und was ich doch eigentlich wollte und versprach: Sie hat wieder nicht geknallt, meine gute, treue Büchse!
WOLFGANG FREIHERR VON BECK (1905–2005), geboren in Hohenberg am Starnberger See, Oberbayern, hatte seit frühester Kindheit engen Umgang mit Wald und Wild. Als Volljurist leitete er lange den väterlichen Gutsbetrieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Wolfgang von Beck als bayerischer Jagdreferent in München einen doppelt schweren Kampf: einmal gegen den wahllosen, ungezügelten Wildabschuss der Besatzungssoldaten, ein anderes Mal gegen die Abschaffung des Revierjagdsystems. Er gewann, opferte aber dafür seine Stellung im Ministerium.
Nach 1949 wandte er sieh ausschließlich der Jagdschriftstellerei und der Wildfotografie zu.
Der Autor erhielt 1971 das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland, 1973 das Goldene Ehrenzeichen des Landesjagdverhandes Bayern und 1974 den Bayerischen Verdienstorden für seine Leistungen um das Jagdwesen verliehen.
W. Brenner
Ein schöner Damenschmuck
Tiergrandeln aus einem Gebirgsrevier der Ostalpen
Schon von weitem erblickten wir die vom Nachmittagslicht beleuchteten Türme der Basilika von Mariazell: eine gotische und zwei barocke Silhouetten, dahinter die Kulisse der Gebirgslandschaft. Wir näherten uns dem Endpunkt der ältesten Pilgerroute Österreichs, die von der Donau zum Heiligtum der Steiermark führt. Auf einem vorgeschobenen Höhenrücken steht die Kirche. Sie beherrscht die Ortschaft und bildet einen architektonischen Mittelpunkt in der wiesengrünen und waldumrahmten Landschaft des Tales.
In keinem Wallfahrtsort des Landes ist der letzte Nachglanz Altösterreichs noch so gegenwärtig wie hier, in der Kirche der Magna Mater Austriae, der Regina Hungariae, der Patrona der Slawen. In dieser Kirche lebt noch die Erinnerung an die historische Verbundenheit des Donauraumes – ein König von Ungarn ließ die ursprünglich gotische Basilika errichten – und auch an die Vielsprachigkeit der Donauländer. Man meint damit den weiteren Horizont von einst, man meint Rest und Erinnerungen, die selbst im Vergehen noch imposant genug sind und auf die man überall stößt: auf Relikte der europäischen Abenddämmerung vor dem Ersten Weltkrieg. Man meint Stimmung und Melodie, die in der Gegenwart noch als Unterton mitklingen. Es gibt etwas Kostbares, Unersetzliches, dem man eine stille Liebeserklärung schuldet: Reichtum an Kultur und Schönheit.
Wir kamen aus der Wachau; immer wieder neu erlebtes Glück der Kunst, ob Stift, Kirche oder Kapelle! Und man spürt, daß diese Kunst nicht Produkt nervöser Eiferer war, daß sie eine ruhige Überzeugung ausstrahlt, himmelweit entfernt von allem Düsteren. Die Unmittelbarkeit dieses Eindruckes läßt neben dem Glauben auch eine fast religiöse Weltliebe vermuten. – Ein besonders glückliches Zusammentreffen des Kunstgenusses und der jagdlichen Freude bestimmte diesmal unser Reiseprogramm. Unsere Stimmung stand noch ganz im Zeichen der in der Kremser Minoritenkirche erlebten großartigen Kunstausstellung, und dennoch war ich schon wieder in fröhlicher Erwartung. Die Jagdeinladung in das prachtvolle Revier in der Walster versprach weitere Höhepunkte für unsere kleine Urlaubsfahrt, die wir mit meiner Frau unternahmen.
Das alte, liebliche Land zwischen Donau und Alpen lag bereits hinter uns. Man müßte öfters diese Strecke befahren, um die Gegend richtig genießen zu können! Niederösterreich, das Kernland im Donautal mit seinen vielen Klöstern und Stiften, Schlössern und Kleinstädten, blieb zurück. Ein mildes Land ist dieses „Land unter der Enns“, es umarmt die eigene Mitte: Wien. Ein idyllisches Land der Thermalquellen, Römerfunde, Weingärten, der Heiden- und Rübenebenen, der dürftigen Föhrenwälder, der Berge, der melancholischen Kleinstädte, der wunderbaren Kunstwerke! Ein gutes Land, und doch in vielem so andersgeartet als die Steiermark, die vor Mariazell beginnt. Es ist leidenschaftsloser, weicher, geschmeidiger als die grüne Mark, wo wir wohnen.
Die