Parallel. Win Köller

Parallel - Win Köller


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auf mich, sie sah lateinamerikanisch aus. „Finde ich gut, dass du dich dazu entschlossen hast, heute noch ein Schäferstündchen einzulegen.“ Mit diesen Worten ging sie an mir vorbei und setzte sich mit gespreizten Beinen auf den Barhocker in der Küche. Durch die Lamellen fiel gleißendes Sonnenlicht auf ihre tätowierte Haut, und als ich mich ihr näherte, um sie zu fragen, was sie wolle, zog sie mich an sich heran und küsste mich leidenschaftlich, wobei sie mir in die Unterlippe biss. Dabei presste sie ihren Oberkörper an meinen und begann schnell zu atmen. Auch meine Atmung beschleunigte sich, mein Herz raste. Ehe ich etwas sagen konnte, rutschte sie an mir herunter und öffnete meine Hose, um mir einen Blowjob zu geben. Ich war erregt, gleichzeitig leuchtete mir ein, dass ich offensichtlich eine Affäre mit dieser Frau hatte. Ich fand das nicht in Ordnung, mein Gewissen sagte mir, dass es nicht okay war, eine Frau wie Marie zu betrügen, auch nicht, wenn ich Depressionen hatte und meine Besucherin sehr attraktiv war. „Hör auf“, sagte ich, trat zwei Schritte zurück und schloss den Reißverschluss meiner Hose. Ich wollte nicht weitermachen. Dominic war zu weit gegangen. Er hatte keine existentiellen Probleme, einen Traumjob, eine Traumfrau, ein Traumhaus und anscheinend auch eine Traumaffäre, was ich irgendwie widerlich fand. Da ich in meinem eigentlichen Leben als Vincent nicht mal ein Date bekam, fand ich es krank, dass Dominic sich eine Affäre gönnte und seine Freundin hinterging, nur um der schnellen Nummer willen.

      „Was ist los mit dir?“, fragte sie. „Keine Lust? Zu viel ferngesehen? Zu viele Drogen? Zu wenig Sport? Was ist es, gefalle ich dir nicht mehr?“

      „Doch“, antwortete ich, „du gefällst mir. Ich habe kaum geschlafen und fühle mich nicht gut.“ Das war nicht einmal eine Lüge. Ich fühlte mich nicht gut, weil ich diese Affäre nicht verantworten konnte. Vielleicht sollte ich mein Gewissen ignorieren und jetzt einfach Sex mit ihr haben, auf der Stelle. Aber ich wollte nicht, mein Herz sagte mir, dass es nicht korrekt von mir war.

      „Pff. Dich hat noch nichts davon abgehalten, mit mir zu schlafen. Nicht dein Befinden und auch nicht deine Freundin. Wenn du müde bist, habe ich hier etwas, das dir auf die Sprünge hilft.“ Mit diesem Satz holte sie aus ihrer Hosentasche ein Päckchen mit einem weißen Pulver, Koks oder Speed, setzte sich auf die Couch vor den Glastisch und begann zwei Lines vorzubereiten.

      „Ich will nicht, nein, wirklich, lass das bitte, ich…“ Aber ehe ich den Satz vollenden konnte, hatte sie sich bereits die erste Line durch die Nasenlöcher gejagt. Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film.

      „Ich will, dass du jetzt gehst“, sagte ich freundlich, aber bestimmt.

      „Spinnst du? Ich bin doch gerade erst hier angekommen.“

      „Du gehst jetzt!“, beharrte ich nachdrücklich.

      „Meinst du, ich kann mir nicht irgendeinen anderen Homie für heute Nachmittag klarmachen, wenn ich das will? Ich brauch´ dich nicht! Also jetzt zieh dir was durch die Nase und lass uns endlich eine gottverdammte Nummer schieben.“

      „Ich nehme keine Drogen“, sagte ich, und sie brach in lautes Gelächter aus.

      „Ha, ha, ha, seit wann das denn? Willst du mich verarschen? Jetzt zieh endlich, und dann machen wir das, was wir immer machen.“

      „Nein!“, sagte ich forsch, obwohl ich normalerweise einiges dafür gegeben hätte, mit dieser Frau zu schlafen. Unter den gegebenen Umständen war es nicht angebracht.

      „Arschloch!“, sagte sie und stolzierte Richtung Tür, wobei sie anfing, an ihrem Handy herumzuspielen. „Dann sehen wir uns morgen, du impotenter Produzent.“

      Sie war Ms. Butterfly, kein Zweifel. Sie war die Frauenstimme auf MC Prioritys Track, morgen würde ich ihren Gesang aufnehmen. Die Tür fiel knallend ins Schloss, und ich war allein.

