Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
dunkelrot. Unter mir trat jetzt ein recht guter Rehbock aus. Es war die schönste Stunde des späten Tages, sie offenbarte den tiefen Zusammenhang von Landschaft, Tier, Pflanze und menschlichen Gedanken. Sie kannte auch die Einsamkeit nicht, die uns so häufig überkommt, wenn träge Stille zwischen Tag und Nacht liegt. In solchen Stunden erlebt man, daß der Mensch ein antwortendes Wesen ist, selbst der Natur gegenüber.
Der Bock warf plötzlich auf und verhoffte zum Wald. Ein Häher rätschte und kreischte. Plötzlich stieg Spannung hoch; mir schien, als würde der Bach unten im Graben viel lauter rauschen. Dann aber zog der Bock behutsam fort. Ein Rudel Muffelwild kam zum Vorschein, das hat ihm offenbar nicht gefallen.
„Das macht nix, morgen werden wir wieder in diese Gegend kommen, hier hat man immer irgendeinen Anblick!“ meinte der Revierjäger, als wir bergab zogen.
Schön ist es, in einem hübschen, gepflegten Jagdhaus den Abend nach einer Pirsch zu verbringen. Schön ist es aber auch, Zeit für solche ausgedehntere Jagdaufenthalte zu finden. Dem ruhigen Pirschen ohne Zeitdruck wurde längst schon ein Garaus gemacht: Viele Jagdgäste möchten schon am Tag ihrer Ankunft im Revier, sozusagen beim Aussteigen aus dem Wagen – welches Glück! –, den Bruch auf ihren Hut stecken. Nichts aber verdirbt die Freude des Jagdpersonals mehr als die Hast, als der Mangel an Gelegenheiten, das Beste aus einer Pirsch herauszuholen, die Schönheit des von ihnen betreuten Reviers dem Gast zu zeigen. Und vor allem braucht der Jagdgast Zeit, um Sympathie und Vertrauen des Berufsjägers zu gewinnen, denn ohne die beiden gibt es kaum einen befriedigenden Erfolg.
Vor Morgengrauen saßen wir schon mit Oberförster Theubenbacher wieder draußen im Revier. Ein unbeschreiblich schöner Sonnenaufgang kam. Merkwürdig, daß die meisten Landschaftsmaler der Alpen das Tagwerden so vielfärbig, fast störend bunt sahen. Das liegt wohl daran, daß das Bunte und Grelle für Einheimische nicht alltäglich sind; sie wollen aber das Nicht-Alltägliche sehen und auch darstellen.
Mich aber faszinierte die rote Farbe dieses Morgens, dieses herbstlichrötliche Flammen ohne Rauch am Himmelssaum und über den Wäldern, und auch das Grün vielfältigster Variationen, das von endlosen Höhen zu den Bergen herunterzufließen schien. Wieder einmal erlebte ich durch die Jagd, wie sehr Bilder Gedanken und Gedanken Bilder sein können.
Mein Begleiter berührte behutsam meinen Arm. „Dort steht ein schwacher Hirsch, vielleicht zieht er näher!“
Das Wild schien soeben aus dem Hochwald oben an der Bergkante herausgezogen zu sein. Es war ein „Hirscherl“, ein recht schwacher Sechser. „Den könnten wir nehmen!“ meinte Theubenbacher bedächtig, während er den Hirsch mit dem Spektiv gustierte. „Gemma ihn an, der kommt nicht näher“, meinte er nach einer Zeit, da die Sonne den Berghang zu erwärmen begann und zu befürchten war, daß der Aufwind einsetzt.
Wir plagten uns gehörig, jede Deckung, jede Mulde, jeden Baumstock des Hanges auszunützen, um in die Nähe des Hirsches zu kommen. Dann lagen wir hinter einer kleinen Bodenerhöhung: Der Hirsch stand auf etwa fünfzig Gänge mit dem Spiegel zu uns – und äste.
Den Rest der Geschichte möchte ich nicht in die Länge ziehen.
Der Hirsch drehte sich nicht ein einziges Mal um, er stellte sich beim Äsen für keine Sekunde breit. Wir konnten den einzigen Körperteil an ihm bewundern, wohin man nicht schießen sollte. Und das ausgiebig; selbst dann, als die Losung kam. So vergingen die Minuten, wir hielten fast den Atem zurück. Der Hirsch tat uns nicht den Gefallen, den wir uns wünschten. Selbst dann nicht, als ein plötzlicher Windhauch kam und das Wild mit einigen raschen Fluchten im Bestand verschwand. Wir konnten nur seinem Spiegel nachsehen.
Abends zogen wir mit Nutz wieder zum Stand des Vortages. Die letzte halbe Stunde des Büchsenlichtes war angebrochen, da zuckte ich plötzlich zusammen. Hinter dem Waldrand fiel mir eine Bewegung auf. Mir schien, als ob sich etwas gerührt hätte. War es nur ein Zweig im Abendwind? Behutsam hob ich das Glas. Nichts. Minutenlang blickten wir scharf zur verdächtigen Stelle hinüber, doch nur die herbe Schönheit des Hochwaldes zeigte sich. Wir plauderten leise flüsternd weiter – ich erzählte dem Jäger eben von meinem Revier im Flachland, von dem Rehwild und dem Schwarzwild, das in unserer Gegend besonders gut zu gedeihen scheint –, da, wieder eine Bewegung! Mein Blick erhaschte einen verdächtigen kleinen Farbfleck. Oder war es nur ein brauner, verdorrter Farn?
