Erlebnis Bergjagd. Группа авторов
und fiel in einiger Entfernung auf dem Boden ein. Deutlich konnte ich den Bremsflug der Schwingen hören. Dann war es so still wie zuvor.
Nach etwa hundert schleichenden, atemgespannten Gängen war ich wieder in seiner Nähe. Er tänzelte auf Kugelschußentfernung umher, schlug den Fächer auf und ließ die Schwingen bis zum Boden heruntersinken. Die Lichtung, auf der er stand, war eine breite, im Sonnenlicht leuchtende Schneefläche. Den Hintergrund bildete die dunkle Wand der Fichten. Auf dieser Naturbühne, vor dieser mächtigen Kulisse, spielte der Hahn seine einzigartige Rolle. Majestätisch glitt er über den Schnee, wie ein Fabelwesen. Der Wald, der Morgenhimmel hielten ihren Atem an, nur der meine ging schnell und stoßweise: dunkel, hell, dunkel – Wald, Schnee und Hahn. In der prachtvollen Bodenbalz hob der schwarze Vogel den weißgesprenkelten Fächer, wölbte bei jedem Schritt den grünblauen Schild, und der himmelwärts gerichtete Kopf mit den dunkelroten Rosen und dem gesträubten Kehlbart zuckte beim Schleifen.
Plötzlich verstummte er. Ich stand regungslos, balancierte auf einem Bein. Dann begann der Hahn wieder. Ich kam wieder etwas näher an ihn heran. Doch im nächsten Augenblick war der Zauber zu Ende: Eine Henne strich plötzlich polternd vor mir ab, der Hahn war gewarnt und folgte ihr. Aus war es!
An diesem Morgen und auch an den nächsten hatten wir kein Weidmannsheil. Wir bekamen zwar noch zwei Hahnen in Anblick, doch strichen sie vorzeitig ab.
Nun folgten Tage auf der Alm, die ich nie vergessen werde. Das Gebirge glitzerte und glänzte in der Frühlingssonne, der Himmel war hellblau, die Sonne brannte heiß herunter, die Schneehänge leuchteten im Licht, und ein warmer Wind weckte die Lebensgeister. Jeden Morgen und jeden Abend waren wir im Revier. Der Hochwald brauste im Föhnwind wie aufgebracht. Stämme ächzten, Äste schlugen und knisterten, es gab keinen Augenblick lang Stille. Manchmal glaubten wir, den Hahn melden zu hören, dann war es aber doch nur der Wind.
„Wie verhext!“ brummte mein Begleiter mißgelaunt. „Bei dem Wind is nix zu machen.“ Dennoch harrten wir stets bis zur Dunkelheit aus, jedoch vergeblich. Kein einziger Hahn war klar zu verhören. In der Früh strömte der Südwind, der Sonnenaufgang war unbeschreiblich schön, doch außer dem Knistern und Stöhnen des Windes im Astwerk war nichts zu hören. Bei den abendlichen Pirschgängen, beim üblichen „Verhören“ der Hahnen, hatten wir ebenso Pech. Nichts schien zu stimmen, nichts gelang.
Nun mußte ich einmal herunter vom Berg, um daheim nachzusehen. Zu dieser Zeit führte ich noch ein ziemlich „freies Leben“ als Architekt und ein Ein-Mann-Büro; die präzise Tageseinteilung eines Professors stand mir noch bevor. Ich fuhr also ins Tal, in die frühlingswarme Tiefe hinunter, dorthin, wo schon Roßkastanien und Kirschen blühten.
Es war eine Fahrt aus der Welt der winddurchrüttelten Wälder und der kargen, spätwinterlichen Almwiesen in die Fülle des Frühlings hinunter. Hinter mir glühten die Schneefelder der Koralpe, unter mir lag ein Nebelmeer auf halber Höhe, am Hang war alles farbig und frisch. Wie im südlichen Tiroler Land lagen auch hier – in der Weststeiermark – Rebengarten und Hochgebirge in unmittelbarer Nachbarschaft. Unten am Fuße des Bergstockes gedeihen Wein, Edelkastanie und Pfirsich, oben aber herrscht die Gebirgswelt mit Wäldern und Almen, mit Hirschen, Gamswild und Auerhahn. Die Aussicht war überwältigend schön, ich blickte bis zum Gleichenberger Kogel, bis zum südlichen Burgenland, bis in die Windischen Büheln hinunter.
Zur Abendpirsch war ich dann wieder im Revier auf der Hebalm. Wir verhörten die Hahnen ohne viel Erfolg. Morgens waren wir, der Förster und ich, wieder draußen, wir warteten und spitzten die Ohren. Mein Begleiter saß im Dunkeln neben mir, die Spielhahnfeder an seinem Hut bildete einen komischen Kontrast zu der unter der Hutkrempe herausragenden kräftigen Hakennase; eine Komposition von konvexen und konkaven Linien: Nase, Hutkrempe und Hahnsichel. Er schien sogar mit dem wohlentwickelten Riechorgan zu lauschen, wobei sich die mir wohlbekannten Gesichtszüge im Dunkel völlig veränderten.
Langsam kam der Morgen über dem Hochwald herauf. Das erste pastellzarte Licht erschien am Himmel. In diesem schwebenden Augenblick zwischen Nacht und Tag ertönte leise, im Abstand mehrerer dröhnender Menschenherzschläge aneinandergereiht, die knappe Ouvertüre. Der Hahn glöckelte. Bedächtig tropften die ersten Töne des Balzliedes. Dann gab es wieder Stille. Erstarrt und verzaubert empfing ich die Zeichen.
