Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
bogen wir nun in das Walstertal ein. Die bewaldeten Steilhänge und der häufig hervortretende nackte Kalkfels lassen hier stellenweise dem Bach und der Straße kaum Platz nebeneinander. Die Walster, dieser klare Forellenbach, strudelt mit hier und dort grünweißgischendem Schaum unmittelbar neben den Straßenkurven. Der Wald scheint rundum endlos zu sein, er wächst in eine Höhe, deren Ende man oft aus der Enge der Schlucht gar nicht sieht. Buche und Fichte wechseln einander ab, und eine klare, schwere Luft fließt von den Berglehnen ins Tal hinunter.
Eine eigentümliche Landschaft, eine isolierte kleine Welt, ist das Walstertal. Rundum Großgrundbesitz, private und staatliche Forstdomänen. Es fehlen daher die verstreuten Bauernhöfe, die für die Berglandschaft der Alpen sonst so typisch sind. Man sieht auch abends keine Lichter am Berghang, man findet kein Weidevieh beim Pirschen, keine Almen, nur Wälder und Wälder und ungestörte Gräben. Ein ziemlich menschenleeres Land, nur von Forstleuten und Holzarbeitern bevölkert, deren kleine Siedlungen kaum auffallen. Die meisten Häuser sind aus Holz, dessen ursprüngliche Farbe im Laufe der Zeit durch Verwitterung eine dunkle Tönung annahm oder aber braun gestrichen wurde. Klein und armselig wirken diese alten Häuser, doch ihre geschnitzten Fensterumrahmungen und vor allem ihre Blumen, eine Fülle von Nelken und Geranien, beleben das bei Regenwetter oft düster wirkende Bild.
Die Wälder werden von Hochwild, von Gams und Muffel bevölkert. Sobald man die einzige Durchzugsstraße verläßt, trifft man selbst in Sommerzeiten kaum noch Menschen. Auch darin liegt ein Reiz dieser Gegend.
In diesem Winkel zwischen Hochschwab, Mürztal, Mariazell und Alpenvorland stößt man noch überall auf das 19. Jahrhundert. Das zeigt schon das Kaiserdenkmal, eine Bronzefigur von Franz Joseph in Jägertracht; in einer Kurve der engen Talstraße stehend, die alte Hubertuskapelle, das einstige Kruppsche Jagdhaus neben dem Hubertussee und noch viele kleine Erinnerungssätten. Die Vergangenheit scheint hier noch Macht zu haben und die Gegenwart zu durchdringen, sie ist auf Schritt und Tritt noch gegenwärtig und durchwandert die Landschaft in langen, ruhigen Pensionistenspaziergängen.
Etwas oberhalb des hier schon breiteren Flußtales liegt das alte Forsthaus, daneben stehen zwei Jagdhäuser der Forstverwaltung. Die wohlbekannten Gesichter des Oberförsters und des Revierjägers lächelten uns bei der Begrüßung an. „Der Herr Graf hat eben vor zehn Minuten angerufen und nachgefragt, ob Sie schon angekommen sind“, berichtete der Oberförster. „Er wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und einen guten Anblick!“ Das war eine nette Aufmerksamkeit des Jagdherrn, in der bedächtig höflichen Art des Revierleiters übermittelt.
Revierjäger Nutz, dieser Vierziger mit dem Gesicht eines Knaben, mit der Höflichkeit mehrerer herrschaftlicher Revierjägergenerationen, half uns beim Auspacken. Er trug den Koffer meiner Frau ins Jagdhaus. Ich kannte Nutz schon seit Jahren, auch seine außerordentliche Begabung für künstlerische Wild- und Naturfotos, auch seine zähe, ruhige Art beim Pirschen.
Wie das Feuer eines Hüttenherdes, an dem man sich gelegentlich erwärmt, ist die Beziehung des Jagdgastes zum Berufsjäger, wenn man öfter ins selbe Revier zurückkehrt. Es ist meistens kein hochgeistiges Band, das zwischen den beiden entsteht, sondern ein Kontakt aus gegenseitigem Vertrauen, aus männlicher Achtung, aus natürlicher Distanz. Und je schwieriger die gemeinsame Leistung zu erreichen ist, um so fester wird die kameradschaftliche Bindung.
So wie eine Landschaft nur im Wandel der Jahreszeiten, nur im Wechsel der Witterung ganz zu verstehen ist, werden auch die Menschen durch ihre Umgebung und ihre Geschichte geprägt.
Der Menschenschlag, dem Förster und Jäger entstammten, ist besonders interessant. Die Leute sprechen, soweit ortsansässig, nicht die steirische Mundart, obwohl die Landesgrenze an der Reviergrenze verläuft, aber auch nicht den weichen Dialekt Niederösterreichs. Sie sind Nachkommen einst vertriebener salzburgischer Protestanten, die lieber in die Fremde zogen, als ihren Glauben aufzugeben, als hiezu der gestrenge Befehl des Fürstbischofs kam. Sie fanden damals in der kargen Einsamkeit dieses Tales Heimat und Zuflucht. Der Boden und die Besitzverhältnisse ließen keine bäuerliche Entwicklung zu.