Jetzt erblickte ich das Wild. Es trat fast bis zum Rand des Bestandes vor und schien den Wind zu prüfen. Die Minuten vergingen. Hirsch oder Kahlwild? Hinter dem Wildkörper rührte sich jetzt wieder etwas. Das Kalb?
Der Schlag lag schon im Halbdunkel, als das Kahlwild endlich ausgetreten war. Zuerst ein Alttier, dann zwei Schmaltiere und zuletzt ein Spießer. Die große Frage war: Steht noch ein Kalb beim Rudel, versteckt hinter dem Waldsaum, in den Fratten, im Gestrüpp des Schlages oder in einer Bodenmulde?
Das Leittier windete und äugte mit straffen Lauschern in unsere Richtung. Erst dann senkte es das Haupt und begann zu äsen. Doch immer wieder verhoffte es, prüfte den Wind und äugte hinaus in den allmählich verdämmernden Schlag.
Die Sonne stand längst hinter dem Sulzberg. Es war ein Wettrennen mit der Zeit, der Abend legte immer mehr Dunkel und Dunst zwischen die Pflanzen des Hanges. Kurz vor dem letzten Büchsenlicht hatte ich die volle Sicherheit, daß kein Kalb beim Rudel stand. Die Einladung lautete: „Hirscherl“ oder Tier. Ich trug dem Alttier die Kugel an. Das Wild hob sich im Schuß, warf sich mit einem mächtigen Satz nach vorne und flüchtete halb bergab in die Dämmerung hinein. Ich wußte, daß ich gut abgekommen war und ahnte, daß das Wild unten am Schlag liegen würde.
In der Viertelstunde, die wir nach dem Schuß abwarteten, erlosch das letzte Tageslicht, doch stieg inzwischen der Vollmond über dem Bergrücken auf. Von der Taltiefe zog trauernder Herbstnebel hoch, in dem das Auge nur sucht und irrt, weil es nicht sogleich finden kann, was es sucht. Dann aber fanden wir das Tier dennoch dort, wo wir es vermutet hatten. Es hatte einen tadellosen Schuß. Wir zogen zum Jagdhaus zurück, um ein Fahrzeug für den Abtransport des Wildes zu holen.
Eine halbe Stunde später standen wir zu dritt, mit meiner Frau und dem Revierjäger, vor dem erlegten Stück. Erst jetzt überkam mich die Freude. Auch meine Frau wünschte mir Weidmannsheil, und als ich dankte, wurde mir die Tatsache bewußt, daß wir das erste Mal gemeinsam vor einem von mir erlegten Stück Schalenwild standen!
Ich freute mich auch besonders darüber, daß die Grandeln des Tieres schön gefärbt und geformt waren. Es gibt kein schöneres Damengeschenk als Hirschgrandeln, keinen anderen Damenschmuck, den man eigenhändig „erbeuten“ könnte.
W. Brenner
Zwischen Nacht und Tag
Auerhahnbalz im steirischen Gebirge
Auf den Urhahn zu jagen, kann das schwerste oder auch das leichteste jagdliche Unternehmen sein, je nach Ablauf, jagdlichem Glück, korrekt Weidmannsheil genannt, oder je nach Revier, Wetter, Führung oder Fügung. Erlebt habe ich die Hahnjagd in der Balz in den verschiedensten und herrlichsten Formen. Hätte ich diese aber nicht alle erlebt, so müßte ich heute entweder sagen, die Hahnbalz sei ein streckenloses Vergnügen und nur ein Naturerlebnis; oder aber, daß den Urhahn zu erlegen, leicht wie Kinderspiel wäre! Ich hätte bei beiden Behauptungen recht, weil es so viele Möglichkeiten und auch Unmöglichkeiten der Auerhahnjagd gibt. Weil ein Auerhahn eben kein Fasan ist. Weil die Hahnjagd so unendlich viele Überraschungen für den Jäger bereithält. Weil der Auerhahn ein Erlebnis bietet, wie kaum ein anderes Wild unserer Länder. Und weil es mit der Jagd auf ihn allmählich zu Ende geht.
Seit meiner Kindheit träumte ich davon, einen, nur einen einzigen Großen Hahn zu erlegen. Mein Wunsch ging in Erfüllung. Ich glaube nicht, daß ich die selbstauferlegte Enthaltsamkeit in der Zukunft aufgeben werde. Viele Jahre der zeitlichen Distanz, ein Verblassen der erlebten Stimmung und noch manches andere müßten kommen, um mich dazu zu bewegen.
Den einen Schuß, mit dem ich meinen Hahn streckte, werde ich nie bereuen. Für diesen einzigen Urhahn will ich mein Leben lang dankbar sein. Durch ihn wurde mein Heimatrecht in der Bergjagd