      Allein mit einem reinen Gewissen, einem erschlaffenden und jetzt arbeitslosen Geschlechtsteil in einem großen Haus vor einem Fernseher mit 80 Kanälen, einer Line Koks auf dem Glastisch davor, die Ms. Butterfly für mich vorbereitet und hinterlassen hatte. Obwohl ich dafür, dass ich Ms. Butterfly rausgeschmissen hatte, einen Karmapunkt erhielt und das entsprechende Piepen hörte, wollte ich meine Aufmerksamkeit nicht weiter darauf lenken. Mich nervte das Piepen, und da Karmapunkte in dieser Welt ohnehin nichts wert waren, stellte ich den Chip auf lautlos, sodass er zwar weiter die Karmapunkte zählte und auf dem Daumennagel in der Größe von drei Millimetern anzeigte, aber eben nicht mehr piepte, wenn ich einen erhielt. Im Augenblick hatte ich drei Karmapunkte. Ich wollte mich in dieser Welt intuitiv bewegen und nicht mit dem Kalkül, Karmapunkte zu sammeln, deshalb würde ich die Anzahl der Punkte ignorieren, bis ich in Christians Welt war, wo diese wirklich etwas bedeuteten. Ich war kein schlechter Mensch und war überzeugt davon, intuitiv richtig zu handeln. Vor mir erstreckte sich immer noch eine Line Koks über den Glastisch.

      Koks war eine Möglichkeit, wach zu bleiben und damit nicht mal unerwünscht, aber was würde Marie sagen, wenn sie nach Hause kam und mich mit erweiterten Pupillen vorfände? War das Dominics Ritual, wenn Marie nicht zu Hause war? Er amüsierte sich mit Ms. Butterfly und Drogen? Offensichtlich war es das. Oder, und das war ein naheliegender Gedanke, hatte Christian, der ja einige Tage in Dominics Welt verbrachte, diese Affäre angefangen?

      Ms. Butterfly hatte sich allerdings so verhalten, als gäbe es diese Affäre schon länger. Dann machen wir das, was wir immer machen, hatte sie gesagt. Ich beschloss, das Koks erst mal an seinem Platz zu lassen, machte mir einen starken Espresso und fand in Dominics Vinyl-Sammlung ein Exemplar von The Doors´ „L.A. Women“ , legte die zweite Seite auf und hörte sie komplett bis zum Ende. Jim Morrison sang: Into this house we´re born, into this world we´re thrown. Like a dog without a bone, an actor all alone. Ich fand mich und meine Situation in diesem Text gut beschrieben. Vermutlich würde mir Ms. Butterfly am nächsten Tag bei den Aufnahmen eine Szene machen, aber daran wollte ich noch keinen Gedanken verschwenden. Das Wichtigste war, wach zu bleiben, in diesem Leben zu bleiben und es so lange wie möglich zu behalten. Ich konnte nicht ewig wach bleiben, das wusste ich. Aber ich würde es so lange versuchen, bis es nicht mehr ging, 24 oder 48 Stunden ab diesem Zeitpunkt hielt ich für realistisch. Ich fand dieses Leben interessant und hatte Lust auf mehr.

      Ich goss mir einen Schluck Baileys auf Eiswürfeln in ein Glas und ging durch den Garten. Hier gab es große Palmen in allen Varianten, kleine Kakteen am Boden und hochgewachsene Büsche, die das Grundstück vor einem Zaun säumten. Der Himmel war noch blau, aber bald würde die Dämmerung einsetzen. Zwischen den Palmblättern färbte sich der Himmel dem Horizont entgegen lila und dann rot. Ich beschloss, noch ein paar Bahnen im Swimmingpool zu schwimmen und legte mich danach auf eine Liege. Es war immer noch warm. Die Sonne des späten Nachmittags machte mich träge, ich hielt mein Glas in der Hand und schloss die Augen. Ich rekapitulierte, was in den letzten Stunden passiert war: Ich hatte einen Track mit MC Priority aufgenommen, mir die Nacht um die Ohren geschlagen, war am Strand gewesen und hatte eine Affäre mit Ms. Butterfly, zumindest vorläufig, beendet. Vor meinen geschlossenen Augen sah ich Muster und Formen, schließlich materialisierten sich zwei vertraute, aber grimmige Gesichter: Christian und Dominic. Im selben Moment hörte ich ein Klirren wie von zersprungenem Glas und wachte auf. Ich lag auf der Liege am Pool, das Glas war mir aus der Hand gefallen, als ich eingeschlafen war. Die braune Flüssigkeit des Baileys verteilte sich zwischen Glasscherben auf den Betonplatten. Ich hatte Glück gehabt. Ich stand auf, ging ins Haus und zog mir eine halbe Line Koks durch die Nase. Es ging nicht anders, es war eine Notsituation. Ich hasste die aufputschende Wirkung von Kokain. Ich hatte es in meinem früheren Leben einmal probiert und dann die Finger davon gelassen. Es war etwas für Spinner. Nach zwanzig Minuten war ich hellwach und fühlte einen Druck in meiner Brust und auf meinem Kopf. Gut ging es mir nicht, aber ich war wach, und das war die Hauptsache. Ich sah fern, etwa eine Stunde lang, und mit Einbruch der Dunkelheit hörte ich das Türschloss. Marie war nach Hause gekommen.

      Ich wischte das restliche Kokain vom Glastisch, nur für den Fall, dass Marie Drogenkonsum missbilligte. Sie hatte ein Werbeshooting für ein Modelabel in Hollywood gehabt, legte ihre Sachen ab, stellte ihren Laptop auf einen Tisch im Wohnzimmer und setzte sich dann zu mir auf die Couch.

      „Wie war dein Tag?“, wollte sie wissen.

      „Interessant“, sagte ich. Ich hatte keine Lust zu reden, aus Angst davor,


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