Die Zuwanderer mußten sich daher zur Arbeit im Walde verdingen. Holzknechte, Flößer und Jäger wurden sie. Dieser naturnahe, zähe, stille Menschenschlag hielt dann bis heute dem unwirtlichen Boden der kleinen Heimat die Treue, bewahrte trotz der Abhängigkeit von der Grundherrschaft ein unaufdringliches Selbstbewußtsein, den Glauben der Vorfahren und das innige Verhältnis zu Wald und Wild. Kommt man aus dem Inneren der Steiermark, aus diesem leidenschaftlichen Land hierher, so hat man ein wenig den Eindruck, zu Puritanern gekommen zu sein. Und der Tonfall der Leute ist eine Mischung der Gebirgsmundart mit der Klarheit der Pastorensprache, die bei uns in Österreich immer noch ein wenig nach dem Norden klingt.
„Am besten, wir setzen uns oben zwischen Roßgraben und Krautgraben an“, hatte mir der Jäger nach den obligaten Probeschüssen schon vor der ersten Pirsch geraten. Nun saßen wir schon das dritte Mal an dieser Stelle. Es war ein Bodensitz, wie im Gebirge üblich, wenn man von irgendeinem geeigneten Punkt auch ohne Überhöhung der eigenen Position guten Ausblick hat. Unser Sitz befand sich auf einer Schneid‘ und bot nicht nur auf mehrere Hänge gute Sichtmöglichkeiten, sondern auch einen weiten Blick ins umliegende Land, auf die dunklen Fichtenbestände, auf die leuchtenden Buchen mit dem rotdunklen Bodenteppich, auf den Föhrenhochwald am Gegenhang, auf den kahlen, schildkrötenförmigen Rücken des Göller, auf den niedrigeren Sulzberg, auf den bald steigenden, bald fallenden Jägersteig, der uns hierhergeführt hat. Es war später Nachmittag.
Kaum hatte ich eine Viertelstunde oben gesessen, zog ein Tier mit Kalb ganz in meiner Nähe durch. Es gibt kaum einen friedlicheren Anblick, kaum ein eindrucksvolleres Bild der Mutterschaft in der Tierwelt als ein vertraut äsendes, führendes Rottier. Eine verborgene Schönheit liegt immer in diesem Anblick, wie eine Erfüllung der immerwachen Sehnsucht nach Leben und nach Fortpflanzung.
Der Oktober färbte bereits kräftig das Laub. Das klare Licht des Herbstes glänzte, und der sanfte Harzduft der Föhren und Fichten lag in der Luft. Ich roch direkt, wie die Nadeln wochenlang den Sonnenschein und den Sprühregen filtrierten, um diesen eigenen frischen Duft hervorzubringen, der sich dann mit dem Geruch des Harzes vermischte.
Das Tier mit dem Kalb verließ jetzt den Schlag. Die beiden wechselten in den Hochwald der Gegenseite ein. Ich ließ meinen Blick über die weitere Umgebung streichen, über die Bergrücken im Abendlicht.
Die Berge dieser Gegend stehen nicht, sie liegen im wahrsten Sinne des Wortes. In langgezogenen Linien schneiden sie scharf in den Himmel und setzten allem Irdischen eine betonte Grenze. Im Randgebiet der Alpen findet man echte Bergspitzen recht selten, eher Züge und Massive; es fehlt hier die Gotik der Gipfel und Zacken des Alpenhauptkammes, die Individualität der Bergformationen des Hochgebirges.
Die Ostalpen wirken oft schroff und schwer durchschaubar, weil es nur von wenigen Punkten einen weiten Ausblick gibt. Hier herrschen die Konturen annähernd gleich hoher Berge, zeichenhaft klare Formen bieten sich aus verschiedenen Blickwinkeln. Man braucht eine gewisse Vorstellungskraft, um Wesen und Ausdruck dieser Landschaft zu erahnen, die Sprödigkeit der oft schattigen Steilgräben nicht zu mißdeuten. Es ist eine rauhe Gegend, doch trotz ihrer kargen Verschlossenheit nicht hintergründig.
Am alten Buchenstamm neben meinem Sitz hörte ich ein Rasseln und Kratzen. Zwei Eichkätzchen liefen in nimmermüden Spiralen um den Stamm auf und ab. Sie spielten Fangen. Das eine, ein graugefärbter kleiner Missetäter mit dunkler Fahne, blickte mich im Vorbeihuschen jedesmal an. In den winzigen dunklen Augen lag eine Schelmerei, der man nicht widerstehen konnte. Ich hätte mich nicht gewundert, hätte der Kobold plötzlich mit einem Zweig, mit einer Eichel nach mir geworfen, um auch mich zum Spiel aufzufordern.
Später zog ein Kahlwildrudel durch den Jungwald unter dem Schlag und in den Hochwald ein. Ein auffallend helles Schmaltier stand beim Rudel. Kälber sah ich keine. Kaum war das Wild durchgewechselt, erblickte ich weit außer Schußweite oben am Kahlschlag des Hofberges ein zweites Rudel. Es waren vier Tiere, ein Spießer und drei Kälber. Manchmal schienen sie in den verdorrten Fratten des Schlages zu verschwinden, dann wieder leuchtete in der Abendsonne ein Wildleib oder ein heller Spiegel auf. Hirsche sahen wir nicht, diese hatten sich nach der Brunft in heimliche Bestände verzogen.
In die