Die dünne Frau. Dorothy Cannell

Die dünne Frau - Dorothy  Cannell


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der Geschäftsleitung sind, fürchte ich, recht hoch –«

      »Wie hoch? Hätte ich gewusst, dass Sie 92 – 61 – 89 verlangen, hätte ich kein Mittagbrot gegessen.«

      »Schauen Sie, Fräulein, ich hab die Regeln nicht gemacht. Das Leben ist nicht immer fair.« Der Tiefsinn des Tages.

      »Wenn ich so aussehen würde, wie ich Ihrer Meinung nach sollte, wäre ich nicht hier. Also, können Sie mir helfen oder ist jemand zu sprechen, der es kann?«

      Ihr Seufzer ließ die Büroklammern scheppern. »Ich treffe hier nicht die Entscheidungen … Na schön, Mrs. Swabucher will die ausgefüllt haben, bevor Sie reingehen.« Ein Bündel Aufnahmeformulare, deren obere rechte Ecken die unvermeidlichen Herzchen zierten, wurde mir in die Hand gedrückt. »Gehen Sie in das Kabuff neben dem Fenster.«

      Goldlöckchen machte sich nicht die Mühe, aufzustehen; sie winkte lediglich mit einem Kaugummipäckchen. »Da finden Sie, was Sie brauchen, Kugelschreiber, Bleistifte und einen Taschenrechner.« Ich hörte, wie eine Tür am anderen Ende des Raumes auf- und wieder zuging, dazwischen schnappte ich die Worte auf: »Puuh, wir haben Miss World im Wartezimmer.«

      Bis dahin hatte ich Bewerbungsformulare stets gerne ausgefüllt. Sie bescheinigen einem schwarz auf weiß, dass man eine Person ist, die Leistungen, Pläne und Ziele aufzuweisen hat – fein säuberlich tabelliert. Kreuzen Sie Kästchen A, B oder C an und unterschreiben Sie. Kein Platz für Seelenbekenntnisse.

      Ich habe keine Vorstrafen, nicht in Bigamie gelebt und keiner obskuren exotischen Sekte angehört. Aber dieser Fragebogen war offensichtlich das Geisteskind eines Freudianers, der wollte, dass ich mir mein eigenes Grab schaufelte und mich dann auch noch hineinlegte.

      Ob ich bei Benutzung des Badezimmers immer die Tür schloss.

      Ob ich anderer Leute Zigaretten rauchte.

      Welche Art von Nachtgewand ich bevorzugte.

      Irgendwo zwischen diesen kunstgerecht punktierten Linien waren Bomben versteckt, die bei der geringsten Unvorsichtigkeit hochgehen konnten. Ich hatte bereits die Enden von zwei Bleistiften zerkaut und musste befürchten, wenn nicht von diesem Schwachsinn, dann von Bleivergiftung dahingerafft zu werden. Also übersprang ich zwei Zeilen und kam zu einer Frage in größerer Schrift, die mehrmals unterstrichen war. Offensichtlich das Kernstück. »Was war mir im Leben am wichtigsten?«

      A. Eine sexuell befriedigende Beziehung.

      B. Geld.

      C. Die Achtung meiner Mitmenschen.

      Ich war versucht zu antworten: »Bratfisch und Pommes mit viel Majo und Erbsen, eine große Cola und ein Schokoladeneisbecher mit extra Sahne, zwei Kirschen, keine Nüsse.«

      Eine Alarmglocke schrillte, dass mein rechtes Trommelfell platzte. Goldlöckchen war wieder da, fachmännisch hielt sie eine poppige Stoppuhr in ihren kirschroten Krallen.

      »Am besten gehen Sie gleich zu Mrs. Swabucher rein. Sie verreist übermorgen zu einer Konferenz.« Dem blöden Grinsen nach war ich für Goldlöckchen der Witz des Tages. Haltet euch den Bauch und wälzt euch am Boden vor Lachen, hier kommt Miss Wollene Unterwäsche auf der Suche nach Mr. Tadellos.

      Das innerste Heiligtum glich einer gigantischen Puderquaste, kuschelig und rosa und dezent duftend. Alles war rosa – der Teppich, die Tapete, die Vorhänge, der Lampenschirm in Form eines Sonnenschirmchens; sogar der große Schreibtisch in der Mitte des Zimmers war perlmuttrosa und natürlich herzförmig. Hinter dem Schreibtisch saß eine kuschelige ältere Dame, die selber ein bisschen wie eine Puderquaste aussah. In dem rosigen Licht hatte ihr Haar einen rosa Schimmer.

      »Miss, äh, Ellie Simons.« Goldlöckchen knallte meine Testformulare auf den Schreibtisch und stöckelte auf ihren Zwanzig-Zentimeter-Pfennigabsätzen hinaus.

      »Kommen Sie, kommen Sie, meine Liebe. Ach je, Sie sehen ja zu Tode erschrocken aus, Sie Arme.« Mrs. Swabucher kam hinter ihrem Schreibtisch hervorgewatschelt. Zu meiner Überraschung entdeckte ich an ihren Füßen bequeme Pantoffeln mit dicken rosa Seidenpompons, die die Wirkung ihres rosa Wollcomplets zunichtemachten.