Stille.
Der Wind spielte leise im Nadelwald. Jetzt meldete der Hahn wieder, das Knappen wurde immer schneller, deutlich hörte ich den Hauptschlag. In immer rascherer Folge ertönten die Balzstrophen. Schon glaubte ich, meines Hahnes in den nächsten Minuten habhaft zu werden. Doch es kam anders. Der Hahn ritt ab, bevor ich ihn anspringen hätte können. Verhext! Und auch die nächsten Tage ging es mir bei der Hahnjagd nicht besser. Ich erlebte die Balz in ihren schönsten Formen, doch zu Schuß war ich nicht gekommen. Ich hatte dabei Zeit genug. Vom Namenstag des hl. Georg an bis Ende Mai ging ich meinem Hahn auf der Hebalm nach. Ich lebte schon mehr im Revier als daheim. Nichts half. Die Hahnbalz erlebte ich zwar intensiver als jemals gedacht, doch nicht ein einziges Mal konnte ich meine Flinte auf den dunklen Recken richten. Es kam einfach nicht dazu.
Einen Großen Hahn zu erlegen, ist die schwerste Geduldsprobe der gesamten jagdlichen Breite, war mein abschließendes Resümee über den vergangenen Frühling. Es stiegen in mir auch starke Zweifel an den Berichten anderer auf, die erzählt oder geschrieben haben, wie sie nach ein, zwei Pirschgängen ihren Hahn angesprungen und erbeutet hatten. Leute, die einen Großen Hahn erlegten, gehörten in meinen Augen nunmehr zu besonders begünstigten und glückvollen Jägern. Daß ich nie einer von ihnen war, das wußte ich schon lange vorher. Bei mir dauerte jeder jagdliche Erfolg stets eine Ewigkeit; nicht nur beim Auerhahn. Mit Bewunderung gedachte ich meines mütterlichen Großvaters, der dem preußischen Schlesien entstammte, in meinem Geburtsland Ungarn sein Leben verbrachte und von dort aus jagdliche Reisen – stets mit Erfolg! – auf den Großen Hahn unternahm. Die von ihm erlegten Hahnen standen in Balzstellung präpariert in der Diele des großelterlichen Hauses in meiner unvergessenen Heimatstadt. Als kleiner Bursche bewunderte ich sie und beneidete meinen glücklichen Großvater jedesmal, wenn ich bei den alten Herrschaften zum Mittagessen war! Würde ich jemals zu einer solchen Trophäe kommen? Es schien, als hätte die Zeit für mich keinen Großen Hahn mehr übrig gehabt!
Ein Jahr verging nach dem Hebalm-Frühling. Oft dachte ich daran, ob ich wohl nochmals Gelegenheit zur Jagd auf den Großen Hahn erhalten würde. Meine Chancen beurteilte ich recht pessimistisch. Es kam aber anders. Kaum, daß es wieder Frühling war, sprach mich ein alter Freund und Weidkamerad an. Er bot mir die Vermittlung zu einer Jagd in der Gegend von Mariazell an. Ich nahm mit Freude an. Von einem raschen Jagderfolg wagte ich nicht einmal zu träumen. Meine Frau begleitete mich, und wir nahmen auch unsere beiden kleineren Kinder mit unter dem Motto, daß es hier viel Zeit für Wandern und Besichtigen geben würde.
Wir kamen spätabends im Hotel an. Dort erwartete mich bereits die Nachricht, daß der Aufsichtsjäger des Reviers mich morgens um drei Uhr abholen würde.
Es gelang mir dann in der Früh, so lautlos hinauszuschleichen, daß meine Frau gar nicht geweckt wurde. Der mich erwartende Jäger war ein sympathischer, jüngerer Mann; wir waren bald draußen im Revier. „Gestern auf d’ Nacht hab’ i an Hahn verhört, den kriagn ma heut!“ meinte der Jäger voller Überzeugung. Ich aber dachte meinen Teil.
Es dämmerte leise, als wir den ersten Glöckler wahrgenommen haben. Nun folgten immer rascher die Balztöne. Wir sprangen los. Es war ein großartiger Anblick, als ich den Hahn entdeckte. Er stand in einer hellgrünen Lärche. Das aufsteigende Morgenlicht schimmerte durch den dünnen Vorhang der weichen Nadeln und vergrößerte noch den Körper des dunklen, wuchtigen Urvogels. Ich deutete meinem Begleiter an, daß ich den Hahn allein anspringen wolle. Er hob wortlos den Hut. Beim nächsten Schleifen sprang ich los. Knappen: Atemloses Stehen, erstarrtes Warten mit suchendem Blick. Hauptschlag: Anspannen des Körpers. Schleifen: zwei, drei rasche Schritte. Dann wiederholte sich das Spiel mit der strengen jagdlichen Choreographie im Rhythmus des Balzliedes, zehnmal, zwanzigmal, wer zählt die Strophen und Schritte, wenn er den Hahn vor sich hat, wenn er, wie von einer Urgewalt angezogen, in die Richtung der Balztöne strebt?
Wieder gab es eine Pause.
Ist der Hahn vielleicht mißtrauisch geworden?