Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
Es dauerte zwei Jahre, bis ich meinen Hahn hatte. Wie fast jedes von mir erlegte Wild, verlangte auch mein Hahn eine Unmenge Geduld. Das Schicksal, mein Weidmannsheil, zögerte eben.
Man kommt auch immer mehr zur Einsicht, daß ein einziger Auerhahn als Strecke für ein ganzes Jägerleben reichen kann, ja, reichen muß! Weil es mit der Hahnjagd allmählich „vorbei“ ist, weil es immerhin noch Tausende von Jägern gibt, die nie einen Hahn erlegt haben und auch nie mehr einen erlegen werden können! Weil der Große Hahn zu einer Rarität der mitteleuropäischen Wildbahnen geworden ist, zu einem fast mythischen Recken, dessen Zukunft für die Jäger und Naturschützer nur noch Aufgaben und nicht jagdliche Streckenerfolge bereithält.
Zwischen sterbendem Winter und aufkommendem Frühling, zwischen Nacht und Tag, wiederholt sich alljährlich ein ergreifendes Wunder: Im Bergwald balzt der Urhahn. Aus der Tiefe der Erdengeschichte, aus der Ferne der ersten Schöpfungstage ertönt sein Lied mit den in ihrer Schlichtheit wundervoll steigenden Strophen, eine geflüsterte Liebeserklärung an das Leben, an die Berge und an die Wälder. Bei steigendem oder sinkendem Licht, halb in der Nacht, zwischen dunklen Fichten und weißen Schneeflächen, in den Zweigen hellgrüner Lärchen meldet das sehnsuchts- beladene Geschöpf. Vielleicht ist seine Art insgeheim schon zum Tode verurteilt; das Einzelwesen weiß aber nichts davon und singt die einfachen Strophen voller Lebensfreude und Liebeswillen.
Es gibt jetzt kein zwanzigstes Jahrhundert im Wald, nur Frühling und Sehnsucht. Der Große Hahn balzt. Er kennt kein überschwenglich buntes Lied, keine Arie der raschen Einfälle, nur einige leise perlenden Laute, stets wiederkehrende Strophen, Kompositionen höchster Schlichtheit. Morgenschimmer, verblassender Sternenhimmel, dunkel in die Dämmerung ragende Nadelzweige, Rauschen von Wasser und Wind, seufzend kühles Einatmen, dazu das Lied aus der unsichtbaren Tiefe des Frühlingswaldes, jagende Herzschläge: Der Urhahn balzt. Das ist die Abstraktion des Lebens, der Liebe und der Jahreszeit, reduziert auf ureinfache, wiederkehrende Strophen.
Stimmen, Stimmungen und Bilder von eigenartigem Reiz, in keiner Jahreszeit so wie im Frühling erlebt, selbstvergessene Sinneskraft, dionysische Ekstase in den scharfen Konturen des Föhnfrühlings gezeichnet, ein schwebendes, träumerisch verdämmerndes Lied; in nur wenigen Farben entsteht ein Bild höchster Vollendung, die überschäumende Freude am geliebten Leben: Der Urhahn balzt. Wie viele, besser gesagt wie wenige von uns erleben, erlebten noch dieses Naturwunder?
Zwischen Winter und Frühling, zwischen Nacht und Tag spielt sich alljährlich ein Schauspiel ab, ergreifend in der Einsamkeit der Szene, fast anachronistisch durch die Lebensgewohnheiten des Akteurs inmitten der Aufschließung des Bergwaldes zur Wirtschaftslandschaft. Würde er eine Vergangenheit verkörpern, die nicht mehr zurückzuholen ist, so könnte mancher ihn belächeln, so könnten andere mit einem Achselzucken über das Schicksal seiner Art zur Tagesordnung übergehen. Doch was wäre der Bergwald ohne den großen, dunklen Vogel, der im Licht der sinkenden oder erwachenden Sonne den Frühling begrüßt? Was wäre die Bergjagd ohne die brennende, tiefe Sehnsucht des Jägers nach dem geheimnisvollen Sänger?
Neue Ansichten und Absichten der Nutzung durchdringen den Bergwald. Im Tal dehnen sich die bebauten Flächen immer mehr aus; sie stoßen Tag für Tag tiefer in die Abgeschlossenheit der Gebirgswelt vor. Aus der Naturlandschaft entsteht schrittweise die Kulturlandschaft, und dennoch balzt der Urhahn – jetzt noch.
Mein herzbester Freund, Pate beim Sohn, Beistand der ersten niedergeschriebenen Erlebnisse, Hüter und Wahrer der Weidgerechtigkeit, sinnierender Dichter unserer wunderbaren jagdlichen Welt, fragte mich einmal, ob ich einen Großen Hahn erlegen möchte. In einer in der Nähe seines Reviers liegenden Jagd wäre ein Hahn frei, lautete die Nachricht, ich könnte sofort kommen.
„Tagwache! Aufstehen!“ – eine völlig fremde Stimme brummte in meinem Zimmer. Eine rätselhafte Figur macht Licht; es dauerte einige Minuten, bis ich die in der langen Unterhose umhergeisternde Gestalt als den Oberförster Bacher und den eigenen Standort als das Bett im Gästezimmer des Forsthauses der Malteser auf der Hebalm identifizierte.