      Sie fing meinen Blick auf und zwinkerte mir heftig zu. »Ich weiß, ich sehe damit aus wie eine alte Miezekatze, aber meine Füße machen mir so zu schaffen und meine Tochter Phyllis hat sie mir zu Weihnachten geschenkt. Sie ist das hochgewachsene Mädchen hier auf dem Foto neben dem Jungen mit dem Hamster – meinem Enkel Albert. Geben Sie mir Ihren Mantel, meine Liebe, und ziehen Sie sich den Stuhl heran, damit wir gemütlich plauschen können. Wie wär’s mit einem Kaffee?«

      Das sollte nun der führende Kopf hinter allem sein? Zu meinem Erstaunen merkte ich, dass meine Hände nicht mehr zitterten. Ich war in der Lage, die zierliche Kaffeetasse mit dem zarten Rosenknospenmuster ruhig zu halten. Das Zimmer war wunderbar warm, trotz des Regens, der draußen niederprasselte. Es hätte ein behaglicher Abend bei einer älteren Freundin oder Verwandten sein können, nur dass meine Verwandten alle so behaglich waren wie Giftschlangen.

      »Hat das Mädchen Sie schikaniert?« Mrs. Swabucher nahm wieder hinter den Fotos Platz und nippte an ihrem Kaffee. »Ich wusste vom ersten Moment an, sie ist die Falsche. Aber was soll man machen? Heutzutage ist es absolut unmöglich, gute Kräfte zu finden: schlampig, unverschämt und schrecklich ungebildet. Aber Sie, Miss Simons, Sie sind eine Dame, das sehe ich sofort.«

      »Und der Test?«

      »Ach, zerbrechen Sie sich bloß nicht den Kopf über diesen Unsinn. Das war eine Idee von meinem Sohn Reginald. Er ist Wirtschaftsprüfer, und Sie wissen ja, wie die sind –›Mutter, du musst rationell arbeiten, auf dem neuesten Stand sein, dich an die Bestimmungen halten.‹ Ich halte mich an meinen Instinkt und ich irre mich nie. Dadurch bin ich ja überhaupt erst in diese Branche geraten. Ich verstehe mich auf Menschen. Mein lieber verstorbener Mann sagte immer, ich wäre die geborene Ehestifterin, und als er von mir ging … was hatte ich schon anderes zu tun?«

      Sie setzte vorübergehend aus wie eine zu schwach aufgezogene alte Uhr, und ich murmelte, es ginge mir eigentlich nicht um etwas so Dauerhaftes wie einen Ehemann.

      Mrs. Swabucher strahlte mich an. »Man kann nie wissen! Nehmen Sie ein Konfekt, alle mit Cremefüllung. Meine Spezialmarke.«

      Ich beäugte sie gierig, lehnte aber dankend ab.

      »Sie machen sich Sorgen wegen Ihrer Figur, stimmt’s? Sollten Sie nicht. In Ihrem Alter ist das wahrscheinlich nur Babyspeck.«

      »Ich bin siebenundzwanzig.«

      »Oje, oje! Sie sterben gleich an Altersschwäche!« Mrs. Swabucher kicherte kehlig. »Kommen Sie, seien Sie kein Frosch! Amüsieren Sie sich! Ach, Sie haben Angst – Sie denken, das ist wieder ein Test wie der Mumpitz da draußen. Lassen Sie mich etwas klarstellen, Miss Simons. Ich bin nicht doppelzüngig, dazu bin ich einfach nicht schlau genug. Jetzt essen Sie, und dann kommen wir zum Geschäft. Erzählen Sie mir alles über sich.«

      Es war gar nicht schwer. Ich aß ein Konfekt, ich aß noch eins. Mrs. Swabucher gab mir die ganze Schachtel und sagte, ich sollte sie auf dem Schoß behalten. Sie goss mir immer wieder Kaffee ein. Ich erzählte ihr von der Einladung in Merlins Schloss, beschrieb Vanessa und wie grässlich minderwertig ich mir in ihrer Gegenwart vorkam, wie ich mein Gewicht hasste, aber unfähig war, es unter Kontrolle zu halten, und wie ich glaubte, selbst eine vorgetäuschte Beziehung würde mir genügend Selbstvertrauen geben, um das große Wochenende zu überstehen.

      Am Ende meines Vortrages hatte Mrs. Swabucher Tränen in den Augen und putzte sich mit einem rosa Seidentaschentuch geräuschvoll die Nase. »Wie schade, dass mein Jüngster, der arme William, nie Gelegenheit hatte, Sie kennenzulernen.«

      Mir gingen Bilder von einem frühen und tragischen Tod durch den Kopf. Doch Mrs. Swabucher erklärte, letzten Juni habe ihr Sprössling eine unmögliche, emanzipierte Person geheiratet, die für getrennte Ferien sei und gegen Kinder.

      Ich aber war die Gegenwart, mir konnte geholfen werden. Die liebe Frau machte sich umfangreiche Notizen in einer sonderbaren Kurzschrift, die mit Kringeln und Pfeilen durchwoben war: Arbeitsstellen, Hobbys, Vorlieben und Abneigungen,


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