Craving Lily. Nicole Jacquelyn
Stimme klang zögernd.
Wir hätten wissen müssen, dass meine Eltern es merken würden, wenn sie ging. Wenn sie jedes Mal aufwachten, wenn sie nach Hause kam, sollte man vermuten, dass sie auch aufwachten, wenn sie ging.
„Kalifornien“, sagte ich und zog die Laken von meinem Kopf. „Sie sagte, dass sie nach San Diego gehen will.“
„Warum?“
„Ich habe keine Ahnung“, sagte ich aufrichtig. „Sie sagte, dass sie ein neues Leben will.“
„Himmel. Sie wird zurückkommen“, murmelte meine Mom. „Schlaf noch etwas, Kleine.“
Ich hörte, wie sie von der Tür zurücktrat.
„Hey, Mom“, rief ich. „Kannst du das Licht ausmachen?“
„Was?“, fragte sie überrascht.
„Das Licht“, murmelte ich und drückte mein Gesicht ins Kissen. „Kannst du es ausmachen?“
Sobald das Licht nicht mehr in meinen Augen brannte, rollte ich mich auf den Rücken und lag lange Zeit einfach nur da. In meinem Kopf spielten sich die letzten zwölf Stunden wieder und wieder ab.
Kapitel 3
Leo
Ich schwitzte wie ein Schwein, während ich versuchte, den Motor aus dem alten El Camino zu bekommen, der am Tag zuvor hereingebracht worden war. Das Ding war total verrostet und schmutzig, und ich war sicher, dass in den letzten zehn Jahren niemand unter die Haube gesehen hatte. Verflucht eklig.
Wir bekamen viele solcher Autos herein – die Besitzer erwarteten, dass wir auf Mist aufbauten, der nicht einmal rettbar war. Die Karosserie des El Camino war in ziemlich gutem Zustand, aber von uns zu verlangen, dass wir mit dem Scheiß unter der Haube arbeiteten, war lächerlich. Die meisten Teile an meinem aktuellen Projekt würden ersetzt werden müssen. Es gab keinen Weg zurück vom Zustand der Korrosion, in dem sich dieses Ding befand.
„Hey, kleine Schwester!“, schrie Cam quer durch die Werkstatt. „Was machst du hier?“
Ich wappnete mich, hob den Kopf und erwartete, Cecilia hereinkommen zu sehen, entdeckte aber stattdessen Lily, die ruhig in einer der offenen Werkstatttüren stand. Sie kam nie herein, selbst wenn Rose dabei war. Die Alten hatten diese Regel aufgestellt, als Lily ihr Augenlicht verlor. Lily durfte nicht mehr in die Werkstatt, egal aus welchem Grund. Es gab einfach zu viel Kram, an dem sie sich verletzen konnte. Selbst wenn wir immer aufräumten – was wir nicht taten – änderten sich die Autos in der Werkstatt jeden Tag. An einem Tag konnte ein VW Käfer in der ersten Bucht sein, am nächsten war es ein riesiger Ford Pick-up, und es war für sie unmöglich, zu wissen, wo alles war. Die herumliegenden Elektrowerkzeuge konnten sie im wahrsten Sinne des Wortes umbringen, wenn sie unglücklich darauf fiel.
In der Werkstatt wurde es still, als alle bemerkten, dass Lily in der Tür stand. Sie hörten aus Respekt mit der Arbeit auf, stellten die Werkzeuge ab und hielten in ihren Bewegungen inne, sodass sie hören konnten, was sie brauchte.
„Hey, Cam“, rief Lily zurück. „Dad hat mich gebeten, dich zu holen.“
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er und ging auf sie zu.
„Ja, es ist nur … er will mit dir über etwas reden.“ Ihre Stimme wurde leiser, als Cam ihr näherkam, aber sie stand immer noch neben meiner Bucht, sodass ich sie gut hören konnte.
„In Ordnung“, sagte Cam locker. „Kommst du mit mir rein?“
„Nein.“ Lily zögerte. „Arbeitet Leo?“
Ich riss überrascht den Kopf herum. Cam wandte sich mir zu und zog die Brauen hoch. „Ja, er ist hier“, sagte Cam.
Ich ließ den Motor vorsichtig sinken, setzte ihn ab, streckte meine Finger, trat vom Auto weg und auf die beiden zu. Ich hatte keine Ahnung, über was die kleine Lily mit mir reden wollte, aber ich würde niemals Nein zu ihr sagen. Dazu wäre ich einfach nicht in der Lage. Sie war so verdammt süß. Es wäre, als würde ich einen Welpen treten.