„Zwei Uhr vorbei, wir müssen uns beeilen“, brummte die verrauchte Stimme. Der wuchtige Mann polterte im Zimmer umher. Nicht um die Welt, ich bin doch erst vor einigen Minuten eingeschlafen! – haderte der eigene schläfrige Geist. Es gibt wahrlich keinen Berufsjäger auf dieser Erde, für den man früh genug aufstehen könnte. Eben wollte ich mich wieder zur Wand drehen und die Augen schließen, da fiel mir der Hahn ein – und schon war ich draußen aus dem Bett. Ich richtete mich zur ersten Pirsch auf den Großen Hahn. Das Zimmer war ungeheizt, ich fröstelte vor dem Waschtisch. Gähnend schlüpfte ich in die Kleider, suchte lange nach dem rechten Wollstutzen. Das Gesicht bekam ein kaltes, der Magen in der Küche ein heißes Wasser, mit Teeblättern, Zucker und etwas Obstbrand angereichert. Dann verteilte ich vier Patronen auf verschiedene Rocktaschen, hängte die Flinte um und schwenkte den Loden darüber.
„Gemma!“ Die Dachsbracke begleitete uns bis zur Gartentür, dann traten wir aus dem Lichtkegel der Lampe hinaus in die Nacht. Die Sterne blinkten zwischen den dunklen Spitzen des Nadelwaldes. Von Süden wehte ein warmer, milder Nachtwind, der „Jauk“. Kleine Geräusche begleiteten uns, unsichtbare Frühlingsregungen und rinnende Schneeschmelze. Wir gingen bergauf. Einige Baumstämme knisterten im Wind. Überall murmelte Wasser, das machte es schwierig, den Hahn zu verhören. Die Lärchen trieben schon grün, doch schattseitig lag noch überall hoher Schnee.
Der Tag ruhte noch in der Ferne hinter den Bergen, als wir den bereits am Vorabend erkundeten Balzplatz erreichten. Die letzten Schritte dämpfte ein weicher Nadel- und Moosteppich. Den Loden legte ich auf einen Baumstock, ließ mich darauf nieder, lehnte die Flinte an das Knie und steckte die Hände in die Rocktasche. Der Förster rauchte neben mir eine gräßliche „Austria 3“.
Das erste Dämmerlicht kam. Aus der Tiefe der Nacht stieg ein Grau am Osthimmel auf, dann folgte ein helles Glühen, später liefen Lichtstrahlen über den Himmel. Die milde Morgenluft war prickelnd. Bis zum Sonnenaufgang blieb der Hochwald eine dunkle Wand. Die Bäume bildeten nur Silhouetten, zweidimensionale Erscheinungen ohne Tiefe, sie wirkten wie Kulissen aus Pappmaché. Mit wachsender Helligkeit erwachten dann die bisher verborgen gebliebenen Farben meiner Umwelt, und aus der Baumkulisse entstand allmählich das bekannte Bild des Waldes. Rötlich leuchteten die Stämme im ersten Morgenlicht auf, einige Zapfen strahlten wie Kerzen. Der Boden war naß und weich, im Westen erlosch der letzte Stern. Es lag etwas unendlich Traumhaftes in dieser ersten Stunde des Tages.
Wir beide konzentrierten uns besonders auf die Laute dieses Morgens. Mit geschlossenen Augen hört man besser, man riecht, atmet und spürt das Land ganz anders als mit offenen. Auch mein Begleiter saß regungslos wie eine Statue, nur zeitweise drehte er den Kopf in eine andere Richtung, um besser horchen zu können. Von Minute zu Minute wurde es im Wald lebhafter, kleine Sänger zwitscherten, der Kuckuck rief den Morgen aus, und ringsum tröpfelte, plätscherte und gluckste das Schmelzwasser.
Meine Kehle war ganz ausgetrocknet. Manchmal mußte ich schlucken, und selbst dieser kleine Laut störte mich jetzt. Alles in mir war nur ein selbstvergessenes Warten, ein angespanntes Horchen, ein Sich-Auflösen im Bergmorgen.
Fast wie ein Traum, zaghaft, leise und in längeren Abständen, ertönte zwischen dem Flüstern des Windes und dem Raunen des Wassers dann der erste Glocker. „Dck – dck“, kam es aus der Tiefe des Waldes. Der Hahn meldete.
Es waren nur einige Töne, dann wurde es wieder still. Der Jäger nickte mir einmal wortlos zu. Jetzt ertönte wieder das leise Balzlied, die zaghafte Ouvertüre. Der schwere Mann neben mir sprang lautlos auf. Er winkte mir kurz zu, und schon stand ich neben ihm. Sein Gesicht war ganz verzerrt von Aufregung und Jagdfieber. „Den können mir angehn, schau, daß d’ ihn nit verschiaßt.“ Die flüsternde Stimme klang heiser, der Mann schaute und horchte inzwischen in die Richtung des noch nicht sichtbaren Hahnes, sein Körper zitterte. Gestern noch hatte er zu mir gesagt, daß er kein Jagdfieber mehr kenne, da er so viele Hahnen erlebt oder erlegt habe! Jetzt aber „riß“ es ihn ganz ordentlich. Am liebsten hätte ich gelacht. Jetzt duzte er mich sogar, obwohl wir sonst streng per „Herr“ waren! Wir schlichen bergauf.
Erst nach etlichen Strophen, die wir ausnutzten, um ihn anzuspringen, erblickten wir ihn. Der Hahn balzte auf einer dunklen Fichte.