„Was gibt’s, Löwenzahn?“, fragte ich, als ich neben ihnen stand.
Cam murmelte etwas und ging, also legte ich den Arm um Lilys Schultern, um sie weiter nach draußen zu führen. Die Männer mussten wieder an die Arbeit gehen, was sie aber nicht tun würden, solange Lily dort stand.
„Vielen Dank für gestern Abend“, sagte Lily. „Ich weiß es wirklich zu schätzen.“
„Okay“, murmelte ich, zog den Arm von ihren Schultern, nahm ihre Hand und legte sie auf die Oberfläche des Picknicktischs vor uns. Ich musste ihr nicht sagen, was das war oder wie hoch es war, sie hätte den Tisch auch ohne meine Hilfe gefunden. Es war etwas schwierig für sie, sich auf dem vorderen Hof zurechtzufinden, weil Autos und Bikes kamen und gingen, aber der Gehweg vor dem Gebäude und der grasbewachsene Bereich mit den Picknicktischen waren ihr so vertraut wie ihr eigenes Haus.
„Ich wollte es dich nur wissen lassen“, sagte sie und seufzte. „Ich denke, ich sollte es dir sagen, bevor es im ganzen Clubhaus herum geht.“
„Was?“, fragte ich, holte meine Zigaretten aus der Tasche und zündete eine an. Sie kletterte auf den Picknicktisch und setzte sich. „Will dein Dad mich umbringen, weil ich dich auf meinem Bike mitgenommen habe?“
„Nein.“ Sie schnaubte und lächelte dann. „Cecilia ist letzte Nacht abgehauen, oder eher heute Morgen.“
„Tatsächlich?“, fragte ich und lehnte mich gegen den Tisch.
„Sie hat gesagt, dass sie nach Kalifornien geht. San Diego“, sagte Lily leise, als ob sie mich vor der Neuigkeit beschützen wollte. „Sie hat Mom vor etwa einer Stunde angerufen. Da war sie schon auf halbem Weg dort. Sie hat ihre Meinung nicht geändert.“
„Schön für sie“, brachte ich hervor, wobei ich erfolglos versuchte, die Verärgerung aus meiner Stimme zu verbannen.
Mir war es scheißegal, was Cecilia machte, aber ich wusste, warum sie nach San Diego ging und ich wollte deswegen auf etwas einschlagen.
„Ich weiß nicht, warum sie so weit weggehen musste“, murmelte Lily. Sie stützte die Ellbogen auf den Knien ab und ließ den Kopf hängen. „Himmel, hast du vielleicht eine Sonnenbrille?“
Ich sah sie verwirrt an. „Was?“
„Eine Sonnenbrille“, sagte sie und schirmte ihre Augen mit einer Hand ab. „Hast du eine?“
„Ich habe diese hier“, antwortete ich und zog eine Sicherheitsbrille mit getönten Gläsern vom Kragen meines Unterhemds.
Sie streckte erwartungsvoll die Hand aus. Ich gab ihr die Brille und sie setzte sie auf.
„Himmel, ist das eine Sicherheitsbrille?“, fragte sie und strich mit den Fingern über den Rahmen. „Damit sehe ich bestimmt heiß aus.“
„Oh, ja, fantastisch“, antwortete ich abgelenkt, wobei ich sie immer noch anstarrte. Ich machte den Mund auf, um sie zu fragen, warum sie eine Sonnenbrille brauchte, doch bevor ich ein Wort sagen konnte, redete sie schon wieder über Cecilia.
„Sie kennt da unten niemanden“, sagte Lily verzweifelt. „Ich meine, wo zur Hölle will sie wohnen? Wo wird sie arbeiten? Wie will sie Freunde finden? Was ist, wenn ihr etwas passiert? Das würde wochenlang niemand merken, weil sie so weit weg ist!“
Ich wusste, dass sie sich Sorgen machte. Das sagten mir ihre Körpersprache und ihr Tonfall ganz deutlich. Doch ich konnte nicht verhindern, dass sich Hohn in meine Stimme schlich, als ich antwortete: „Deine Schwester landet immer auf den Füßen, Kleine.“
Lily hörte auf, an den Armbändern an ihrem Handgelenk zu fummeln, hob langsam den Kopf zu mir und eine Sekunde lang hätte ich schwören können, dass sie mich direkt ansah.
„Du bist sauer“, sagte sie mit einem Anflug